Einen Tag vor der Präsidentschafts- und Parlamentswahl in der Türkei hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Anhänger zum gemeinsamen Gebet in der Hagia Sophia in Istanbul aufgerufen. Bei einer Kundgebung vor Unterstützern feierte der islamisch-konservative Erdogan am Samstag erneut seine Anordnung aus dem Jahr 2020, das einst als christliche Kirche errichtete Gebäude wieder zur Moschee umzuwidmen, als Erfolg.

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Erdogans aussichtsreicher Konkurrent Kemal Kilicdaroglu wollte hingegen zum Wahlkampfabschluss das Mausoleum zu Ehren des laizistischen Gründers der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, besuchen.

Ablenkung von Wirtschaftskrise

"Der ganze Westen ist ausgeflippt! Aber ich habe es gemacht", sagte Erdogan vor seinen Anhängern zur Umwidmung der Hagia Sophia. Der Präsident, dessen Wählerbasis zu einem großen Teil aus religiös-konservativen und nationalistischen Wählern besteht, hatte im Wahlkampf stark auf religiöse Themen und Kulturkampf gesetzt. Die Oppositionsparteien hinter Kilicdaroglu bezeichnete der Chef der islamisch-konservativen Partei AKP als "Pro-LGBT-Lobby" und warf ihr vor, von verbotenen kurdischen Gruppen unterstützt und vom Westen finanziert zu werden. Beobachter sehen in der schrillen Rhetorik einen Versuch, Wähler von der schwersten Wirtschaftskrise seit Erdogans Amtsantritt abzulenken.

50 Prozent der Stimmen zum Sieg

Am Sonntag wählt die Türkei einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament. Rund 64,3 Millionen Türkinnen und Türken - darunter sechs Millionen Erstwähler - sind zur Stimmabgabe aufgerufen. Erringt keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen, treten die zwei Bestplatzierten zwei Wochen später in einer Stichwahl gegeneinander an.

Für den seit 20 Jahren regierenden Erdogan könnte es eng werden. Sein Widersacher Kilicdaroglu von der sozialdemokratischen CHP liegt mit seinem Bündnis aus sechs Oppositionsparteien den meisten Umfragen zufolge vorn. Zudem könnte der am Donnerstag erfolgte Rückzug des säkular-nationalistischen Kandidaten und Erdogan-Widersachers Muharrem Ince aus dem Rennen die Chancen der Opposition weiter erhöht haben.

Erdogan will Niederlage akzeptieren

In einem am Freitag auf mehreren türkischen Fernsehsendern ausgestrahlten Interview versprach Erdogan, eine mögliche Wahlniederlage anzuerkennen. Auf die Frage, was er bei einer Niederlage täte, entgegnete Erdogan zunächst, dies sei "eine sehr dumme Frage". Er ergänzte: "Wir sind auf demokratischem Wege und mit der Unterstützung unseres Volkes an die Macht gekommen: Wenn unsere Nation eine andere Entscheidung trifft, werden wir tun, was die Demokratie verlangt. Es gibt nichts anderes zu tun."

Gegenkandidat will Präsidialsystem abschaffen

Während Erdogans Gegenkandidat Kilicdaroglu am Samstag dem Atatürk-Mausoleum einen symbolträchtigen Besuch abstatten wollte, wollte sein seit 2019 als Bürgermeister von Istanbul amtierender Parteifreund Ekrem Imamoglu noch vier Wahlkampftermine in der Millionenmetropole wahrnehmen.

Kilicdaroglu selbst hatte am Freitag bei einem Auftritt in Ankara versprochen, im Falle seiner Wahl das von Erdogan eingeführte Präsidialsystem abzuschaffen. Unter anderem soll künftig wieder das Parlament den Regierungschef wählen. Dafür müsste die Opposition allerdings auch die ebenfalls am Sonntag stattfindende Parlamentswahl gewinnen.   © AFP

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