Wie kaum ein anderer Ort steht das polnische Auschwitz für die industrielle und massenhafte Vernichtung des jüdischen Volkes durch Deutsche. Deren heutiges Staatsoberhaupt nimmt 75 Jahre nach dem Ende des dortigen Schreckens Überlebende mit auf seine schwere Reise.
Noch einmal machte sich Peter Gardosch auf den Weg nach Auschwitz. Ganz genau hat der 89-Jährige den furchtbaren Tag im Juni 1944 in Erinnerung, als er zum ersten Mal nach Auschwitz kam: Entkräftet stieg er damals aus einem Viehwaggon, die Nazis ermordeten seine Mutter, die Großmutter und die kleine Schwester.
Nun, als hochbetagter Mann, trat Gardosch die Reise noch einmal an: In einem Flugzeug der deutschen Regierung, als Ehrengast des Bundespräsidenten.
Ein roter Teppich für ehemals Todgeweihte
Anlass des Besuchs: Der 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch sowjetische Truppen. Ein roter Teppich lag am Flughafen Krakau aus, als der Airbus der Regierung aus Berlin aufsetzte.
"Dass ich mit dem Bundespräsidenten hinfliegen kann, ist eine ganz große Ehre", sagte Gardosch, der als 13-Jähriger nach Auschwitz deportiert worden war.
Für den gebürtigen Siebenbürgener war die Gedenkreise an diesem sonnigen Wintertag eine ganz persönliche Trauerfahrt: "Ich besuche das Grab meiner Mutter, meiner Großmutter, meiner kleinen Schwester, die dort ermordet wurden." Fast nichts ist ihm von seiner Familie geblieben - "nur ein paar Saphirohrringe meiner Mutter".
Exakt an diesem Montag jährt sich zum 75. Mal jener Tag, an dem sowjetische Truppen das Vernichtungslager erreichten, die letzten Gefangenen befreiten - und der Welt den Blick auf ein Menschheitsverbrechen ermöglichten, das bis dahin kaum jemand für möglich gehalten hatte.
Es ist ein Jahrestag, der noch einmal den Überlebenden gehören soll: Drei frühere Auschwitz-Insassen nahm Steinmeier mit zu der Gedenkzeremonie. Neben dem 89-jährigen Gardosch waren das Pavel Taussig und Hermann Höllenreiter, beide 86 Jahre alt.
"Auschwitz kann immer wieder geschehen"
"Wir sind dankbar, dass uns Überlebende heute hier begleitet haben", sagte der Bundespräsident - und schlug einen Bogen zum erstarkenden Antisemitismus von heute: Die Bitte der Überlebenden sei, Auschwitz zu begreifen als "Verantwortung, den Anfängen zu wehren, auch in unserem Land". Ins Gästebuch der Gedenkstätte schrieb er: "Wir wissen, was geschehen ist, und müssen wissen, dass es wieder geschehen kann."
Nur noch etwas mehr als hundert Auschwitz-Überlebende hatten sich zu der Zeremonie angesagt. Vor fünf Jahren waren es noch mehr als 300.
Wer den Schrecken von Auschwitz überlebt hat, ist heute hochbetagt. Nicht jeder kann mehr seine Geschichte erzählen: Gebrechlichkeit lässt sie verstummen. Demenz raubt die Erinnerung. Die Nummern, welche die Nazis ihnen auf die Haut tätowierten, bleichen aus.
Wie lässt sich das Gedenken gestalten, wenn die letzten Zeitzeugen verstummt sind? "Sagt der Jugend, dass sich das nie wiederholen soll", mahnte der Auschwitz-Überlebende Gardosch. Ihn treibt die Sorge um, dass Antisemitismus in Deutschland wieder salonfähig wird. "Es gibt jetzt wieder diesen plätschernden, bürgerlichen Antisemitismus."
Steinmeier: "Ein Ort der deutschen Schuld"
Steinmeier sprach in Auschwitz vom "Bösen, das noch vorhanden ist". Auschwitz, das sei ein "Ort der deutschen Schuld", es sei "die Summe von völkischem Denken, Rassenhass und nationaler Raserei".
Unter den Rednern der Gedenkzeremonie waren vier Lager-Überlebende. Sie sollten noch einmal vor Augen führen, wie die Todgeweihten in den Zügen ankamen - hunderttausende, Millionen. Aus Berlin und München, Budapest und Wien. Frauen und Kinder, Alte und Kranke. Die Qualen, die Entkräftung, die abgrundtiefe Unmenschlichkeit - sie haben sie selbst miterlebt. (AFP/hau)
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