Ein Behördenschreiben aus Niedersachsen zur Abschiebung einer Person soll angeblich beweisen, dass man einfach gehen kann, wenn man nicht abgeschoben werden will. Doch ob eine Abschiebung abgebrochen wird, entscheidet die Bundespolizei. Ein Faktencheck.

Ein Foto eines Schreibens sorgte im Sommer 2024 für Verwirrung: "Erklärung zur eventuellen Ausreiseverweigerung" ist der Betreff des Briefs der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen an die Bundespolizei am Flughafen Düsseldorf. Darin findet sich ein Satz, der im Netz viele Menschen irritierte: "Wenn sich der Betroffene weigert, in das Flugzeug zu steigen, bzw. auf eine andere Art versucht, sich der Abschiebung zu widersetzen (aktiver/passiver Widerstand), kann dieser auf freien Fuß gesetzt werden und eigenständig zu der ihm zugewiesenen Unterkunft zurückreisen." Der Betroffene habe sich danach umgehend bei seiner Ausländerbehörde zu melden und die Bundespolizei solle die entsprechenden Unterlagen zur gescheiterten Abschiebung eben jener Behörde zusenden.

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Am 21. August 2024 berichtete die "Bild"-Zeitung über das Schreiben: "Abschiebe-Irrsinn! Wer sich weigert oder wehrt, darf bei uns bleiben", es sei eine "unfassbare Dienstanweisung". In Sozialen Netzwerken wurden der Artikel und das Schreiben mit einem ähnlichen Tenor weiterverbreitet, etwa von einem AfD-Politiker und dem Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft DPolG. Was dabei jedoch untergeht: Scheitert eine Abschiebung, wird sie wiederholt – doch dazu weiter unten mehr.

Zunächst haben wir bei der Bundespolizei und bei der zuständigen Behörde in Niedersachsen nachgehakt, was es mit dem Schreiben und der vermeintlichen Dienstanweisung auf sich hat.

Landesaufnahmebehörde Niedersachsen: Schreiben war keine Dienstanweisung und "missverständlich und unpräzise formuliert"

Grundsätzlich komme es zu einer sogenannten "erzwungenen Rückführung" dann, wenn die pflichtgemäße Ausreise in der gesetzten Frist nicht freiwillig erfolgt ist, erklärt das Bundesinnenministerium auf seiner Webseite. Die Rückführung sei das letzte Mittel. Rechtliche Bestimmungen rund um die Rückführung sind im Aufenthalts- und Asylgesetz festgelegt.

Laut einer Pressesprecherin der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen – die Behörde, die das Schreiben versendet hat – handelt es sich um ein internes Behördenschreiben, "das leider ausgesprochen missverständlich und unpräzise formuliert ist". Es sei nur von einem einzigen Vollzugsteam für einen einzigen Fall verwendet worden, um die Bundespolizei auf die Rechtslage hinzuweisen und zugleich die Daten der zuständigen Dienststelle weiterzugeben, falls es zu einem Abbruch der Abschiebung komme.

Es handele sich "ausdrücklich nicht um eine Weisung, grundsätzlich Personen auf freien Fuß zu setzen", nur weil sie nicht abgeschoben werden wollen. Das Schreiben werde nicht mehr eingesetzt. Außerdem, so die Sprecherin, habe die Landesaufnahmebehörde auch gar keine Befugnis, der Bundespolizei eine solche Anweisung zu geben. Dasselbe kommunizierte die Landesaufnahmebehörde in einer Pressemitteilung zu dem Vorfall und spricht von einem "bedauerlichen Einzelfall".

Der "Bild"-Bericht vom 21. August 2024 wurde bis zum 30. Oktober nicht angepasst – er ist weiterhin online verfügbar. Auf Nachfrage, warum es keine Korrektur gab, verwies Unternehmenssprecher Christian Senft auf einen Folgeartikel vom 22. August. Darin wird die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens mit den Worten zitiert: "Es gibt keine Anweisung der Niedersächsischen Landesaufnahmebehörde an die Bundespolizei, Rückführungen bei Widerstandshandlungen abzubrechen." Auf den Kontext, dass eine gescheiterte Abschiebung kein Bleiberecht bedeutet, wird nicht näher eingegangen.

Wir erklären im Folgenden die Rechtslage.

Wer sich einer Abschiebung widersetzt, kommt entweder auf freien Fuß – oder in Haft

Wenn sich eine ausreisepflichtige Person, die in Deutschland in Freiheit lebt, der erzwungenen Rückkehr widersetzt oder diese anderweitig scheitert, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wird die Person in Haft genommen – oder sie wird auf freien Fuß gesetzt.

Im konkreten Fall war die Abschiebung abgebrochen worden, weil die Person Widerstand leistete, wie uns eine Sprecherin der Bundespolizei mitteilte. Die Person sei auf Anraten der Bundespolizei in Abschiebehaft genommen und wenige Tage später abgeschoben worden.

In Haft genommen werden dürften ausreisepflichtige Personen nur dann, "wenn dafür ein richterlicher Beschluss vorliegt", so die Sprecherin der niedersächsischen Landesaufnahmebehörde. Andernfalls müsse die Person "auf freien Fuß gesetzt und aufgefordert werden, sich eigenständig bei ihrer zuständigen Ausländerbehörde zu melden". Dafür würden ihr unmittelbar alle nötigen Informationen mitgeteilt. Und eben dieser Sachverhalt sei der Gegenstand und der eigentliche Grund für das Schreiben an die Bundespolizei gewesen. Festgehalten ist das in den Paragrafen 71.3.1.2.3. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz.

Da die Person von der zuständigen Landesbehörde am Flughafen in die Zuständigkeit der Bundespolizei übergeben werde, entscheide die Bundespolizei darüber, ob eine Abschiebung abgebrochen werde oder nicht, so die Sprecherin. Gründe für einen Abbruch könnten etwa ein schlechter Gesundheitszustand der Person oder Widerstandshandlungen sein. Die bloße Aussage, dass man nicht abgeschoben werden möchte, reiche nicht. Auch ob die Widerstandshandlung zu einem Haftantrag bei Gericht führe, entscheide die Bundespolizei.

Wenn eine Person ausreisepflichtig ist und die Abschiebung scheitert, wird diese erneut eingeleitet

Wenn eine Abschiebung gescheitert ist, bedeute das folglich nicht den dauerhaften Verbleib der Person in Deutschland, so die Sprecherin der Landesaufnahmebehörde. "Die Person ist weiterhin ausreisepflichtig und die Abschiebung wird erneut eingeleitet." Beim zweiten Mal werde das Verhalten der Person, das zum Scheitern des ersten Abschiebeversuchs führte, berücksichtigt.

Solche Abbrüche kommen aber nicht häufig vor: Im ersten Halbjahr 2024 wurden von den 668 Abschiebungen, die die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen durchgeführt hat, 24 wegen Widerstandshandlungen abgebrochen. In 33 weiteren Fällen führten medizinische Gründe zum Abbruch, so Jonas Hartwig von der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen.

Verwendete Quellen

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