Erbarmungslos, barbarisch und zu allem entschlossen - so gerieren sich die Milizen des Islamischen Staats (IS) in ihren Propaganda-Videos. Mit der Enthauptung des US-Fotojournalisten James Foley erklärte die Terrororganisation der gesamten zivilisierten Welt den Krieg. Im Gespräch mit unserem Portal erläutert Dr. Henner Fürtig vom GIGA Institut für Nahost-Studien, welche Interessen IS verfolgt, wieso auch Europäer für die Terroristen aktiv sind und ob sich IS zu einer globalen Gefahr entwickelt.

Mehr aktuelle News

Herr Dr. Fürtig, welche Motivation steht hinter der Entführung westlicher Personen und der Enthauptung des US-Journalisten James Foley?

Dr. Henner Fürtig: Entführungen wie die von James Foley sind zwar erschütternd, aber nicht neu. Das hat bei Terrororganisationen im Grunde Tradition. Man will damit – und mit der Enthauptung – die eigene Gefährlichkeit und Entschlossenheit demonstrieren.

Wird die IS-Miliz zur weltweiten Gefahr?

Es gibt zahlreiche Terrorgruppen, die sich im Dunstkreis von Al Kaida und IS befinden. Aber diese agieren nicht nur im Nahen Osten, sondern auch auf den Philippinen, in Indonesien oder möglicherweise auch in Malaysia, also in Ländern mit einer starken muslimischen Bevölkerungsgruppe. Die beziehen sich allenfalls ideologisch auf Al Kaida, die nur noch im Maghreb eine wirklich starke Vertretung hat.

Nehmen solche Terror-Akte in Zukunft zu?

Das ist nicht auszuschließen. Wir haben lokale Terrororganisationen wie Boko Haram in Nigeria, wir haben starke Gruppen am Horn von Afrika, im Maghreb, in Somalia und auch im Jemen. Diese Gruppen sind seit mindestens zehn Jahren sehr aktiv. Es gibt also mittlerweile sehr viele "Al Kaidas".

Wie unterscheiden sich IS und Al Kaida?

Die Hochzeit des Terrornetzwerks Al Kaida ist längst vorbei. Al Kaida hat als feste Gruppe nur kurzzeitig existiert für die Vorbereitung und Durchführung von "9/11" und für Folgeaktionen in London und Madrid. Viele Terrorgruppen bedienen sich zwar des Nimbus von Al Kaida, handeln aber selbstständig. Al Kaida hat nicht mehr die zentrale Steuerung von internationalen Terroraktionen inne, etwa von Afghanistan aus, wo der jetzige Al Kaida-Chef al-Zawahiri sitzt.

IS handelt weitgehend selbstständig. Die Verbindungen zu Al Kaida bestehen nur noch über ein loses Netzwerk und die Anlehnungen an die Vergangenheit, in ähnlichen Zielen, aber nicht mehr im Sinne einer direkten Befehlskette.

(Anm.d.Red.: Bereits im vergangenen November hatte Al Kaida-Chef Zawahiri verfügt, dass sich die Terrorgruppe IS aus Syrien zurückzieht. Zawahiri distanzierte sich dabei von IS. Alleinigen Vertreteranspruch in Syrien hätte die Al Kaida-nahe "Al Nusra"-Front. Isis-Chef Al Bagdadi ignorierte Zawahiris Anweisung allerdings.)

Wie läuft die Rekrutierung und warum kämpfen offenbar zahlreiche Europäer für die IS-Miliz?

Die werden nicht im eigentlichen Sinne rekrutiert. Es gibt kaum nachprüfbare Informationen darüber, ob etwa in Deutschland irgendjemand von IS um Mitglieder wirbt. Das ist eher anders herum: Junge Leute, die islamistisch indoktriniert werden, hoffen, dass sie eine gottgefällige Tat tun, indem sie sich den Kämpfern von IS anschließen.

Man sieht, dass man im Nordirak und in Nordsyrien jetzt sowas wie ein islamistisch regiertes Territorium hat, das es vorher nicht gab. Al Kaida saß immer im Verborgenen in den afghanischen Bergen. Jetzt hat man für die islamistischen Ziele ein eigenständiges Operationsgebiet erobert, das zieht natürlich diejenigen an, die mit dieser Ideologie ohnehin liebäugeln. Die Sogwirkung geht von IS aus. Die müssen gar nicht werben.

Wir dürfen dabei aber die Relation nicht aus den Augen verlieren: Die europäischen Glaubenskämpfer bei den ca. 15.000 IS-Kämpfern sind eine verschwindende Minderheit, die aber bei uns natürlich ein besonderes Augenmerk bekommt, weil sie medienwirksam sind.

Prof. Dr. Henner Fürtig ist seit Oktober 2009 Direktor des GIGA Institut für Nahost-Studien (IMES) in Hamburg

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.