Im Vergleich mit anderen Ländern kommen Autofahrer in Deutschland bei Vergehen häufig glimpflich davon. Verkehrsminister Andreas Scheuer will Verkehrssünder nun härter bestrafen. Doch führt das auch zu mehr Sicherheit?

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Bis zu 100 Euro für das Parken in zweiter Reihe und auf Rad- und Gehwegen, bis zu 320 Euro für das Blockieren von Rettungsgassen: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will bei Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung in Zukunft höhere Bußgelder verlangen. Der Verkehrspsychologe Bernhard Schlag, früherer Professor an der Technischen Universität Dresden, erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion, welche Wirkungen höhere Strafen auf Autofahrer haben – und an welchen Stellen die Politik noch ansetzen müsste.

Herr Schlag, sind die Strafen im deutschen Straßenverkehr zu niedrig?

Bernhard Schlag: Im Vergleich zu anderen Ländern sind sie das. Das gilt allerdings nicht für alle Vergehen. Alkohol oder Drogen am Steuer werden in Deutschland zum Beispiel sehr hart bestraft. Für alle Geschwindigkeitsdelikte gelten dagegen weitaus niedrigere Strafen als in anderen Ländern.

Wäre es also sinnvoll, die Strafen etwa für das Blockieren von Rettungsgassen oder das Parken auf Geh- und Radwegen zu erhöhen?

Solche Pläne des Ministeriums haben immer zwei Effekte: Einmal wird die Strafandrohung verschärft. Zudem schafft man für das Problem öffentliche Aufmerksamkeit. Ich glaube, dass dieser zweite Aspekt fast der wichtigere ist. Die Verkehrsteilnehmer sollen merken: Da ist offenbar ein Problem, auf das wir im Alltag besser achten müssen. Es besteht immer ein großer Unterschied zwischen den rechtlichen Vorgaben und dem Verhalten, das im Straßenverkehr noch akzeptiert wird. Die eher informellen Normen über das, was man noch darf, sind sehr viel weicher als die Normen des Gesetzgebers. Aufmerksamkeit für Probleme zu schaffen, ist daher wichtig.

Das bedeutet, dass Menschen wirklich ihr Verhalten ändern, wenn hohe Strafen drohen?

Man muss da unterscheiden: Wir haben einerseits die Strafhärte, die gerade diskutiert wird. Andererseits spielt aber auch die Entdeckungswahrscheinlichkeit eine Rolle. Sie können so harte Strafen einführen, wie Sie wollen – wenn die Leute nicht glauben, dass sie bei einem Vergehen erwischt werden, bringt das nichts.

Müsste also auch stärker kontrolliert werden?

Ja. Aus psychologischer Sicht noch besser als Kontrollen durch Polizei oder Ordnungsämter ist allerdings die soziale Kontrolle durch andere Verkehrsteilnehmer. Es gibt auch im Straßenverkehr soziale Normen, die besagen, dass man bestimmte Sachen nicht macht. In den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts war Alkohol am Steuer noch eher ein Kavaliersdelikt – heute ist das bei vielen jungen Leuten ein No-Go. Da spielen beide Aspekte schön zusammen: die soziale Kontrolle im Freundeskreis und eine harte Bestrafung, wenn man erwischt wird. Härtere Strafen sind also ein wichtiger Faktor, aber sie alleine genügen nicht.

Als Vorbild bei der Verkehrssicherheit werden immer wieder andere Länder genannt – zum Beispiel die Schweiz.

Das hat sicher etwas mit der größeren Strafhärte zu tun – aber auch mit der Überwachung. Wenn Sie in der Schweiz auf der Autobahn unterwegs sind, sehen sie, wie stark die Überwachung ist: nicht durch Personen, sondern durch Kameras. Da haben Sie eine gute Chance, erwischt zu werden, wenn Sie zu schnell fahren. Hinzu kommen aber die gegenseitigen Erwartungen und informellen Normen: In der Schweiz ist es nicht erwünscht, zu schnell zu fahren – und die Leute achten wechselseitig darauf.

Solche Einstellungen lassen sich allerdings politisch nur schwer verordnen.

Das stimmt. Doch wenn etwas als Problem thematisiert wird, hat das auch einen Effekt in den Köpfen. Insgesamt kann sich durchaus das Bewusstsein herausbilden, dass man auf bestimmte Dinge mehr achten muss. Das ist ein langfristiger Prozess, aber die öffentliche Diskussion ist fast wichtiger als die Anordnung härterer Strafen.

Höhere Bußgelder haben auch das Problem, dass sie gerade Menschen mit kleinerem Geldbeutel treffen.

Wenn es alleine ums Geld geht, kann man sich die Regeln in anderen Ländern anschauen. Da werden Bußgelder nicht in absoluten Zahlen angegeben, sondern im Verhältnis zum Einkommen. Finnland macht das zum Beispiel so: Jemand, der 10.000 Euro im Monat verdient, muss dort eine sehr viel höhere Strafe zahlen als jemand mit einem Verdienst von nur 1.000 Euro.

Wäre es nicht fairer, auch bei den Punkten in Flensburg anzusetzen?

Selbstverständlich. In den Köpfen der Leute gibt es eine Abstufung der Strafhärte: Alles, was mit Geld zu tun hat, ist dabei auf dem niedrigsten Niveau. Für einige Leute scheint auch eine Strafe von 100 Euro keine große Rolle zu spielen. Für sie wird es aber relevant, wenn mit einer Geschwindigkeitsübertretung auch ein Punkt in Flensburg verbunden ist – oder sogar ein Fahrverbot oder ein Führerscheinentzug. Das wird als sehr harte Strafe erlebt. Auch bei den Themen, die derzeit in der Diskussion sind, soll es in Zukunft möglich sein, einen Punkt zu bekommen. Das sollte aber auch stärker kommuniziert werden.

Zur Person: Prof. Dr. Bernhard Schlag war bis 2017 Professor für Verkehrspsychologie an der Technischen Universität Dresden. Als Seniorprofessor beschäftigt er sich weiterhin mit psychologischen Fragen der Mobilität und Möglichkeiten, das Verhalten und die Einstellungen von Verkehrsteilnehmern zu beeinflussen.
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