Man sieht und hört kaum etwas von ihr. Und fast könnte man meinen, sie existierte nicht. Doch die Mafia hat sich längst auch in Deutschland eingenistet. Was man über den Geheimbund wissen sollte, darüber geben zwei Experten Auskunft: der Journalist David Schraven und Sigurd Jäger vom Landeskriminalamt in Baden-Württemberg.
Wie ist die Mafia in Deutschland organisiert?
Sigurd Jäger: Die Mafia organisiert sich hier in Familienstrukturen oder sogenannten Clans, die teilweise schon seit vielen Generationen in Deutschland sind. Viele kamen mit der Gastarbeiterwelle. Die meisten verhalten sich nach außen hin unauffällig und gehen normalen Berufen nach oder verbringen hier ihren Ruhestand.
David Schraven: Die Gruppenstruktur funktioniert hier genauso wie in Italien. Die haben im Prinzip ihre Zelte dort zum Teil ab- und hier wieder aufgebaut. Die Mafia hat sich aus Italien aber nicht zurückgezogen, sondern ihre Macht behalten. Aber sie macht heute hier ihre Geschäfte.
Über wie viele Mafiosi reden wir?
Schraven: Wir haben in unserer Datenbank ungefähr 1.200 Leute in ganz Deutschland, die man der Mafia zurechnen kann, also Mitglieder und Unterstützer, die mit der Mafia Geschäfte machen. Weil man denen nicht immer etwas nachweisen kann, muss man sie laufen lassen. Gäbe es ein Gesetz, nach dem die Mitgliedschaft in einer Mafia strafbar wäre, dann wäre mindestens die Hälfte von den Leuten weg. Das Gesetz gibt es aber nicht. Deswegen sind die Leute hier. Es gab sogar Beobachtungen von einer Mafia-Taufe in Deutschland. Doch die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingestellt mit der Begründung: "Das ist alles nur Folklore." Die Mafia könnte eine Kneipe hier aufmachen und drüber schreiben: "Vereinsheim der Mafia Köln-Süd". Da wird nichts passieren. Das wissen diese Leute und deswegen treffen sie sich hier. Die lassen bloß das Schild weg.
Wie verbreitet ist die Mafia hierzulande?
Jäger: Wir gehen bundesweit offiziell von 450 bis 500 mutmaßlichen Mitgliedern aus. Davon sind die meisten - nämlich etwa 150 - in Baden-Württemberg. Danach kommen Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Man geht eben dorthin, wo die Wirtschaft stark ist, wo noch gut Geld zu machen ist. Der italienische Markt ist seit langem aufgeteilt.
Schraven: Es ist zwar nicht so, dass die Mitglieder hier das Land beherrschen – das unterscheidet sie von Italien. Aber in manchen Branchen sind sie sehr aktiv. Im Drogenhandel, im Baugewerbe oder im illegalen Gaststättengewerbe sind sie extrem stark vernetzt.
Wie gefährlich sind die deutschen Clans?
Jäger: Die Gefährlichkeit liegt nicht darin, dass man offene Auseinandersetzungen hat, wie das 2007 in Duisburg passiert ist. Die Gefahr besteht eher darin, dass die Mafia sich mit illegal erwirtschaftetem Geld in bestimmten Branchen massive Wettbewerbsvorteile schafft. Indem sie diese Gelder aus dem Ausland hier in Deutschland investiert, nimmt sie ganze Geschäftszweige ein und unterwandert unsere marktwirtschaftlichen Grundsätze.
Schraven: Die Mafia ist im Baugeschäft in der Lage, Milliarden zu machen. Warum sollten die sich selbst stören, indem sie irgendeinen umlegen? Das Schlimmste, was einem Wirtschaftskriminellen im Bereich organisierte Schwarzarbeit hier passieren kann, sind drei oder vier Jahre Knast. Wird die Untersuchungshaft angerechnet, bleiben noch zwei oder drei Jahre übrig. Davon ist ein Jahr "Feierabend-Knast", wo man also nur zum Schlafen hingehen muss. Und dann wird mir im besten Fall ein Drittel erlassen. Für ein Jahr Gefängnis, kann ein Mafioso hier also richtig abkassieren. Ansonsten macht die Mafia nichts. Wenn die aggressiv werden würden, hätten sie ja richtige Probleme.
Haben Sie den Eindruck, die Deutschen merken überhaupt, dass es die Mafia gibt?
Schraven: Ich habe das Gefühl, dass es die Leute nicht besonders stört, dass es die Mafia gibt. Mir ist auch klar, warum: Wenn es eine Konfrontation mit der Mafia gibt, werden die Leute nicht in Deutschland umgelegt. Wir beobachten zwar in Süddeutschland Bandenauseinandersetzungen, aber die Widersacher werden dann nicht in Pforzheim oder Stuttgart getötet, sondern nach Sizilien gelockt und dort erschossen. Und was interessiert einen in Stuttgart, ob ein Sizilianer in Sizilien getötet wird?!
Jäger: Die Strafprozessordnung gibt uns schon Maßnahmen an die Hand. Bei dem Thema Geldwäsche haben wir in Deutschland allerdings Optimierungsbedarf. Wenn jemand eine große Summe investiert, muss die Strafverfolgungsbehörde beweisen, dass das Geld "schmutzig" ist. In vielen anderen Ländern, inklusive Italien, ist es genau anders herum. Da muss der Investor aufklären, woher er das Geld hat. Die hiesige Praxis stellt uns vor Probleme. Mit den Rechtsmitteln, die wir haben, kommen wir nicht weit.
Warum wird die Gesetzeslage dann nicht verbessert?
Schraven: Ich glaube, dazu gehört einfach jede Menge politischer Druck. Man muss die Missstände über einen langen Zeitraum deutlich machen. Und wenn man das tut, wird es auch funktionieren.
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