Emmanuel Macron hat sich für den Umbau der französischen Bahn das deutsche Modell der Bahnprivatisierung von 1994 auserkoren. Wie damals sei heute das französische Staatsunternehmen zu defizitär, ineffizient und koste den Staat zuviel. Doch taugt die Umstrukturierung der Deutschen Bahn zum Vorbild?
In Frankreich streiken die Bahnarbeiter wegen Emmanuel Macrons Umbauplänen der französischen Bahngesellschaft SNCF. Vorbild des innenpolitisch heiklen Projekts ist die Privatisierung der Deutschen Bahn von 1994.
Auch die Argumente für eine Privatisierung des Staatskonzerns ähneln jenen, die zur Gründung der Deutschen Bahn AG (DB) führten: Hohe öffentliche Kosten, Schulden, Ineffizienz. Doch taugt das deutsche Modell wirklich zum Vorbild? Was ist geblieben von den Versprechungen der 1990er Jahre?
Befürworter der DB-Privatisierung verweisen gerne auf schönere und schnellere Züge, sauberere Toiletten, die modernere Austattung in den Bahnen, besseren Service und steigende Passagierzahlen. Als AG sei die DB effizienter, schlanker, rentabler. Und tatsächlich liefert der Konzern zuletzt Rekordgewinne von weltweit 765 Millionen Euro, von denen hauptsächlich der Staat als hundertprozentiger Anteilseigner profitiert.
Dagegen sei die staatlich geführte DB hochdefizitär gewesen, ineffizient, schlecht geführt und kaum wettbewerbsfähig im internationalen Vergleich.
Stimmt das? Zunächst: Mit der Bahnreform vom Januar 1994 wurde die DB in eine private Rechtsform überführt, blieb jedoch im Besitz des Staates. Die Pläne, Anteile an der Börse zu verkaufen, wurden mit der Finanzkrise 2008 auf Eis gelegt. Es handelt sich bei der DB also um eine Hybridform: ein privat geführter Konzern in Staatshand.
Die Ziele der Umstrukturierung waren laut der damaligen Regierung unter Helmut Kohl eine stärkere Verlagerung des Verkehrsaufkommens auf die Schiene, die Entlastung des Bundeshaushalts und die Schaffung eines effizienten und wettbewerbsfähigen Bahnunternehmens. Was davon darf als gelungen gelten?
Ziel 1: Mehr Verkehr auf die Schiene
Dieses Ziel muss über 20 Jahre nach der Privatisierung als gescheitert gelten. Zwar hat der weiterhin hoch bezuschusste Schienennahverkehr für Personen seinen Marktanteil zwischen 1996 und 2013 um ein Prozent auf 4,6 Prozent gesteigert. Der Schienengüterverkehr aber stagniert bei etwa 17 Prozent und der Personenfernverkehr auf der Schiene ist gegenüber Straßen- und vor allem Luftverkehr mit einem Anteil von 3,6 auf 3,2 Prozent sogar rückläufig.
Somit hat sich trotz der 80 Milliarden Euro, die seit 1994 in den Ausbau des Schienennetzes gesteckt wurden, der Marktanteil kaum erhöht.
Ziel 2: Die Entlastung des Bundeshaushalts
Der deutsche Staat bringt weiterhin Jahr für Jahr Milliarden auf, die in Ausbau und Instandhaltung des Schienennetzes fließen. Insbesondere der Schienennahverkehr wird hauptsächlich durch öffentliche Gelder finanziert. Die Dividenden der DB an den Bund im dreistelligen Millionenbereich fallen dem gegenüber kaum ins Gewicht.
Weite Teile des Bundeseisenbahnvermögens dagegen, etwa Grundstücke stillgelegter Strecken oder Eisenbahner-Wohnungen, wurden durch die DB "versilbert" und dienten in der Vergangenheit häufig der Aufbesserung negativer Bilanzen.
Ziel 3: Ein effizientes und wettbewerbsfähiges Bahnunternehmen
Als die DB 1994 formell privatisiert wurde, übernahm die öffentliche Hand sämtliche damalige Schulden in Höhe von rund 48 Milliarden D-Mark, die inflationsbereinigt heute etwa 15 Milliarden Euro entsprechen. Dafür sollte der neue Konzern betriebswirtschaftlich rentabel operieren. Seitdem häufte die DB über 18 Milliarden Euro an neuen Schulden an.
Hinzu kommt, dass sich die Preise für Einzelleistungen im Bahnverkehr in den letzten 23 Jahren mehr als verdoppelt haben. Kostete die BahnCard50 bei ihrer Einführung 1992 noch umgerechnet 112 Euro, müssen derzeit 255 Euro dafür aufgebracht werden, 228 Prozent Preissteigerung in einem knappen Vierteljahrhundert.
Zum Vergleich: Ein Liter Super kostete 1992 durchschnittlich umgerechnet 87 Cent, aktuell ist E5-Super für etwa 1,40 Euro zu haben. Eine Steigerung um etwa 62 Prozent. Und Flugticketpreise haben sich im selben Zeitraum durchschnittlich halbiert.
Erfolgreiche Privatisierungen der Vergangenheit
Dabei sind Privatisierungen in der Vergangenheit oft erfolgreich gewesen. So vergessen viele, dass etwa Volkswagen, Lufthansa oder die Vorläufer des E.on-Konzerns, VEBA und VIAG, Staatsunternehmen waren. Heute sind das alles hochprofitable und konkurrenzfähige Konzerne von Weltrang. Auch die Privatisierung der Post und der Telekom darf als gelungen bewertet werden.
Andere Privatisierungen wie etwa der Bundesdruckerei dagegen konnten die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. 2009 wurde die Bundesdruckerei wieder voll verstaatlicht.
Im Koalitionsvertrag einigte sich die neue Regierung darauf, den Fokus wieder verstärkt auf den Ausbau der Bahn und nicht länger auf Profitabilität zu setzen. Eine Veräußerung der Bundesanteile oder einen Börsengang lehnen die Koalitionspartner ab.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.