Vor drei Jahren haben die Taliban in Kabul die Macht übernommen. Während Afghanistan international weitgehend isoliert bleibt, haben die islamistischen Herrscher ihre Macht gefestigt.
Sommerliche Hitze herrscht in Kabul, die Luft ist trocken. Auf den Straßen der afghanischen Hauptstadt drängen sich Männer und Frauen in Basaren vorbei an Ständen mit gegrillten Fleischspießen, bunten Trachten oder Schaufensterpuppen, die auf Anordnung der Taliban bedeckte Köpfe haben. Autos schieben sich im dichten Verkehr vorbei an Straßenhändlern oder Kontrollposten, an denen bewaffnete Taliban prüfende Blicke in Fahrzeuge werfen.
Kabul sei eine Stadt, die immer lebendig sei, erzählt ein Bewohner der Stadt. "Die Menschen machen auch in diesen Zeiten mit ihrem Leben weiter, irgendwie."
"In diesen Zeiten", damit spielt der Mann auf die Zeit unter der Herrschaft der islamistischen Taliban an. Drei Jahre ist es nun her, dass mit dem Abzug der internationalen Truppen und nach einer Blitzoffensive der Taliban am 15. August 2021 Kabul wieder an die Islamisten fiel, als letzte Stadt des Landes. Nach der Flucht des Präsidenten Aschraf Ghani und dem endgültigen Zusammenbruch der vom Westen gestützten Regierung blieb eine traumatisierte und kriegsmüde Bevölkerung zurück, die unter den Taliban seither weitgehend international isoliert lebt und mit hoher Armut kämpft.
Wie hat sich das Land unter der Herrschaft der Islamisten entwickelt, und wohin steuert es?
Sittenwächter statt Studium
"Meine Stadt hat sich massiv verändert, für uns Frauen ist es nicht leicht, frei herumzulaufen", schildert Mina ihr heutiges Leben. Vor dem Regierungswechsel studierte die junge Frau aus Kabul Betriebswirtschaftslehre, erzählt sie, traf sich am liebsten mit ihren Freundinnen im Café und träumte von einer Zukunft als Unternehmerin.
Nun fürchte sie draußen die Sittenwächter, die in ihren weißen Gewändern und schwarzen Turbanen die Straßen patrouillieren. Erst vor wenigen Tagen hätten sie Beamte des Tugendministeriums angehalten und sie "trotz der Hitze" aufgefordert, ihr Gesicht zu bedecken. "Ich war geschockt und voller Angst, und mir haben die Worte gefehlt."
Vom Westen weiter isoliert, wenig Interesse aus Berlin
Vor allem die massive Beschneidung von Frauenrechten, darunter der Ausschluss von Frauen aus Universitäten und Schulen ab der siebten Klasse, sorgt weiter für internationale Empörung und eine weitgehende Isolierung Afghanistans. Nach drei Jahren hat weiter kein Land der Welt die Taliban als offizielle Regierung anerkannt. Regionale Nachbarländer haben einen pragmatischeren Umgang mit Kabul gefunden.
Abgesehen von einigen Nichtregierungsorganisationen wie Pro Asyl oder Reporter ohne Grenzen ist auch in Deutschland das öffentliche Interesse an der Lage in Afghanistan und dem Schicksal Schutz suchender Afghaninnen und Afghanen sichtlich zurückgegangen. Symptomatisch dafür ist das geringe Interesse an der Arbeit einer Enquete-Kommission und eines Untersuchungsausschusses des Bundestags, die sich mit dem militärischen Engagement in Afghanistan und seinem jähen Ende 2021 beschäftigen.
Ein Blick in die Statistik zu Asylbewerbern zeigt, dass Afghanistan nach wie vor zu den Hauptherkunftsstaaten zählt. Gleichzeitig denkt die Bundesregierung nach dem tödlichen Messerangriff in Mannheim, bei dem ein Mann aus Afghanistan - wahrscheinlich aus einer religiösen Motivlage heraus - auf mehrere Menschen einstach, wieder über Abschiebungen Richtung Afghanistan nach. Da die Bundesregierung keine diplomatischen Beziehungen zur Taliban-Regierung unterhält und daran auch festhalten will, wird nun geprüft, ob Rückführungen über einen Nachbarstaat wie etwa Usbekistan möglich sind.
"Der Westen befindet sich beim Umgang mit den Taliban in einer Sackgasse", sagt der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig. Die Taliban hätten gezeigt, dass sie sich mit der bisherigen Strategie nicht beeinflussen lassen. "Isolation wird keine gewünschten Ergebnisse bringen."
Stattdessen gelte es, Programme zu entwickeln, die eine Entwicklungszusammenarbeit ermöglichen und über reine humanitäre Hilfe hinausgingen, etwa beim Thema Bewässerungswirtschaft oder Klimawandel. Wichtig sei dabei, dass afghanische Expertinnen und Experten daran teilnähmen.
Macht im Land gefestigt
Afghanistan haben die Taliban Beobachtern zufolge trotz fehlender internationaler Anerkennung fest im Griff. "Die Taliban haben erfolgreicher als jede andere Gruppierung seit mehr als 40 Jahren die komplette militärische Kontrolle über das Land errichten können", bilanziert der politische Analyst Graeme Smith. Damit seien sie auch erfolgreicher als zu Zeiten ihrer ersten Herrschaft während der 1990er Jahre, als noch Kämpfe im Norden stattfanden.
Auch die vom Westen gestützte Regierung habe mit ihrer Korruption und zahlreichen Menschenrechtsverletzungen keine Stabilität ins Land bringen können, betont Smith. Der Export von Waren sei gestiegen, die Korruption deutlich gesunken. Auch sei die Wirtschaft anders als zu Anfang der Machtübernahme nicht mehr im freien Fall, sondern stagniere derzeit.
Zahlen der Weltbank zeigen einen Anstieg des Schulbesuchs bei Mädchen im Grundschulalter, was laut der Organisation auf die verbesserte Sicherheitslage im Land zurückzuführen ist. Während demnach zwischen 2019 und 2020 insgesamt 36 Prozent aller Mädchen zwischen sieben und zwölf Jahren die Grundschule besuchten, sei diese Zahl bis zum Frühjahr 2023 auf 60 Prozent gestiegen.
Der stärkste Anstieg sei in ländlichen Regionen zu beobachten, die zuvor besonders von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen waren. Der Besuch von weiterführenden Schulen ist aufgrund des Schulverbots für ältere Mädchen aber im gleichen Zeitraum nach Weltbank-Zahlen dramatisch zurückgegangen, von 24 Prozent auf lediglich drei Prozent.
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Hart gegen Kritiker
Gleichzeitig bemängeln Kritiker ein hartes Vorgehen gegen Menschenrechtler, Demonstranten oder Journalisten, denen laut Menschenrechtsorganisationen Verhaftung, Verschwinden oder Folter drohen. Die Macht der Taliban, so Smith, habe sich weiter in der südlichen Stadt Kandahar konzentriert, dem politischen und spirituellen Zentrum des Landes.
Die junge Kabulerin Mina will trotz allem nicht aufgeben. "Zurzeit setze ich mich für Frauenrechte ein, außerdem führe ich heimlich ein Unternehmen, über das ich Kleidung im afghanischen Stil entwerfe." Ihr Traum sei es, dass alle Universitäten und Schulen für Mädchen und Frauen geöffnet werden und sie ohne männliche Begleitung durch das Land reisen könnten. "Und ich möchte sehen, dass sie Freiheit haben." (Von Nabila Lalee und Anne-Beatrice Clasmann, dpa/bearbeitet von fab)
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