Die Ampel verschärft die Abschieberegeln. Das wird nach Einschätzung von Experten nur geringfügig zu höheren Abschiebezahlen führen, greift aber massiv in die Grundrechte der Migranten ein.

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"Wir müssen endlich im großen Stil abschieben", forderte Kanzler Olaf Scholz (SPD) vor sechs Tagen im "Spiegel". In dieser Woche beschloss das Kabinett ein Gesetzespaket, das die große Ankündigung des Kanzlers mit Taten untermauern soll.

Im Kern zielen die Ampel-Pläne darauf, die Rechte der Polizei zu erweitern und die der Migranten zu beschneiden. So müssen Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden und Ausreisepflichtige dürfen länger in Gewahrsam genommen werden. Außerdem darf die Polizei in Zukunft auch in die Wohnungen Dritter eindringen, wenn sie die gesuchte Person dort vermutet.

Ein Blick auf die einzelnen Punkte des Gesetzes zeigt, dass es nur geringfügigen Einfluss auf die Abschiebezahlen haben dürfte. So scheitert die Rückführung der rund 255.000 Ausreisepflichtigen in der Regel daran, dass Pässe fehlen oder die Herkunftsstaaten ihre Landsleute nicht zurücknehmen wollen. Probleme, die der Gesetzentwurf nicht löst. Dafür schafft er neue. Das zumindest findet Wiebke Judith von der Organisation Pro Asyl.

Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung

Sie kritisiert die Stoßrichtung des Gesetzes. Vor allem, dass das Recht auf den Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung für Migranten weiter eingeschränkt werde. "In der Praxis heißt die Ausweitung, dass die Polizei nachts auch in Zimmer von Menschen eindringt, die nichts mit der Abschiebung zu tun haben", erklärt sie im Gespräch mit Journalisten. "Das verbreitet Angst. Die Menschen können nicht mehr gut schlafen und sind traumatisiert. Das erleben wir schon jetzt, aber wir befürchten, dass sich das massiv verschärft."

Zurzeit werden Abschiebungen meistens einen Monat im Voraus angekündigt. Den genauen Zeitpunkt verrät die Polizei nicht, da sonst die Gefahr besteht, dass die Person untertaucht. Diese Ankündigung soll laut den Ampel-Plänen in Zukunft wegfallen.

Judith hält das für unverhältnismäßig: "Menschen, die abgeschoben werden, haben zum Teil Kinder in der Schule, eine Arbeitsstelle und so weiter. Wenn sie unangekündigt abgeholt werden, bedeutet das für sie einen krassen Bruch in ihrem Leben."

Abschiebung nachts um 4 Uhr

So war es auch im Fall des Kameruners Alassa Mfouapon. Weil er aufgrund der Dublin-Regel nach Italien abgeschoben werden sollte, galt bei ihm schon im Jahr 2018, dass die Polizei die Abschiebung nicht ankündigen musste.

"Die Polizei stürmte nachts um vier Uhr in sein Zimmer in der Erstaufnahmeeinrichtung Ellwangen, um ihn abzuschieben – ohne vorher zu klopfen und ohne, dass es Anhaltspunkte gab, dass er sich der Abschiebung entziehen würde", sagt Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Der Verein unterstützte Alassa Mfouapon bei seiner Klage gegen das Vorgehen bei der Abschiebung und legte vergangenen Donnerstag Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

Der Fall zeigt, wie komplex das Thema mitunter ist. Das Verwaltungsgericht hatte in erster Instanz entschieden, dass die Abschiebung rechtmäßig ist. Nur: Mfouapon hat mittlerweile eine Ausbildung als Mediengestalter abgeschlossen und arbeitet in Gelsenkirchen in diesem Bereich. Besteht also ein "öffentliches Interesse" – so die Argumentation des Verwaltungsgerichts – an der Abschiebung?

Polizei öffnet nachts die Tür mit einem Rammbock

Dass die Polizei nachts die Wohnräume von Migranten stürmt, sei laut Lincoln schon jetzt "gängige Praxis". Sie bezeichnet ein solches Vorgehen als grundrechtswidrig: "In einem Verfahren in Berlin hat die Polizei die Tür sogar mit einem Rammbock geöffnet. Für Menschen, die oft durch Krieg ohnehin schon traumatisiert sind, eine sehr belastende Erfahrung", sagt sie.

Das nächtliche Eindringen in den Wohnraum der Betroffenen ist nicht der einzige umstrittene Eingriff in die Grundrechte von Geflüchteten und Migranten. So sollen Menschen vor ihrer Abschiebung in Zukunft 28 statt zehn Tage in Gewahrsam genommen werden.

Doch die härtere Gangart in der Migrationspolitik ist in der Ampel nicht unumstritten. Bei den Grünen deutet sich Widerstand an. Von "unverhältnismäßigen Eingriffen in die Grundrechte auf Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung und Privatsphäre", spricht der Bundestagsabgeordnete Filiz Polat. Ähnlich klingt es bei seinem Fraktionskollegen Marcel Emmerich: "Man muss sich wundern, wo das Bundesjustizministerium bei der Erarbeitung dieses Gesetzespakets war", sagt er.

Leichterer Zugang zum Arbeitsmarkt in Planung

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) teilt diese Bedenken nicht. Er erinnerte daran, dass Abschiebepläne immer nur Teil eines Gesamtkonzeptes sein könnten. Dazu gehöre aber auch ein erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt für all jene, die schon in Deutschland sind. Dieses Paket soll nächste Woche kommen.

In diesem Bereich hat die Ampel bereits Erleichterungen beschlossen. Seit diesem Jahr gilt das Chancenaufenthaltsgesetz. Es richtet sich an abgelehnte Asylbewerber, die schon mindestens fünf Jahre in Deutschland sind. Sie haben den Status einer Duldung, weil sie aus verschiedenen Gründen nicht zurück in ihr Heimatland können.

Diese Menschen erhalten durch das Gesetz die Chance, innerhalb von 18 Monaten ein gewisses Sprachniveau nachzuweisen, einen Job zu finden und ihre Identität zu klären. Gelingt das, dürfen sie bleiben. Dieses Gesetz könne man laut Pro Asyl auf noch mehr Menschen anwenden. Für die, die aktuell weder zurück in ihr Heimatland können noch eine echte Perspektive in Deutschland haben, wäre das ein echter Fortschritt.

Verwendete Quellen:

Drei Männer vor einem Schild der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen

Unionsinnenminister dämpfen Erwartungen an Abschiebepläne

Mehr und schnellere Abschiebungen verspricht Innenministerin Faeser, von Rückführungen in großem Stil hatte gar Kanzler Scholz gesprochen. Union und Kommunen schrauben die Erwartungen an neue Gesetzesplänen jedoch herunter.
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