Experten haben die Sprache der AfD genau unter die Lupe genommen. Das bezwecken die AfD-Politiker mit den ständigen Provokationen.

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Die AfD tut sich regelmäßig mit Provokationen hervor, vor allem rhetorischer Art. AfD-Politiker geben immer wieder Äußerungen maximaler Angriffslust von sich. Die sprachliche Welt der AfD und ihrer Anhänger ist gespickt mit Begriffen, die es in sich haben. Aber auch jenseits offensichtlicher Schmähungen und rechter Referenzen verrät die Sprache der AfD und ihrer Mitstreiter viel über diese Partei. Was macht das mit den Debatten im Parlament - und in der Gesellschaft?

Das zeichnet die Sprache der AfD aus

Joachim Scharloth hat sich die Sprache der AfD genauer angeschaut. Der Sprachwissenschaftler analysierte unter anderem Wahlprogramme, Pressemitteilungen und Homepages der Bundespartei und mehrerer Landesverbände - und verglich diese mit denen der anderen Parteien. Dabei stach die AfD in mehreren Bereichen besonders heraus, erzählt der Forscher. Die Partei nutze zum Beispiel deutlich häufiger als alle anderen Anführungszeichen und Wörter wie sogenannt, angeblich, vermeintlich, spreche zum Beispiel von "sogenannten Flüchtlingen". "Die Partei signalisiert so Distanz zur herrschenden Semantik", sagt er. "Sie versucht, einen sprachlichen Gegenentwurf zu kreieren. Die Unterstellung dahinter ist, dass alle anderen die Sprache verhüllen."

Skandalisierende Vokabeln

Deutlich häufiger als bei anderen Parteien seien bei der AfD negative Adjektive und skandalisierende Vokabeln - wie Unding, Schlag ins Gesicht, verfehlt, fatal. "Das sind typische Vokabeln der AfD", sagt Scharloth. "Es gibt auch eine Häufung von Verschwörungsvokabular bei der Partei." Wörter wie Lug, Trug, verheimlichen, verräterisch, vertuschen - solche Dinge.

Und: Scharloth stieß bei seiner Untersuchung immer wieder auf Begriffe mit Bezügen zur NS-Zeit. Wörter wie gleichgeschaltet, Zersetzung, Journaille. Die Partei gebrauche Begriffe, die eine bestimmte Ideologie nahelegten, deren konkrete Bedeutung aber geleugnet werden könne.

Viele Nazi-Kampfbegriffe

"Die meisten wissen nicht, dass 'Journaille' ein Begriff ist, den Joseph Goebbels viel benutzt hat", sagt Scharloth mit Blick auf den Nazi-Propagandaleiter. "Das war ein Nazi-Kampfbegriff." Auch das Wort Zersetzung sei "ganz klar Nazi-Vokabular". Wörter wie Altparteien oder Lügenpresse - unter AfD-Mitgliedern viel genutzt - sind ebenfalls geprägt durch die NS-Zeit. Oder das im AfD-Umfeld beliebte Schimpfwort Volksverräter.

Andererseits versuche die AfD auch, sich von solchen Bezügen abzusetzen und den Spieß umzudrehen, sagt Scharloth. Wenn der AfD-Spitzenpolitiker Jörg Meuthen etwa davon spreche, Deutschland müsse "auch seine rot-grüne Vergangenheit (...) eines Tages aufarbeiten und bewältigen" oder wenn der Thüringer AfD-Mann Björn Höcke sage, Angela Merkels Kanzlerschaft sei das "dunkelste Kapitel" in der Geschichte der Bundesrepublik, würden damit Wendungen, die üblicherweise zur Beschreibung der NS-Zeit genutzt würden, umgemünzt auf die jüngere Vergangenheit und heutige Akteure.

Provokation mit System

Scharloth betont, auch andere Parteien hätten nicht immer einen geschichtsbewussten Umgang mit bestimmten Begriffen. Und ja, auch andere Parteien arbeiten mit rhetorischen Zuspitzungen, pointierten sprachlichen Attacken, die bisweilen zu weit gehen. Doch bei der AfD sehen Experten hier ein System und feste Muster.

Der Rechtsextremismus-Experte Timo Reinfrank sagt, die AfD arbeite mit bestimmten Narrativen, also Erzählungen, und versuche, diese in der gesellschaftlichen Debatte zu verankern: Erzählungen vom drohenden Untergang Deutschlands, vom Identitätsverlust, von der Bedrohung durch Massen von Migranten, von der Manipulation des Landes durch das Establishment.

Verschwörungstheorien verbreitet

"Ihre Methode sind Verschwörungstheorien", sagt der Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung. "Sie operieren mit Ängsten." Migrationsbewegungen würden viel mit Sprachbildern von Naturkatastrophen beschrieben: Flut, Welle, Tsunami. Es würden auch gezielt Feindbilder aufgebaut.

Der AfD-Spitzenmann Alexander Gauland etwa verkündete nach der Bundestagswahl, seine Partei werde die Kanzlerin "jagen". An anderer Stelle sagte er, man müsse die Integrationsbeauftragte "in Anatolien entsorgen". Zuletzt sorgte er mit der bagatellisierenden Aussage, die NS-Zeit "nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" für einen Eklat.

"Wir haben es bei der AfD mit einer aggressiven Sprache zu tun", sagt Heidrun Kämper vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Diffamierungen und Unterstellungen seien "ganz übliche Stilmittel".

Parteien passen sich an AfD an

Wird sich die Debattenkultur im Bundestag dadurch verändern? In den Landtagen sei die AfD schon mit vielen sprachlichen Provokationen aufgefallen, sagt Kämper. Das werde sicher auch im Bundestag nicht anders sein. Reinfrank meint, in den Landtagen, in denen die AfD vertreten sei, seien Sachfragen in den Debatten bisweilen in den Hintergrund gerückt - und die öffentliche Auseinandersetzung in den Vordergrund. "Es ist frappierend, wie andere Parteien sich dem anpassen." Auch Scharloth erwartet Provokationen von AfD-Politikern im Bundestag. "Sie werden einen neuen Zungenschlag reinbringen, aber nicht grundlegend die Debattenkultur im Parlament verändern."

Die Fachleute sorgen sich eher um Auswirkungen auf gesellschaftliche Debatten: Dass sich Begriffe, Sprachbilder und Argumentationen festsetzen. Dass die Hemmschwelle sinkt, bestimmte Wörter zu nutzen. "Mit jeder Provokation werden die Grenzen dessen erweitert, was sagbar ist", sagt Kämper. "Meine Sorge ist, dass eine Art von Gewöhnung eintritt und dass irgendwann nicht mehr auffällt, was da sprachlich passiert." (mss/dpa)

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