Die Debatte um die Stickstoffdioxid-Grenzwerte kommt nicht zur Ruhe. Experten fordern und erwarten eine Absenkung der bestehenden Belastungsgrenzen. Für die Bundesregierung wäre dies ein herber Rückschlag.

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Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) erwartet, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in absehbarer Zeit eine Absenkung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) empfehlen wird.

Derzeit werde in der WHO darüber beraten, ob der etwa in der EU geltende Grenzwert noch den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entspreche, sagte Professor Holger Schulz vom Helmholtz Zentrum München der "Welt" (Donnerstag). Es sei davon auszugehen, dass die WHO eine Absenkung vorschlagen werde.

"Absenkung der gesetzlichen Grenzwerte ist erforderlich"

Schulz zählt zu den Autoren des Positionspapiers, das die DGP im November zum Thema Luftschadstoffe vorgestellt hatte. Die DPG ist eine Vereinigung von 4.000 Lungenärzten und Wissenschaftlern, die größte und älteste medizinische Fachgesellschaft für Lungen- und Bronchialkrankheiten.

In dem Papier heißt es an zentraler Stelle: "Gesundheitsschädliche Effekte von Luftschadstoffen sind sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch bei Patienten mit verschiedenen Grunderkrankungen gut untersucht und belegt." Und: "Eine weitere deutliche Reduktion der Luftschadstoffbelastung ist geboten und eine Absenkung der gesetzlichen Grenzwerte erforderlich."

Schädigung schon ab 20 Mikrogramm Stickstoffdioxid

Konkret bedeutet das laut Schulz: "Bezogen auf Stickstoffdioxid ist nach meiner Ansicht ein Grenzwert von 30 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft sinnvoll." Der Stickstoffdioxid-Grenzwert liegt im Jahresmittel bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft und basiert auf Empfehlungen der WHO.

Schulz betonte, es sei Aufgabe der Politik, nicht der Wissenschaft, neue Obergrenzen zu formulieren. Fest stehe, dass Luftschadstoffe gesundheitsschädlich seien: "Das ist bereits bei Werten von 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nachweisbar."

Weitere Vorgaben für Grenzwerte zu machen, reiche zur Verbesserung der Luft nicht aus, so Schulz: "Die Menschen müssen selbst Verantwortung dafür übernehmen, dass sich die Luftqualität verbessert. Zum Beispiel, indem sie das Auto stehen lassen und, sagen wir, in zehn Prozent der möglichen Fälle auf eine Fahrt damit verzichten."

In mehreren deutschen Städten, zum Beispiel in Stuttgart und Hamburg, gibt es bereits Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge, weil die Grenzwerte der Stickstoffdioxid-Belastung überschritten wurden. In den betreffenden Metropolen hatte die Deutsche Umwelthilfe geklagt, da dort die Gesundheit der Bewohner gefährdet werde.

Würde der Grenzwert für Stickstoffdioxid tatsächlich gesenkt wie von den Ärzten und Wissenschaftlern gefordert, sähe sich die Bundesregierung großen Problemen ausgesetzt.

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) arbeitet aktuell an einer EU-weiten Initiative zur Lockerung der Grenzwerte, um weitere Dieselfahrverbote in Deutschland zu verhindern. Dieses Unterfangen hätte nach einer Absenkung wohl nur noch wenig bis gar keine Chancen auf Erfolg.

Allerdings dürften bis zu einer tatsächlichen Grenzwert-Senkung noch viele Jahre vergehen. Eine WHO-Empfehlung, müsste von der EU zunächst geprüft und dann durch Kommission, Rat und Parlament angenommen werden.

DPG lässt keine Zweifel an Gesundheitsgefährdung durch Schadstoffe

Eine Gruppe von mehr als 100 Lungenärzten hatte im Januar eine heftige Debatte ausgelöst, indem sie den gesundheitlichen Nutzen der Grenzwerte für Stickstoffdioxide anzweifelte.

Später räumte der Autor der Stellungnahme und ehemaliger Präsident der DGP, der Mediziner Dieter Köhler, Rechenfehler ein, blieb aber bei der Grundaussage, dass die gesundheitlichen Risiken durch Stickoxide und Feinstaub und die darauf basierenden Grenzwerte wissenschaftlich nicht hinreichend begründet seien.

Das Positionspapier der DPG sieht das etwas anders: "Bisher konnte für die wissenschaftlich gut untersuchten Schadstoffe keine Wirkungsschwelle identifiziert werden, unterhalb derer die Gefährdung der Gesundheit ausgeschlossen ist." (hub/dpa)

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