Die Sozialversicherungsbeiträge sind zuletzt gestiegen – und sie könnten kräftig weitersteigen. Davor warnt die Krankenkasse DAK-Gesundheit. Wie aber lässt sich die Beitragsspirale stoppen? An Vorschlägen mangelt es nicht.
Eigentlich ist das deutsche Sozialversicherungssystem eine gute Sache. Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen zusammen in die Sozialsysteme ein – und die Arbeitnehmer profitieren dadurch von einer Krankenversicherung und zumindest von einer gewissen Vorsorge für das Alter. Doch das System gerät immer stärker unter Druck.
Ausgaben der Krankenkassen sind stark gestiegen
Die sogenannte Babyboomer-Generation geht jetzt und in den kommenden Jahren in Rente. Mehr Menschen müssen in der Zukunft gepflegt werden, außerdem steigen die Kosten für Behandlungen und Medikamente: 2023 lagen die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen bei insgesamt 306 Milliarden Euro – rund 100 Milliarden Euro mehr als 2015. Eine große Mehrheit der gesetzlichen Kassen hat zuletzt die Zusatzbeiträge erhöht, die auf den eigentlichen Beitragssatz aufgeschlagen werden.
Diese Entwicklung könnte sich fortsetzen. Das geht aus einer Studie des unabhängigen IGES-Instituts im Auftrag der Krankenkasse DAK-Gesundheit hin. Sie wurde am Dienstag in Berlin vorgestellt. Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung liegen derzeit – inklusive Zusatzbeitrag – im Schnitt bei 17,5 Prozent des Bruttolohns. Der Studie zufolge könnte der Beitragssatz 2026 auf 18 Prozent und in den kommenden zehn Jahren sogar auf 20 Prozent steigen.
DAK-Chef Storm: "Ein gravierendes Finanzierungsproblem"
Inklusive der anderen Sozialversicherungen könnte demnach der komplette Beitragssatz bis 2035 auf 49,7 Prozent des Bruttolohns springen. Die Studienautoren rechnen nämlich auch in der Renten-, der Pflege- und der Arbeitslosenversicherung mit Beitragssteigerungen.
"Es gibt ein gravierendes Finanzierungsproblem im Sozialsystem, das kurzfristig gelöst werden muss und kann, um Versicherte und Arbeitgeber nicht weiter zu belasten", erklärte DAK-Vorstandschef Andreas Storm am Dienstag.
Stärkung der Einnahmen
Auch im Bundestagswahlkampf spielt das Thema eine Rolle. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck hat vorgeschlagen, Sozialversicherungsbeiträge auch auf Kapitaleinkünfte zu erheben, also etwa auf Sparzinsen und Aktien-Dividenden. Das soll mehr Geld in die Kassen bringen und verhindern, dass nur die Arbeitslöhne belastet werden. Allerdings hat der Vorstoß für große Verunsicherung gesorgt, weil Kleinsparer um ihr Geld fürchten – und die Grünen bisher nicht sagen konnten, ab welcher Höhe der Kapitaleinkünfte die Abgaben erhoben werden sollen.
Es gäbe weitere Möglichkeiten, die Einkünfte der Sozialversicherung zu stärken. Noch stärkere Bundeszuschüsse aus dem Steuertopf etwa. Das schlagen die Krankenkassen vor. Die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler dürfen aus Sicht von DAK-Chef Andreas Storm "nicht für Dinge aufkommen, die Sache der Steuerzahler sind".
Die Parteien des linken Spektrums sprechen sich wiederum für eine Zusammenlegung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung in einer Bürgerversicherung aus. Allerdings ist eine politische Mehrheit derzeit dafür nicht absehbar.
Sepp Müller (CDU): "Hausarztmodell kann ein Vorbild sein"
Aus der Politik gibt es auch Forderungen, zunächst an der Ausgabenseite anzusetzen. "Um die Beitragsspirale zu durchbrechen, brauchen wir eine ehrliche Diskussion über die Ausgaben und Einnahmen unserer Sozialversicherungssysteme", sagt Sepp Müller, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, unserer Redaktion. Er spricht sich für eine stärkere Patientensteuerung im Gesundheitssystem aus. "Hier kann das Hausarztmodell ein Vorbild sein", sagt Müller.
Dieses Modell besagt, dass der Hausarzt oder die Hausärztin die eigenen Patienten durch das Gesundheitssystem lotst. Die Hausarztpraxis ist dann immer die erste Anlaufstelle. Das soll auch die Fachärzte und Fachärztinnen und auf lange Sicht die Finanzen der Kassen entlasten.
Auch aus Sicht von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) muss die Politik an der Ausgabenseite ansetzen: Er will durch große Strukturreformen – wie die vor kurzem beschlossene Krankenhausreform – die Kosten des relativ teuren deutschen Gesundheitssystems senken. Außerdem brauche Deutschland eine bessere Vorbeugemedizin, damit mehr Menschen gar nicht erst schwer krank werden und dann die Krankenkassen belasten. "Es ist viel zu wenig gemacht worden, um Zuckerkrankheit, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu vermeiden", sagte Lauterbach vor kurzem im Interview unserer Redaktion.
Verwendete Quellen
- Agence France-Presse (afp)
- Stellungnahme von Sepp Müller, CDU
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