Die Inflation in Deutschland bleibt hoch. Auch im August lag die Teuerungsrate bei 6,1 Prozent. Hinzu kommt: Ihr Charakter verändert sich. Sie wird nicht mehr nur durch höhere Preise für Energie und Nahrungsmitteln befeuert. Was tun?

Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann und Leon Kottmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ein Befund, der lange Zeit undenkbar erschien: Die Inflation in Deutschland ist zurück – und sie setzt sich fest. Im August stiegen die Verbraucherpreise um 6,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das ist etwas weniger als im Juli (6,2 Prozent) und im Juni (6,4 Prozent). Aber: Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten einen Rückgang auf sechs Prozent erwartet.

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Der Preisauftrieb hat sich zwar verlangsamt, allerdings zogen die Preise schon vor einem Jahr deutlich an. Von einem erhöhten Niveau ging es also weiter nach oben. Das Leben in Deutschland wird immer teurer.

Wirtschaftsforscher rechnen mit sinkender Inflation, aber ...

Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), rechnet damit, dass die Inflation ihren Höhepunkt überschritten hat. "Wir gehen davon aus, dass sie in den nächsten Monaten weiter sinkt", sagte der gewerkschaftsnahe Ökonom kürzlich im Interview mit unserer Redaktion.

Mit dieser Ansicht ist er nicht allein. Auch andere Forschungsinstitute sehen abnehmende Inflationsraten. Im kommenden Jahr dürfte wieder eine zwei vor dem Komma stehen – damit wäre die Preisentwicklung nahe dem Zwei-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB).

Eine Aussicht, die beruhigt. Andererseits: Eine abnehmende Inflationsrate heißt nicht, dass die Preise sinken. Es heißt nur, dass sie nicht mehr ganz so stark steigen. Und überhaupt: Die Inflationsgefahr ist damit noch nicht gebannt. Dafür lohnt es, den Blick auf die sogenannte Kerninflation zu richten. Sie beschreibt die Teuerungsrate ohne häufige Ausschläge bei Energie und Nahrungsmitteln. Dieser Wert verharrte im August bei 5,5 Prozent.

Russlands Krieg hat die Inflation explodieren lassen

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sind die Energiepreise förmlich explodiert, die Kerninflation schnellte nach oben und zog die reguläre Inflation nach. Inzwischen nähern sich Kerninflation (5,5 Prozent) und Inflation (6,1 Prozent) immer mehr an. Schon bald aber könnte die Kerninflation über der regulären Teuerungsrate liegen.

Das Münchener Ifo-Institut rechnet mit einer allgemeinen Inflation von 2,1 Prozent im nächsten Jahr – und einer Kerninflation von über drei Prozent. "Das ist deutlich zu hoch", sagt Ifo-Ökonom Sascha Möhrle im Gespräch mit unserer Redaktion.

Was Wirtschaftsforscher mit Sorge beobachten, ist, dass sich die Inflation verfestigen könnte, es quasi zu mehreren Wellen kommt. Sogenannte Zweitrundeneffekte sind bereits zu beobachten, sie erklären die hohe Kerninflation. Auslöser war der Preissprung bei Energie und Nahrungsmitteln in Folge des Kriegs – Ökonomen sprechen von einem negativen externen Schock –, der eine Bewegung in Gang gesetzt hat.

Die Gewerkschaften handelten wegen der gestiegenen Preise höhere Löhne aus, die die Unternehmen wiederum an die Kunden weitergeben. Das heizt die Inflation zusätzlich an, was zur Folge hat, dass die Arbeitnehmer erneut höhere Löhne fordern. Was die Preise weiter treibt. Eine Entwicklung, die sich selbst verstärkt. Ökonomen und Notenbanker warnen bereits vor der berüchtigten Lohn-Preis-Spirale.

Auch Unternehmensgewinne treiben Inflation

Es wäre allerdings verkürzt, die Gewerkschaften für die Preissprünge verantwortlich zu machen. Ohne höhere Entgelte hätten die Beschäftigten Reallohnverluste erlitten. Ohnehin mussten die Deutschen im Schnitt mit zwei Prozent weniger Geld auskommen. Die Löhne stiegen also nicht so stark wie die Inflation.

Und auch viele Firmen nutzten zuletzt die Gelegenheit und erhöhten die Preise über Gebühr, sie bauten also ihre Gewinnmargen aus. Das fiel im allgemeinen Inflationschaos erst nicht auf, ist mittlerweile aber durch Studien belegt.

Was den größeren Einfluss auf die Entwicklung der Kerninflation hat, die Lohnerhöhungen oder die steigenden Gewinne, lässt sich nur schwer feststellen, sagt ifo-Forscher Möhrle. Klar sei, dass beide Faktoren einen wesentlichen Einfluss hatten. Was also tun?

Was tun gegen die Kerninflation?

Die Gemengelage ist nicht einfach. Es ist Aufgabe der Geldpolitik, für stabile Preise zu sorgen. Die Zentralbank ist also gefordert. Erst im Juli hatte die EZB den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte angehoben – zum neunten Mal innerhalb eines Jahres. Er liegt nun bei 4,25 Prozent. Mit höheren Zinsen versucht die EZB, die Nachfrage zu drücken. Unternehmen und Privathaushalte investieren weniger, da die Kredite teurer werden.

Die Kehrseite: Hohe Zinsen bremsen die wirtschaftliche Dynamik. Ein Punkt, der vor allem für die Bundesrepublik von Bedeutung ist. Das Land bewegt sich an der Grenze zur Rezession, die Wachstumsaussichten sind mau und es fehlt der Ampel-Koalition an einem gemeinsamen Verständnis von dem, was zu tun ist. Der Streit um den Umgang mit der Schuldenbremse zeigt, wie weit SPD und Grüne einerseits und die FDP andererseits in der Wirtschafts- und Finanzpolitik auseinanderliegen.

Ökonomen raten: Zinspolitik erst wirken lassen

Derweil plädieren Ökonomen – zumindest beim Thema Zinsen – dafür, zunächst abzuwarten, nichts zu überstürzen. "Geldpolitik wirkt erst mit Verzögerung", sagte Ifo-Forscher Möhrle. Soll heißen: Die letzten Zinserhöhungen sind noch nicht in der Realwirtschaft angekommen, ihr Effekt somit noch nicht ablesbar. Auch IMK-Direktor Dullien sagte unserer Redaktion: "Es wäre gut, zunächst eine Pause einzulegen und sich die Daten genau anzuschauen".

Denkbar also, dass sich in einigen Monaten auch die Kerninflation in die richtige Richtung bewegt. Nämlich nach unten. Bei den Energiepreisen und bei Lebensmitteln zeigt der Trend bereits in diese Richtung. Andererseits sind die Lohnerhöhungen, die die Gewerkschaften auf breiter Front ausgehandelt haben, noch nicht überall wirksam. Gerade bei Dienstleistungen könnte die nächste Preisrunde bereits bevorstehen.

Oder anders ausgedrückt: Es ist nicht ausgemacht, ob die nächste Welle der Inflation schon anrollt.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Sebastian Dullien
  • Gespräch mit Sascha Möhrle
  • sueddeutsche.de: Jetzt kommt die zweite Welle der Inflation
  • tagesschau.de: Warum ist die Inflation so hartnäckig?
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