Ein geplantes Fahrverbot hat am Wochenende in Deutschland mehrere tausend Motorradfahrer auf die Straße getrieben. In München ignorierten sie ein Demonstrationsverbot - sie wissen den Bundesverkehrsminister hinter sich.
Die Bundesländer haben sich mit den deutschen Motorradfahrern angelegt: Der Beschluss des Bundesrats vom 15. Mai 2020 besagt, die Geräuschemissionen für alle neuen Motorräder auf maximal 80 Dezibel zu begrenzen. Dieser Wert entspricht der Lärmbelästigung, die beispielsweise Rasenmäher erreichen. Aber auch ein lautes Gespräch oder eine Schreibmaschine können einen solchen Schalldruckpegel erreichen.
Zudem stehen Fahrverbote für Maschinen im Raum, die im Betrieb den erwähnten Grenzwert überschreiten. Eine Entscheidung der Bundesregierung zur Vorlage aus dem Bundesrat steht aus.
Tausende Motorradfahrer und - fans ließen deutschlandweit am 4. Juli keinen Zweifel daran aufkommen, dass ihrem Willen ein Fahrverbot nicht entspricht. Ihr - entsprechend lärmintensiver - Protest auf offener Straße erhöhte den Druck auf die Bundesregierung.
Aus deren Reihen stellte sich mit
Dessen "dringenden Handlungsbedarf" sieht Scheuer nicht. Die geltenden Regeln seien seiner Ansicht nach "ausreichend". "Die Biker zeigen bei den Protesten ihre Haltung gegen Verschärfungen und Verbote. Das ist auch meine Haltung. Ich werde die Beschlüsse des Bundesrates, also der Bundesländer, nicht umsetzen."
Der Bundesrat fordert:
- Geräuschemission aller neuen Motorräder auf 80 Dezibel begrenzen
- Härtere Strafen gegen Motorrad-Tuning, das Lärmsteigerung zur Folge hat
- Verbot des sogenannten Sound-Designs
- Recht für Polizisten, Fahrzeuge bei "gravierenden Lärmüberschreitungen" sofort zu beschlagnahmen
Die Hersteller sollen leisere Motorräder bauen
Anfang Juni wendete sich der Bundesverband der Motorradfahrer e.V. (BVDM) mit einem offenen Brief an die Motorradindustrie.
Die Hersteller sollten den Konflikt entschärfen und freiwillig Motorräder produzieren, die im realen Fahrbetrieb sozialverträglich leise seien.
Der BVDM fordert von den Herstellern unter anderem, leisere und bezahlbare Nachrüstlösungen für die meistverkauften Modelle zu entwickeln und zu verkaufen.
An den Industrieverband Motorrad (IVM e.V.) appellierte der BVDM in seinem Schreiben, entsprechend Einfluss auf die Motorradbranche zu nehmen.
Auf eine Reaktion der Industrie wollten viele Motorradfahrer nicht warten. Sie folgten zahlreich dem Aufruf der Gruppe "Biker for Freedom".
In Stuttgart kamen so bis zu 10.000 Demonstranten zusammen, in München sprach die Polizei von mehr als 6.000 Fahrer, die mit ihren Maschinen über den Mittleren Ring rollten - trotz vorherigen Verbots der Groß-Demo. In Dresden hätten sich ebenso rund 5.000 Motorrad-Fans auf den Weg gemacht wie in Friedrichshafen am Bodensee. Demo-Korsos meldeten auch Wiesbaden und Schwerin.
Auf Facebook veröffentlichte die Gruppe "Biker for Freedom" ihre Forderungen:
- Wir, die "Biker for Freedom", stellen uns nachdrücklich gegen den Beschluss des Bundesrates vom 15. Mai 2020.
- Wir, die "Biker for Freedom", stehen auf dem Standpunkt, dass die vorhandenen Gesetze und Regeln vollkommen ausreichend sind.
- Wir, die "Biker for Freedom", wollen und werden es nicht dulden, dass einige Motorradfahrer de fakto als "Steigbügelhalter" des Gesetzgebers wirken, und andere Motorradfahrer pauschal verurteilen und/oder als schwarze Schafe darzustellen versuchen. Jeder der das tut, wird ohne Umschweife oder Diskussionen aus dieser Gruppe entfernt.
- Wir, die "Biker for Freedom" begrüßen selbstverständlich einen "sachlichen" Meinungsaustausch unter denjenigen, die sich wie wir gegen den Beschluss des Bundesrates stehen wollen, und dieses auch vollends unterstützen.
- Bikern mit einer gegenteiligen Positionierung oder Ansicht empfehlen wir den Anschluss an den BVDM und Silent Rider, sowie entsprechend einschlägigen Gruppen.
- Wir, die "Biker for Freedeom", sind in keiner Weise einer speziellen, politischen Ansicht anhängig. Beiträge und Kommentare, die auf ein politisches Motiv oder entsprechende Positionierung schließen lassen, werden ohne Ausnahme kommentarlos entfernt.
Er verstehe den Ärger über den Lärm durchaus, fügte Jörg Brucker von der Gruppe "Biker for Freedom" den Forderungen hinzu. Man dürfe die Motorradfahrer aber nicht unter Generalverdacht stellen.
In Baden-Württemberg haben sich mehr als 100 Städte, Gemeinden und Landkreise aus Protest zur "Initiative Motorradlärm" zusammengeschlossen.
Der Forderungskatalog der "Initiative Motorradlärm" umfasst:
- geänderte Zulassungsregelungen für Motorräder
- drastischere Strafen für Manipulationen an Motoren
- Verkehrsverbote
- stärkere Kontrollen
Im Südwesten gelten vor allem landschaftlich reizvolle und kurvige Strecken wie auf der Schwäbischen Alb, im Schwarzwald und Odenwald als Lärm-Hotspots.
Auch die Bergstraße in der kleinen Gemeinde Bodman-Ludwigshafen am Bodensee lockt viele Motorradfahrer an. "Die meisten fahren ordentlich, aber nicht wenige nutzen die Strecke, um hoch und runter zu rasen", sagte der Bürgermeister der Gemeinde, Matthias Weckbach.
Wettrennen durch Wohngebiete und am Ufer des Bodensees
Zum Teil würden auch Wettrennen durch Wohngebiete und einen Uferpark gefahren. "Die Bergstraße thront über Ludwigshafen, der Lärm der Motorräder und hochmotorisierten PKW beschallt den ganzen Ort. Die Bürgerinnen und Bürger finden keine Ruhe."
Oliver Luksic: "Motorradfahren gehört zur Freizeitgestaltung"
Der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Oliver Luksic, sagte am Samstag, der Beschluss des Bundesrates sei ursprünglich gut gemeint, mit der Möglichkeit der Fahrverbote aber übers Ziel hinausgeschossen.
"Anstatt die wenigen schwarzen Schafe unter den Motorradfahrern durch dichtere Kontrollen zur Vernunft zu bringen, werden nun alle unter Generalverdacht gestellt. Wir brauchen eine Versachlichung der Debatte, denn für tausende Bürger in unserem Land ist Motorradfahren ein fester Bestandteil der Freizeitgestaltung."
Das Bundesverkehrsministerium ergänzte, die zuständigen Straßenverkehrsbehörden könnten die konkrete Lage vor Ort am besten einschätzen und aus Lärmschutzgründen im Einzelfall entsprechende Maßnahmen anordnen.
Sie hätten zum Beispiel bereits jetzt die Möglichkeit, die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zu beschränken oder den Verkehr umzuleiten. (dpa/hau)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.