Ägypten feiert die Absetzung seines Präsidenten Mohammed Mursi auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Doch während die Opposition den Sturz des Muslimbruders zelebriert, kommt es zu mindestens 91 sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen. Die Organisation "Human Rights Watch" verurteilt die Übergriffe und fordert ein rasches Handeln von den neuen Machthabern.
Bereits während der vorangegangenen Proteste gegen Präsident Mursi in den vergangenen Tagen wurden laut "Human Rights Watch" Frauen auf dem Tahrir-Platz angegriffen. Von ägyptischen Hilfsorganisationen seien im Zeitraum vom 30. Juni bis zum 2. Juli insgesamt 86 Angriffe gemeldet worden, 31 Fälle würden als sexuelle Übergriffe gewertet. Es wurde von mehreren Fällen berichtet, in welchen Frauen mit Metallketten, Stöcken und Stühlen geschlagen und teilweise sogar mit Messern attackiert wurden. Einige Opfer wurden 45 Minuten lang gequält, bis ihnen schließlich die Flucht vor den Peinigern gelang.
Ägypten nach Mohammed Mursi – das muss sich ändern
Das ist ein untragbarer Zustand, wie Joe Stork, Beauftragter von "Human Rights Watch" im mittleren Osten beklagt: "Die ungezügelten Übergriffe während der Protest-Aktionen auf dem Tahrir-Platz zeigen deutlich das Versagen von Regierung und aller politischen Parteien, sich der Gewalt gegen Frauen entgegenzustellen unter der die Betroffenen täglich in der Öffentlichkeit im Land leiden. Diese schwerwiegenden Verbrechen halten Frauen davon ab, am öffentlichen Leben in Ägypten teilzunehmen und sind ein bedenklicher Punkt in der Entwicklung des Landes."
Bei sexuellen Straftaten gegen Frauen herrscht in Ägypten eine Kultur der Straflosigkeit. Die typische Reaktion der ägyptischen Regierung sei das Herunterspielen der Vorfälle, wahlweise werde auf rein gesetzlicher Ebene mit der Verschärfung der Bestimmungen reagiert – ohne großen Erfolg. Doch dieses Vorgehen ist laut "Human Rights Watch" zu wenig. Stattdessen müssten Polizisten effektiver gegen die Täter vor Ort vorgehen, der Opferschutz verbessert werden und die Gerichte konsequenter arbeiten.
Warum kommt es zur Gewalt auf dem Tahrir-Platz?
Vor allem im Westen rufen die Meldungen über Gewalt gegen Frauen Empörung hervor. Wie kommen solche Übergriffe zustande, vor allem in einem Klima des Jubels und der Freude über den Machtwechsel? Diesen Aspekt kann Gauri van Gulik, Expertin bei "Human Rights Watch" näher erläutern: "Erstens ist es wichtig sich vor Augen zu führen, dass zeitweise geschätzte 14 Millionen Menschen auf den Straßen waren. Das bedeutet, dass viele unterschiedliche Gruppen anwesend waren, nicht nur Anti-Mursi-Demonstranten. Zweitens, wenn große Gruppen von Menschen aufeinander treffen, komplette Straflosigkeit für Vergewaltiger herrscht und es weder Kontrollen noch Schutz gibt, können solche brutalen Überfalle bei jeder Gelegenheit passieren."
Auch der Art der Übergriffe liegt eine Grundähnlichkeit zugrunde, wie Gulik berichtet: "Alle uns bekannten Angriffe wurden von großen Männergruppen ausgeübt, die entweder die Frau in einem engen Kreis umzingelten oder spontan gewalttätig wurden. Außerdem kennen wir Fälle, in denen die Überfälle und Vergewaltigungen von großen Gruppen von Männern beobachtet wurde – manchmal haben sie diese Gewaltakte auch auf Video festgehalten, und mit Gelächter begleitet." Doch nicht nur ägyptische Frauen sind von der Gefahr betroffen. Die Gewalt kann jederzeit auch ausländische Besucherinnen treffen: "Zum Beispiel ist uns der Fall einer niederländischen Journalistin bekannt und in den letzten Jahren gab es auch Übergriffe auf andere Frauen, die zu den Demonstrationen Bericht erstatteten, wie die nun bekannten Gewalttaten gegen die amerikanische Journalistin Lara Logan."
Die schlimmste Komponente der aktuellen Vorfälle ist allerdings, dass sie keine neuen Entwicklungen sind und bereits vor dem sogenannten "Arabischen Frühling" in Ägypten aufgetreten sind, berichtet Gulik: "Die Massendemonstrationen in Kairo haben sicherlich zu einem Anstieg der Mob-Angriffe auf Frauen geführt. Aber wir wissen auch, dass Ereignisse, die sich in Krisen abspielen, ihre Wurzeln in Alltagssituation haben. Täglich werden in Kairo Frauen sexuell belästigt. Was wir jetzt erleben, ist also der extreme Teil des Spektrums der misslichen Lage von Frauen in Ägypten, in Kombination mit den zusätzlichen Gefahren, die Massenversammlungen und Straflosigkeit mit sich bringen."
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