Fast drei Millionen Menschen in der chinesischen Sonderverwaltungsregion geben am Sonntag ihre Stimme ab. In der Nacht läuft die Auszählung. Die Demokraten ziehen davon. Für Regierungschefin Carrie Lam zeichnet sich eine Schlappe ab.
Mit einer Rekordbeteiligung bei den Bezirkswahlen und starken Zugewinnen für demokratische Kandidaten hat Hongkongs Bevölkerung der Protestbewegung den Rücken gestärkt. Wie die Wahlkommission in der Nacht zu Montag (Ortszeit) mitteilte, lag die Wahlbeteiligung bei 71,2 Prozent. 2,94 Millionen der 4,1 Millionen wahlberechtigten Hongkonger gaben demnach ihre Stimmen ab - so viele wie nie zuvor.
Der Erfolg stand früh fest
Die Auszählung begann direkt nach Schließung der Wahllokale. Laut der Hongkonger Zeitung "South China Morning Post" gingen am Montagmorgen gegen 05.15 Uhr (Ortszeit) 201 der 452 Bezirksratsposten an demokratische Kandidaten. Das waren fast die Hälfte der Posten - und damit bereits zu diesem Zeitpunkt weit mehr, als sie zuvor hatten. An das Pro-Peking-Lager, das bei den letzten Wahlen noch etwa drei Viertel der Sitze errungen hatte, entfielen demnach zunächst nur noch 28 Posten. Unabhängige Kandidaten sicherten sich zwölf Sitze. 211 Sitze der 18 Bezirksräte der Stadt waren noch nicht ausgezählt.
Erstmals seit Monaten erlebte die chinesische Sonderverwaltungsregion ein Wochenende ohne große Demonstrationen und Ausschreitungen. Stattdessen bildeten sich am Sonntag lange Warteschlangen vor den Wahllokalen.
Mit dem große Interesse an der Wahl unterstrichen die Hongkonger ihren Wunsch nach echter Demokratie und politischen Veränderungen und sendet zugleich eine klare Botschaft an Peking. Beobachter hatten in dem Urnengang ein Referendum darüber gesehen, ob die schweigende Mehrheit nach fast sechs Monaten andauernder Proteste noch hinter der Anti-Regierungsbewegung steht. Bleibt es bei dem starken Ergebnis für die Demokraten, wäre das zudem eine Schlappe für Regierungschefin Carrie Lam.
Peking wird trotz allem der Sieger sein
Dennoch haben die Wahlen vor allem symbolische Bedeutung, da die Bezirksräte der Stadt nicht wirklich über politische Macht verfügen. Sie können keine Gesetze verabschieden oder selbst nennenswerte Entscheidungen treffen. Als Gremien beraten sie die Regierung und machen Vorschläge, wie sich die Lebensqualität in den Stadtteilen verbessern lässt. Das bei der Wahl dominierende Lager erhält Sitze im 1200-köpfigen Wahlkomitee, das alle fünf Jahre den Hongkonger Regierungschef wählt. In dem Gremium ist aber sichergestellt, dass am Ende stets der von Peking favorisierte Kandidat gewinnt.
Mehr als 1000 Kandidaten traten bei diesen Lokalwahlen an. "Die Wahl ist die letzte Möglichkeit, unsere Meinung zu äußern. Die meisten Proteste wurden von der Regierung verboten", sagte ein 26 Jahre alter Bankangestellter nach der Abgabe seiner Stimme. "Bei den letzten Wahlen gab es in unserem Bezirk nur Pro-Peking-Kandidaten. Dieses Mal war auch eine demokratische Kandidatin dabei. Es hat sich etwas geändert."
"Wir wollen Demokratie"
Jason, ein 30 Jahre alter Freiberufler, wartete in der Schlange vor dem Wahllokal am Hongkonger Queen's College mehr als eine Stunde, bis er seine Stimme abgeben konnte: "Ich hätte auch noch länger gewartet. Wir wollen Demokratie und ein Ende der Polizeigewalt."
Gleich am Sonntagmorgen strömten auffällig viele junge Wähler in die Wahllokale. Die Beteiligung lag nach einer Stunde dreimal höher als zum gleichen Zeitpunkt bei der vorherigen Bezirkswahl 2015.
In Hongkong war es in den vergangenen zwei Wochen zu immer gewalttätigeren Zusammenstößen zwischen Polizei und radikalen Demonstranten gekommen. An den drei Tagen vor der Wahl blieb es allerdings ruhig in der Millionenmetropole.
Sie hoffe, dass die Stabilität der letzten Tage nicht nur mit den Wahlen zusammenhänge, sagte Regierungschefin Carrie Lam bei Abgabe ihrer Stimme. "Ich hoffe, dass niemand mehr Chaos in Hongkong will und wir diese schwierigen Zeiten mit einem Neustart hinter uns lassen können."
Das letzte Reservat der Meinungsfreiheit
Die Protestbewegung fordert seit Monaten Lams Rücktritt. Ihr Unmut richtet sich gegen die Regierung, das als brutal empfundene Vorgehen der Polizei und den wachsenden Einfluss der kommunistischen Führung in Peking.
Seit der Rückgabe 1997 an China wird die frühere britische Kronkolonie nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" unter chinesischer Souveränität autonom regiert. Die sieben Millionen Hongkonger genießen - anders als die Menschen in der Volksrepublik - viele Rechte wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit, um die sie jetzt aber fürchten. (best/dpa)
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