• Magnus Memmeler arbeitet im Ruhrgebiet für einen großen, bundesweit vertretenen Wohlfahrtsverband.
  • Im Dezember schickte das Bundesgesundheitsministerium dem Leiter eines ambulanten Gesundheitsdienstes Tausende Corona-Schutzmasken.
  • Im Interview spricht der 54-Jährige über den Masken-Skandal und erklärt, warum die Lieferung des Ministeriums unbrauchbar war und er das Vorgehen von Gesundheitsminister Jens Spahn "menschenverachtend" findet.
Ein Interview

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In der Corona-Pandemie gibt es regen Bedarf an FFP2-Schutzmasken. Wie viele verbrauchen Sie derzeit in Ihrem Verband?

Magnus Memmeler: Allein für den Bereich, den ich verantworte, sind das etwa 2.000 Masken im Monat.

Ihr Bezirk hat im Winter 15.000 Masken vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) bekommen. Wie lief das ab? Hatten Sie darum gebeten?

Nein, alle Lieferungen des Bundesgesundheitsministeriums kamen unangekündigt. Wir hatten zwar im Frühjahr vor einem Jahr tatsächlich Bedarf angemeldet. Damals war Not da, der Markt war wie leergefegt. Ich wäre vermutlich sogar froh gewesen, wenn ich diese minderwertigen Masken bekommen hätte, um überhaupt etwas zu haben. Im Herbst sah die Lage aber schon ganz anders aus. Und im Dezember standen dann die Masken plötzlich vor der Tür – ohne Ankündigung, ohne Prüfgutachten. Den Lieferungen an Senioren- und Pflegeeinrichtungen lag lediglich ein Begleitschreiben bei, wonach das BMG die Arbeit der pflegenden Berufe unterstützen will.

"Nach einer halben Stunde Arbeit unter den Masken wurde mir übel"

Wann haben Sie bemerkt, dass mit den Masken etwas nicht stimmt?

Sofort beim Öffnen der Kartons. Die Masken hatten unglaublich intensive Ausdünstungen, die die Nutzung schon von vornherein fast unmöglich gemacht haben. Nach einer halben Stunde Arbeit unter den Masken wurde mir übel.

Und dann haben Sie die Schutzmasken prüfen lassen?

Nein. Wir haben gleich nach dem Auspacken unsere Charge gegoogelt und ein bestehendes Gutachten der Dekra zu unseren Masken gefunden. Das Dokument bescheinigt die Untauglichkeit der Masken. Die Charge, die wir bekommen hatten, gehörte einer größeren Lieferung an, die bereits von anderen bemängelt wurde.

Was haben Sie dann mit Ihrer Charge gemacht?

Die wurde vernichtet.

Also konnten Sie keine einzige Maske verwenden?

In meinem Bereich konnten wir 400 Masken nutzen. Wir haben online recherchiert, dass ein Teil der Lieferung der Norm entspricht. Tausende andere Masken konnten wir aber nicht verwenden. Man muss wissen: Staatliche Einrichtungen, Prüfämter und Arbeitsschutzeinrichtungen haben eine Norm für FFP2-Masken entworfen, die speziell für die Nutzung unter Pandemiebedingungen ausgelegt ist. Darin ist festgelegt, wie viele Aerosole zurückhalten werden müssen, um den Träger zu schützen. Das BMG gab aber eine eigene, niedrigschwelligere Prüfnorm mit wesentlich geringeren Ansprüchen in Auftrag.

"Wie viele Leute haben Schaden genommen?"

Wie sah das bei Ihren Masken konkret aus?

Die Masken, die ausgeliefert wurden, haben laut des Dekra-Gutachtens noch nicht einmal die Standardnormen für FFP2-Masken erfüllt, geschweige denn die Vorgaben für Pandemiebedingungen. Da kommt zwangsläufig die Frage auf: Wie viele Leute haben Schaden genommen, weil sie einer Maske vertraut haben, die die Standards nicht erfüllt?

Und dann haben Sie bei den Behörden Alarm geschlagen?

Wir haben den örtlichen Gesundheitsbehörden mitgeteilt, wie viele Masken wir bekommen haben und wie wenig davon nutzbar waren. Zudem forderten wir den Kreis auf, andere Sozialdienste zu bitten, ihre Lieferungen zu überprüfen. Wir sind davon ausgegangen, dass die Gesundheitsbehörden die Probleme dem nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium weiterleiten und das wiederum dem BMG Bericht erstattet.

Das BMG betont weiterhin, alle ausgelieferten Masken seien geprüft und sicher. Das Ministerium beruft sich dabei auf eigene Untersuchungen. Wie kann das sein: Eine Maske, aber zwei sich widersprechende Gutachten?

Das liegt daran, dass das vom BMG beauftragte Institut – in dem Fall der TÜV – Prüfvorgaben vom Ministerium bekommen hat, die erfüllt werden müssen, um wenigstens eine Notfallzulassung zu erhalten. Alle Masken die während der ersten Welle geliefert wurden, hatten weder eine CE-Prüfung noch eine Zulassung nach europäischen Industrienormen. Temporär, im ersten Halbjahr 2020, wurden damals alle Masken in Deutschland toleriert, um im Notfall wenigstens einen Mindestschutz zu haben. Diese Regelung war aber spätestens im Juli 2020 abgelaufen. Zu dem Zeitpunkt hätte klar sein müssen, dass man die Masken noch einmal intensiver prüfen muss. Und wenn man Sie tatsächlich weiter verwendet, dann nur mit Warnhinweis: Masken entsprechen nicht der Norm. Doch genau das ist nicht passiert.

"Das Infektionsschutzgesetz wurde geändert, sodass Millionen Masken eingelagert werden können"

Salopp gesagt: Das BMG hat also minderwertige Masken bei Ihnen abgeladen, nachdem sie nicht mehr woanders genutzt werden konnten?

Ja, das empfinde ich so. Der Höhepunkt ist ja: Nachdem Krankenhäuser und Pflegedienste die Lieferungen abgelehnt hatten, wurde das Infektionsschutzgesetz geändert, sodass Millionen Masken nun als "Nationale Reserve Gesundheitsschutz" eingelagert werden können. Nach Ablauf einer gewissen Zeit können die dann unauffällig vernichtet werden.

Sie fordern nun in einer Petition wie SPD-Chefin Saskia Esken die Abberufung von Jens Spahn als Bundesgesundheitsminister. Was werfen Sie ihm vor?

Die Masken, die damals durch Jens Spahns Ministerum verteilt wurden, entsprachen zu dem Zeitpunkt qualitativ nicht dem, was am Markt verfügbar war. Das BMG wollte Masken niedrigsten Standards an Menschen mit Behinderung, Obdachlose oder Hartz-IV-Empfänger verteilen. Ich finde das menschenverachtend. Es ist ein Schlag ins Gesicht dieser Menschen!

Zur Person: Magnus Memmeler, 54, leitet den ambulanten Gesundheitsdienst in einem großen Wohlfahrtsverband im Ruhrgebiet. Er arbeitet seit mehr als 30 Jahren im Katastrophenschutz und ist SPD-Mitglied.
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