Die 32-Stunden-Woche könnte bald schon Wirklichkeit werden, jedenfalls wenn es nach Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) geht. Die jüngste Ministerin der großen Koalition fordert die Familienarbeitszeit, die der Staat und damit wir alle bezahlen sollen. Ist das gerecht?

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Mit der Geburt kommt auf ein Paar viel Arbeit zu. Das neue Familienmitglied fordert die jungen Eltern - rund um die Uhr. Stillen, Windel wechseln, nachts stündlich beruhigen, Kinderarzt-Besuche und eine eigene Verpflegungslinie. Wer einmal ein Kind bekommen hat, weiß: Vor allem in den ersten Jahren gleicht der Nachwuchs einem Vollzeitjob. Den allerdings die allermeisten Eltern noch nebenbei erledigen müssen.

Auch wenn nur ein Elternteil arbeitet: Nach 40 Wochenstunden sind die Batterien leer - es bleibt wenig Zeit für den neuen gemeinsamen Job am Kinderbett. Jetzt gilt es, verschiedene schlechte Optionen abzuwägen. Im Job weniger arbeiten führt nicht nur zu weniger Geld, sondern meist auch zu einer Karriere-Stagnation. Bei voller Arbeitszeit hingegen bleibt die Kinderbetreuung wieder nur bei einem Partner hängen. Oder, wenn beide arbeiten, bei irgendeiner Betreuungseinrichtung.

Vollzeit für Eltern neu definieren

Genau das will die frischgebackene Familienministerin Manuela Schwesig jetzt ändern: "Meine Vision ist die Familienarbeitszeit", sagte Schwesig in einem Interview mit der Zeitung "Tagesspiegel". "Vollzeit sollten für Eltern mit kleinen Kindern nicht 40, sondern zum Beispiel 32 Stunden sein." Eltern dürften in dieser Familienphase keine Nachteile erleiden, wenn sie im Beruf zurücksteckten. Vielmehr müssten Arbeitgeber auf die Bedürfnisse junger Familien flexibel reagieren.

Schwesigs Sprecherin ruderte am Freitag zurück und widersprach der Einschätzung, dass dies ein konkretes politisches Vorhaben sei. "Es ist eine Vision und eine Vorstellung, in welche Richtung es langfristig führen soll." Auch Regierungssprecher Steffen Seibert hatte bereits darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Vorstoß um einen "persönlichen Debattenbeitrag" der Ministerin handle.

Zuvor hatte Schwesig ihren Vorschlag noch in verschiedenen Interviews verteidigt. In der "Bild"-Zeitung (Freitag) machte sie sich etwa dafür stark, einen Teil des Lohnausfalls mit Steuermitteln auszugleichen. Doch auch diesem Ansinnen erteilte Regierungssprecher Seibert eine Absage: Die Bundesregierung wolle bei der Arbeitszeit eine größere Flexibilität ermöglichen, "ohne dabei zusätzliches Steuergeld einzusetzen".

Es geht Schwesig wohlgemerkt nicht um flexible Einzelfallregelungen, sondern um nichts weniger als eine generelle Senkung der Arbeitszeit für Eltern: "Wir müssen Vollzeit für Eltern neu definieren", betont die Ministerin. Momentan gebe es viele Väter, die gerne für ihre Kinder beruflich kürzer treten würden, aber dies aus Angst nicht täten, dass sie für diesen Wunsch in der Arbeitswelt belächelt würden. Eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit für Eltern bei vollem Lohnausgleich könnte die Väter aus diesem Dilemma befreien, glaubt Schwesig.

Das "Elterngeld plus" steht bereits im Koalitionsvertrag

Eine schöne Idee, die aber finanziert werden muss. Wenn Eltern bei gleichem Geld weniger arbeiten, müssen andere naturgemäß mehr arbeiten - ohne Lohnausgleich. An dieser Stelle bringt Schwesig den Koalitionsvertrag ins Spiel. In ihm ist ein sogenanntes "Elterngeld plus" vereinbart. Künftig soll es für Eltern möglich sein, auch dann Elterngeld zu beziehen, wenn sie nicht nur einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen - und zwar für längstens 28 Monate. Im Klartext heißt das: Wer künftig als Elternteil seine Arbeitszeit reduziert, zum Beispiel auf 32 Stunden, könnte einen Lohnausgleich in Form des Elterngeldes bekommen.

Der feine Unterschied zwischen Koalitionsvertrag und Schwesigs Forderungen ist jedoch die Flexibilität. Während ein "Elterngeld plus" von Familien in Anspruch genommen werden kann, will die Familienministerin mit einer generellen, staatlich verordneten Absenkung der Wochenarbeitszeit die Gesellschaft nach ihrem Idealbild umbauen. Und lässt unklar, wer das bezahlen soll. Wenn die Arbeitszeit für Eltern generell auf 32 Stunden gesenkt werden würde, wären das wohl die Arbeitgeber, die nun schon einmal vorsorglich protestieren.

Kritik an Schwesigs Vorstoß kommt unter anderem vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH): Mit einer pauschalen Reduzierung der Wochenarbeitszeit von Eltern auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich betreibe man Familienpolitik auf Kosten der Unternehmen, kritisiert ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke in der "Bild". Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall verwies auch auf den bereits bestehenden Teilzeitanspruch in der Branche. "In der Metall- und Elektro-Industrie gilt für die Mehrheit der Mitarbeiter die 35-Stunden-Woche, sowie für alle der grundsätzliche Anspruch auf Teilzeitarbeit", sagte Hauptgeschäftsführer Oliver Zander.

Lauter fürsorgliche Familien-Väter

Das Problem an Schwesigs Plänen ist, dass sie nicht auf Freiwilligkeit setzt. Lauter fürsorgliche Väter sieht die Familienministerin vor sich, die sich wie Vizekanzler Sigmar Gabriel brav einen Nachmittag die Woche für ihre Tochter freihalten. Dieses Bild will sie gesetzlich manifestieren. Und vergisst: Es wird immer Arbeitsjunkies und Karrieristen geben, die spät abends nach Hause kommen - und Partner haben, die genau das so ok finden.

Per Definition einer Wochenarbeitszeit wird keine Arbeitswelt umgeschrieben, in der Erfolg immer auch erarbeitet werden muss. Und in der es immer auch um Anwesenheit und Präsenz gehen wird. Um das zu ändern, müsste Schwesig den Karrieristen unter den Vätern und Müttern die Anwesenheit über die 32 Stunden hinaus verbieten - damit sie sich nur ja keinen Vorsprung gegenüber den Kinder betreuenden Eltern erarbeiten können.

Eine Gerechtigkeitsfrage ist der Lohnausgleich für Familien-Teilzeitstellen dagegen nicht. Bereits jetzt zahlt der Staat das Elterngeld und unterstützt damit diejenigen Partner, die sich aus gutem Grund gemeinsam für weniger Arbeit und mehr Zeit mit den Kindern entscheiden. Und so auch Nachteile im Beruf ganz bewusst in Kauf nehmen. Warum diese Unterstützung für Familien, die Teilzeit arbeiten, plötzlich eine ungerechte Zuwendung sein soll, ist nicht einzusehen. Auch der kinderlose Workaholic bezieht irgendwann eine Rente, die die Kinder seiner Kollegen bezahlen.

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