Barack Obama war die große Hoffnung schwarzer Bürgerrechtler in Amerika. Doch ihre Erwartungen hat er nicht erfüllen können. Das beweist nicht nur der Tod von Michael Brown.

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Es wirkt wie ein Déjà-vu: Ein schwarzer Teenager stirbt durch die Kugeln eines weißen Mannes. Es folgen landesweite Demonstrationen, die auch Präsident Barack Obama nicht ignorieren kann. Gut zwei Jahre ist es her, dass der 17-jährige Afro-Amerikaner Trayvon Martin in Sanford, Florida, von einem Nachbarschaftswächter spanischer Herkunft ohne ersichtlichen Grund erschossen wurde. Nun hat sich in Ferguson, Missouri, ein ähnlich tragischer Fall zugetragen. Nur war diesmal ein weißer Polizist derjenige, der die Schüsse abfeuerte.

Geschichte, die sich wiederholt

Für die Demonstranten im Fall Michael Brown macht das jedoch kaum einen Unterschied. Im Gegenteil. Willkürliche Polizeigewalt gegen Schwarze ist in den USA kein neues Phänomen, Rassismus sowieso nicht. Auch Obama weiß das. Nach Trayvon Martins Tod 2012 sagte er, er kenne die Alltagserfahrungen von Afro-Amerikanern, und verstehe, dass sie in kleinsten Dingen Vorurteilen und Ängsten begegneten. "Es ist eine Geschichte, die sich einfach weigert, zu verschwinden." Diesmal hat sich Obama fast zehn Tage Zeit gelassen, um auf den Zorn in den Straßen zu reagieren. Doch anstatt die Diskriminierung von Afro-Amerikanern zu thematisieren, wählte Obama eine vorsichtige Rhetorik und sagte: "Es gibt in zu vielen Gemeinden des Landes ein zu großes Misstrauen zwischen der Ordnungsmacht und der Bevölkerung".

Professor Michael Dreyer von der Friedrich-Schiller-Universität Jena verwundert Obamas beschwichtigende Haltung nicht. "Rassenthemen standen bei Obama noch nie auf der Agenda." Wer anderes erwartet, schätze Obama schlecht ein. "Zum Präsidenten gewählt wird man nicht nur mit den Stimmen der Schwarzen. Man braucht auch die Stimmen der Weißen." Bereits zu Anfang seiner Präsidentschaftskandidatur tauchte die Frage auf, ob Obama "schwarz genug" sei, um als erster schwarzer Präsident zu gelten. "Tatsächlich ist Obama keineswegs ein Vorreiter der weiteren Integration von Afro-Amerikanern in den USA. Das ist nicht sein Thema. Auch um Anschuldigungen zu entgehen, er wäre nur ein Präsident für die Schwarzen im Land", sagt Dreyer.

Den schwarzen CNN-Kommentator Marc Lamont Hill hielt das nicht davon ab, den Präsidenten aufzufordern, das eigentliche Problem auszusprechen: "Obama vermittelt den naiven Eindruck, dass Rassismus einfach beseitigt werden kann, wenn man nicht mehr darüber spricht. Aber genau das verlangt die Nation von ihm."

Mangel an Sensibilität

Als Obama 2008 zum Präsidenten der USA gewählt wurde, dachten viele, Martin Luther Kings Traum von der Gleichberechtigung sei endlich wahr geworden. Nie hätten sich Bürgerrechtler jedoch träumen lassen, dass ausgerechnet unter einem schwarzen Präsidenten Krawalle wie in Ferguson möglich wären. "Wenn es sich aber wirklich so zugetragen hat, dass da ein unbewaffneter, schwarzer Teenager mit erhobenen Händen stand und dann sechs Kugeln in die Brust bekommen hat", sagt Professor Dreyer, "das sind Ereignisse, die Urängste wieder aufleben lassen." Obwohl sich viel geändert hat und das Amerika unter John F. Kennedy meilenweit entfernt ist von dem Amerika unter Barack Obama – die Erinnerung an eine Zeit, als Schwarze täglich schikaniert wurden, liegt noch nicht lange zurück.

"Spätestens seit dem Vorfall in Florida ist die Situation ohnehin aufgeheizt", erklärt Dreyer die gewalttätigen Ausschreitungen in Ferguson. Er hält aber noch eine andere Ursache für die anhaltenden Demonstrationen für denkbar. "In der Polizeidirektion in Ferguson gibt es 53 Beamte, von denen 50 weiß sind. Aber in Ferguson leben zwei Drittel Schwarze. Diese Diskrepanz halte ich für einen Mangel an Sensibilität. Wenn dann geschieht, was Michael Brown passiert ist, dann haben sie fast automatisch Rassenunruhen."

Ob die Reaktionen anders verlaufen wären, wenn ein schwarzer Polizist auf Brown geschossen hätte, ist für Dreyer nicht eindeutig zu beantworten. "Der Mangel an Sensibilität für ethnische Belange wirkt natürlich umso stärker, wenn ein weißer Beamter verantwortlich ist." Immerhin sei es wahrscheinlich, dass viele schwarze US-Bürger aufgrund ihrer Hautfarbe schlechte Erfahrungen gemacht hätten. Das Schockierende an Browns Situation, beschreibt Dreyer so: "Was der Jugendliche gemacht hat, ist genau das, was afro-amerikanische Eltern ihren Kindern beibringen: Wenn ein Polizist dich anhält, dann mach nichts, zeig ihm nur deine Hände, dass du keine Waffe in der Hand hast. Obwohl Brown diesen Anweisungen offenbar gefolgt ist, ist er trotzdem erschossen worden."

Prof. Dr. Michael Dreyer war von 2002 bis 2005 Professor an der Northwestern University, Evanston, IL, USA. Seit 2005 hat er die Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena inne.

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