Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu steht schon länger vor Gericht: Er muss sich Korruptionsvorwürfen stellen. Und geriert sich als Opfer: Vor Journalisten stellt er den Prozess als Hexenjagd und systematische Verfolgung seiner Person dar.
Der israelische Ministerpräsident
Vor dem Tel Aviver Bezirksgericht begann am Dienstagvormittag die mit Spannung erwartete Sitzung, bei der Netanjahu erstmals aussagen sollte. Netanjahu war mittags am Wort und begrüßte nach eigener Aussage die Gelegenheit, die "absurden Vorwürfe" gegen ihn zu widerlegen. Die Vorsitzende Richterin Rivka Friedman-Feldman ermahnte den 75-Jährigen zu Beginn wie üblich, "die Wahrheit und nur die Wahrheit" zu sagen.
Netanjahu dankte ihr Medienberichten zufolge und sagte: "Ich habe acht Jahre lang auf diesen Moment gewartet, um die Wahrheit zu sagen, so wie ich sie erinnere." Ohne Wahrheit gebe es keine Gerechtigkeit. Die Richterin gab der Bitte seines Anwalts statt, dass der Regierungschef während der Sitzungen Zettel mit wichtigen Informationen zu aktuellen politischen Entwicklungen erhalten dürfe.
Vor dem Gericht versammelten sich zahlreiche Demonstranten, die gegen Netanjahu und dessen Politik protestierten. "Gegen Korruption gibt es keine Immunität", stand auf einem der Schilder, die sie in die Höhe hielten.
Am Montagabend hatte Netanjahu den Prozess gegen ihn bei einer Pressekonferenz als systematische Verfolgung seiner Person kritisiert. Den Medien warf er vor, Lügen zu verbreiten. Zugleich kündigte der 75-Jährige an, er werde sich gegen die Vorwürfe zur Wehr setzen. "Ich werde reden."
Vorwürfe gegen Netanjahu: Betrug, Untreue, Bestechlichkeit
In dem im Mai 2020 begonnenen Prozess werden Netanjahu Bestechung, Betrug und Verletzung des öffentlichen Vertrauens in drei verschiedenen Fällen vorgeworfen.
Netanjahu und seine Frau Sara sollen zum einen von befreundeten Milliardären Luxusgüter wie Zigarren, Schmuck und Champagner im Wert von mehr als 260.000 Dollar als Gegenleistung für politische Gefälligkeiten angenommen haben. In zwei weiteren Fällen soll der Regierungschef versucht haben, mit israelischen Medien eine günstige Berichterstattung auszuhandeln. Ihm wird zudem vorgeworfen, als Kommunikationsminister dem Telekom-Riesen Bezeq Vergünstigungen gewährt zu haben.
Die Sitzung mit drei Richtern findet in einem unterirdischen Saal des Tel Aviver Bezirksgerichts statt, unter Leitung der Vorsitzenden Richterin Rivka Friedman-Feldman. Die Sitzung war aus Sicherheitsgründen aus Jerusalem dorthin verlegt worden.
Insgesamt zwölf Minister seines Kabinetts hatten wegen der israelischen Militäreinsätze im Gazastreifen und der Region eine Verschiebung der Befragung gefordert. Die Justiz lehnte das ab.
Lesen Sie auch
Mehrere Minister und Ministerinnen saßen mit im Gerichtssaal, um ihre Solidarität mit dem angeklagten Regierungschef zu demonstrieren. Netanjahu begrüßte sie bei seiner Ankunft lächelnd.
Erster Prozess gegen einen amtierenden Ministerpräsidenten in Israel
Es ist das erste Mal, dass ein amtierender Ministerpräsident in Israel vor Gericht steht. Der Prozess (Aktenzeichen 67104-01-20) könnte noch Jahre dauern. Netanjahu soll rund zwei Monate lang dreimal in der Woche aussagen.
Wiederholt hatte Netanjahu versucht, sein Erscheinen vor Gericht zu verzögern. Unter anderem hatte er wegen des Krieges im Gazastreifen und der Kämpfe im Libanon einen Aufschub des Verfahrens beantragt. Noch am Montag hatten ein Dutzend seiner Minister Generalstaatsanwalt Gali Baharav-Miara angesichts der aktuellen Ereignisse im Nachbarland Syrien um eine Vertagung des Prozesses gebeten.
Die Staatsanwaltschaft argumentierte jedoch, es sei im öffentlichen Interesse, das Verfahren so schnell wie möglich abzuschließen. Auch das Gericht lehnte alle Anträge ab. Der Prozess wird voraussichtlich mehrere Monate dauern. Anschließend ist ein Berufungsverfahren möglich. (dpa/AFP/bearbeitet von ank)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.