- Der Alibaba-Gründer Jack Ma gilt nach einem kontroversen Auftritt als verschwunden.
- Manche fühlen sich an die Schicksale anderer Firmenlenker erinnert, die in Ungnade der chinesischen Führung fielen.
- Doch die Erklärung für Jack Mas Verschwinden könnten viel banaler sein.
Der Bund Summit in der chinesischen Finanzmetropole Shanghai gilt als Hochfest der globalen Finanzindustrie. An insgesamt drei Tagen geben sich die Säulenheiligen der Branche die Klinke in die Hand, darunter Jean-Claude Trichet, ehemaliger Chef der Europäischen Zentralbank, Timothy Gardner, ehemaliger Finanzminister der USA, oder Ray Dalio, Gründer des größten Hedgefonds der Welt.
Die Themen, die auf den Keynotes und Panels besprochen werden, reichen von Bankeninnovationen über die Finanzmarktregulierung bis zur Währungspolitik. Eher Bloomberg als New York Times also. Dass der Bund Summit aber in diesem Jahr nicht nur die Nachrichtenspalten der einschlägigen Fachzeitschriften dominierte, liegt an einem rund zwanzig-minütigen Auftritt am zweiten Kongresstag: Es sprach Jack Ma, Gründer der Unternehmensholding Alibaba und reichster Mann Chinas.
In seiner Rede blies Ma der versammelten chinesischen Finanzelite den Marsch, er wählte drastische Worte: Die Volksrepublik habe kein systematisches Finanzrisiko, "weil China kein Finanzsystem hat", geißelte Ma. Die chinesische Finanzmarktkontrolle sei innovationsfeindlich und neuen Technologien gegenüber nicht aufgeschlossen. Chinas Finanzwelt habe "die Mentalität eines Pfandleihauses". Man müsse Unheil verhindern, "indem wir ein funktionierendes Finanzsystem schaffen".
Jack Ma kritisiert nicht das erste Mal, dafür ungewöhnlich scharf
Es war zwar nicht das erste Mal, dass der reichste Unternehmer des Landes die chinesische Regierung frontal anging, doch die Schärfe in seinen Worten war neu. Auch die Tatsache, dass Ma nur wenige Stunden nach Wang Qishan sprach, der als Vater des aktuellen chinesischen Bankensystems gilt und als Vizepräsident das Vertrauen von Chinas Staatschef
Während ihn seine Eigenschaft als chinesisches Aushängeschild bei früheren Anwürfen noch geschützt hatte, nahmen sich Chinas Behörden Ma diesmal in bemerkenswerter Härte zur Brust. Wenige Tage nach dem Summit wurde Ma von gleich vier Regulierungsbehörden zum Rapport bestellt, die ihm eröffneten, dass fortan strenge Regeln für Mikrokreditgeber gelten. Das richtete sich vor allem an den von Ma kontrollierten Online-Finanzdienstleister Ant Group. Wenig später wurde dann der in Shanghai und Hongkong geplante Börsengang von Ant abgeblasen. Mit einem geplanten Emissionsvolumen von 37 Milliarden US-Dollar wäre es der bislang Größte seiner Art gewesen. Der Befehl soll von ganz oben, in Form von Vizepremier Liu He, gekommen sein. Dass Ma Chinas Finanzelite brüskierte, ließ man in Peking nicht folgenlos geschehen.
Schaden ist nicht nur für Alibabas Aktionäre entstanden. Die Aktie hat seit Mas kontroversem Auftritt rund ein Drittel an Wert eingebüßt. Auch Ma selbst scheint seit seinem selbstbewussten Auftritt wie vom Erdboden verschluckt. Auf keiner angekündigten Pflichtveranstaltung seit Oktober wurde er gesehen, weder bei der Jahreskonferenz der Handelskammer von Zhejiang noch im Finale seiner höchstpersönlich ins Leben gerufenen. "Africa’s Business Heroes". Verstummt ist auch sein sonst straff geführter Twitter-Account. Der letzte Eintrag datiert auf den 10. Oktober 2020.
Die Stimmung gegenüber Ma kippt
Bemerkenswert ist, dass sich zeitgleich mit dem Verschwinden Mas, der in seinem Land wie ein Idol gefeiert wird, auch die Stimmung gegen ihn zu wenden scheint. Auf dem chinesischen Mikrobloggingportal Weibo sind nicht wenige der Ansicht, Ma habe mit seiner Kritik am Staatsapparat diesmal überzogen. Sollte hinter dem Rückzug des 56-Jährigen also tatsächlich Einsicht stecken, wie es von offizieller Seite heißt, dürften ihm die nächsten Monate einiges an Nervenstärke abverlangen. Eine Eigenschaft, über die er nachweislich verfügt.
Zweimal etwa, so hat er es oft in Interviews erzählt, soll er bei der Aufnahmeprüfung durchgefallen sein, bevor Ma 1988 an der Pädagogischen Hochschule angenommen wurde. Zwanzig Mal soll er sich eine Absage an der amerikanischen Eliteuniversität Harvard abgeholt haben. Eine Anstellung bei der Polizei sei daran gescheitert, dass er "für nichts zu gebrauchen" sei. Und selbst die Hähnchenbrater von Kentucky Fried Chicken, wo der studierte Englisch-Lehrer als Manager arbeiten wollte, sollen 23 anderen Bewerbern den Vortritt gelassen haben. Ein reibungsloser Karrierestart sieht anders aus.
Der Alibaba-Gründer galt als Versager
Dennoch konvertierte Ma zahlreichen Absagen in Schaffenskraft, nachdem er 1995 während einer Reise in den USA erste Erfahrungen mit dem Internet gemacht hatte. Eine seiner ersten Suchanfragen bei Yahoo soll "chinesisches Bier" gewesen sein, woraufhin die Suchmaschine Sorten aus den USA und Deutschland ausgespuckt haben soll, nicht aber aus China. Daraufhin habe Ma beschlossen, im Internet aktiv zu werden. Vier Jahre später gründete Ma ohne technische und geschäftliche Vorkenntnisse Alibaba, in der chinesischen Stadt Hangzhou, wo das mit einer halben Billion Euro kapitalisierte Konglomerat noch heute seinen Hauptsitz unterhält. Seitdem hat Alibaba in dem Land massenweise Arbeitsplätze geschaffen und zahlreiche Firmen, die später aus Alibaba hervorgegangen sind, sind ihrerseits zu so etwas wie Beispielen für die Agilität und die Innovationskraft der chinesischen Wirtschaft geworden. Die Online-Verkaufsplattform Taobao hat etwa im vergangenen Jahrzehnt Millionen Chinesen zu globalen Unternehmern gemacht, Alipay ist so etwas wie das chinesische Paypal und die Ant-Gruppe verschaffte kleinen Privatunternehmern erstmals einen leichten Zugang zu Krediten, abseits der komplexen staatlichen Vergabe.
Dank Alibaba hat es selbst Amazon bis heute nicht geschafft, sich die 1,4 Milliarden Chinesen als lukrative Kundengruppe zu erschließen. Der US-Versandhändler spielt, ähnlich wie auch Ebay, in China praktisch keine Rolle. Dennoch schlägt die Bezeichnung Mas als chinesischer Jeff Bezos bei genauerer Betrachtung fehl. Denn während sich Bezos aus der Öffentlichkeit zurückhält, füttert der versierte Redner Ma seine Anhängerschaft an manchen Tagen mit exzentrischen Auftritten und an anderen mit beinahe konfuzianischen Zitaten, die ganze Generationen junger chinesischer Gründer beseelt haben.
Kultcharakter haben die jährlichen "Alifest" genannten Mitarbeiterversammlungen, zu denen schon der frühere Präsident Bill Clinton oder Amerikas Basketballstar Kobe Bryant geladen waren. 2014 organisierte Ma – da schon zum neunten Mal – eine Massentrauung für 102 Hochzeitspaare im traditionellen chinesischen Stil. Und zum zehnjährigen Firmenjubiläum kam der Gründer mit hüftlanger blonder Perücke und Lederjacke und rockte eine Version des Elton-John-Hits "Can you Feel the Love Tonight".
Schämt sich Ma?
Mas Selbstbewusstsein täuscht jedoch darüber hinweg, dass sich im konservativen China nur derart exponieren kann, über den die Staatsführung eine schützende Hand hält. Mit einer Ewigkeitsklausel ist dieser Schutz nicht verbunden, das hat die Vergangenheit gezeigt. Nicht wenige fühlen sich deshalb an das Schicksal von Lai Xiaomin erinnert, den ehemaligen Vorstand eines der größten Staatsunternehmen, der jüngst zum Tode verurteilt wurde.
Doch Ma lediglich als einen in Ungnade gefallenen Mr. Niceguy darzustellen, wird der Situation nicht gerecht. Schließlich gibt es auch eine andere Erklärung für sein Verschwinden, die zumindest menschlich einleuchtend ist: Der verpatzte Börsengang der Ant-Gruppe könnte für Ma schlicht eine deftige Niederlage bedeutet haben, weshalb der Firmenchef gut beraten wäre, sich erst einmal aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Ausgeschlossen ist das nicht.
Zwanzig Jahre ist es her, dass sich Ma einmal als Krokodil im Jangtse-Fluss bezeichnete, während Konkurrenten wie Ebay so etwas wie Haie im Ozean seien. Letztere Firma ist in China längst Geschichte und Mas Alibaba-Konzern die unumstrittene Nummer Eins. Die Frage ist nun, ob das Krokodil nur untergetaucht ist, oder längst erlegt.
Verwendete Quellen:
- Wall Street Journal - Where is Jack Ma?
- New York Times - Why China Turned Against Jack Ma
- The Economist - Chinese trustbusters’ pursuit of Alibaba is only the start
- Bloomberg – How China Lost Patience With Jack Ma, Its Loudest Billionaire
- Capital - Das Krokodil ist hungrig
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