Das US-Außenministerium hat Osama bin Ladens Sohn Hamza als globalen Terroristen eingestuft. Experten rechnen damit, dass der 27-Jährige seinem Vater bald als Chef des Terrornetzwerks Al Kaida nachfolgen könnte.
Dunkle Augen, Turban, eher das Gesicht eines Kindes als das eines Jugendlichen: Die einzigen Fotos, die von Hamza bin Laden in der Öffentlichkeit kursieren, stammen aus dem Jahr 2001. Der Sohn des früheren Terroristenführers Osama bin Laden soll darauf zwölf Jahre alt sein. Wie er heute aussieht, ist nicht bekannt.
Allerdings gilt der 27-Jährige als Charismatiker, der bei islamistischen Kämpfern großen Rückhalt genießt – und dem gefürchteten Terrornetzwerk Al Kaida wieder mehr Aufmerksamkeit verschaffen könnte. Mit Audio-Botschaften hat Hamza bin Laden bereits demonstriert, dass er seinem 2011 getöteten Vater in dessen Radikalität nicht nachsteht.
In der vergangenen Woche hat das amerikanische Außenministerium bekannt gegeben, dass Hamza bin Laden jetzt auf der Liste der globalen Terroristen steht. In den USA darf er keinerlei Besitz haben, amerikanischen Staatsbürgern ist jeder Umgang mit ihm verboten.
Ein potenzieller Nachfolger
Hamza bin Laden wurde 1989 geboren. Er ist eines der mehr als 20 Kinder des Terroristen Osama bin Laden, der unter anderem hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA steckte. Hamza habe in der Kinderschar immer als "Lieblingssohn" seines Vaters gegolten, erklärte der Londoner Politikwissenschaftler Fawaz Gerges in einem Interview mit einem Radiosender der BBC.
Kein Wunder also, dass der heute 27-Jährige schon länger als neuer Anführer von Al Kaida gehandelt wird. Als US-Soldaten seinen Vater, den damals meistgesuchten Mann der Welt, im Mai 2011 in seinem Unterschlupf in Pakistan töteten, war Hamza offenbar nicht dort und überlebte. Sein Bruder Saad, der zuvor ebenfalls als Nachfolger des Vaters im Gespräch war, war bereits 2009 bei einem Drohnenangriff gestorben.
Nach dem Tod von Osama bin Laden hatte der Ägypter Ayman al-Zawahiri die Führung übernommen. Allerdings sei Al Kaida verzweifelt auf der Suche nach einem neuen Gesicht, so Fawaz Gerges. Im August 2015 gab al-Zawahiri bekannt, dass der junge bin Laden Mitglied der Al-Kaida-Führung sei.
Seitdem hat der Sohn des Top-Terroristen zu Anschlägen in den USA, Frankreich und Israel aufgerufen. Im vergangenen Jahr forderte er radikale Islamisten zudem auf, die Monarchie in Saudi-Arabien zu stürzen. Experte Fawaz Gerges sprach daher von einem möglichen Strategiewechsel, den Hamza bin Laden einleiten könnte: Bislang zielte Al Kaida vor allem auf die USA und Europa als Hauptfeinde. Jetzt könne das Netzwerk verstärkt auch im arabischen Raum zuschlagen, um im Wettkampf mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) wieder von sich reden zu machen.
Al Kaida ist aus dem Fokus geraten
Seitdem der IS sein Terror-Kalifat errichtet und Anschläge in Europa beauftragt hat, ist bin Ladens Netzwerk in den Hintergrund geraten. Zwar hatten sich die Kouachi-Brüder, die 2015 den Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo verübt hatten, in Al-Kaida-Camps im Jemen ausbilden lassen. Insgesamt richtet sich die Aufmerksamkeit aber inzwischen eher auf die Schreckenstaten des IS.
Dabei hat auch Al Kaida seinen Schwerpunkt von Afghanistan und Pakistan stärker in den Nahen Osten verlagert. Als mächtigste Filiale des Netzwerks gilt heute der Ableger im Jemen. Auch die Nusra-Front, die im syrischen Bürgerkrieg kämpft, galt lange als Zweig von Al Kaida, hat sich inzwischen aber zumindest offiziell davon gelöst.
Al Kaida und der IS verfolgen unterschiedliche Strategien. Der IS unter der Führung von Abu Bakr al-Baghdadi setze auf territoriale Expansion, Al Kaida sei bei der Ausrufung eines Kalifats vorsichtiger, erklärte Peter Neumann, Terrorismus-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel. Al Kaida wolle zunächst ein stabiles Gebilde aufbauen, ehe es einen Staat ausrufe. Deswegen versuche das Netzwerk zum Beispiel in Syrien, Allianzen mit anderen Gruppen aufzubauen – im Gegensatz zum IS, der sich dort viele Feinde mache.
Keine ideologische Feindschaft
Für eine Annäherung zwischen Al Kaida und dem IS müsste sich der eine dem anderen unterordnen. Peter Neumann glaubt daher nicht, dass sich die Organisationen zusammenschließen werden – zumindest nicht unter den gegenwärtigen Führungsriegen.
Bei dem Thema kommt für andere Wissenschaftler allerdings wieder Hamza bin Laden ins Spiel. Die Feindschaft zwischen Al Kaida und dem IS beruhe nicht auf ideologischen Gegensätzen, sondern auf der persönlichen Feindschaft der Anführer al-Zawahiri und al-Baghdadi, schreibt Rohan Gunaratna, Professor für Sicherheitsstudien an der Nanyang-Universität in Singapur, in einem Beitrag für die Zeitschrift Today.
Würde einer der beiden sterben oder abtreten, wäre möglicherweise der Weg frei für eine Verbrüderung der Organisationen. Für den Kampf gegen den islamistischen Terror könnte das eine gefährliche Nachricht sein. Denn dann könnte sich der in radikalen Kreisen des Nahen Ostens gute Ruf von Al Kaida mit der grausamen Skrupellosigkeit des IS verbinden.
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