Politiker von Union und FDP wollen die Polizei verpflichten, die Nationalitäten von Tatverdächtigen zu nennen. Und was machen die Medien mit solchen Informationen? Mika Beuster ist Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands. Er erklärt, wie Redaktionen diese Frage schon jetzt jeden Tag abwägen.

Ein Interview

Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat es sich vorgenommen und auch auf Bundesebene ist die Debatte mal wieder angekommen: Soll die Polizei die Nationalität von Tatverdächtigen nennen, wenn sie über Ermittlungen oder Festnahmen berichtet? NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagt Ja. Und auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ist für die Nennung der Nationalitäten. Das schaffe Transparenz, sagte er der "Bild am Sonntag".

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Die Debatte wird aber auch in den Medien geführt. Denn Journalistinnen und Journalisten müssen entscheiden, wie sie mit den Informationen der Polizei umgehen. Dafür gibt es den Pressekodex – ein ethisches Regelwerk, das sich die Medien selbst gegeben haben. Dort steht, dass die Nationalität in der Berichterstattung "in der Regel" nicht erwähnt wird.

Was heißt das genau? Und ist diese Haltung noch zeitgemäß? Fragen an Mika Beuster, den Bundesvorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV).

Herr Beuster, warum ist der Deutsche Journalisten-Verband in den meisten Fällen dagegen, die Nationalität von Tatverdächtigen zu nennen?

Mika Beuster. © dpa/Eibner-Pressefoto/Socher

Mika Beuster: Der Pressekodex schreibt in Ziffer 12.1 vor, dass es bei der Berichterstattung über Straftaten keine Diskriminierung geben darf. Die Nationalität kann genannt werden, wenn sie wichtig ist, um den Sachverhalt zu verstehen. In vielen Fällen ist sie für eine Straftat aber unerheblich.

Wörtlich heißt es im Pressekodex aber: Die Nationalität kann genannt werden, wenn ein "begründetes öffentliches Interesse" besteht. Da kann man doch argumentieren: Es gibt ein öffentliches Interesse an der Frage, ob Menschen mit ausländischem Pass öfter straffällig werden als Menschen mit deutschem Pass.

Es gibt Straftaten, die grundsätzlich nur Ausländer begehen können. Zum Beispiel Betrug bei der Einreise oder Erschleichung von Aufenthaltstiteln. Es gibt auch andere Straftaten, bei denen die Nationalität eine Rolle spielt – und dann ist es auch sinnvoll, sie zu erwähnen. Wenn zum Beispiel über einen Revierstreit unter verfeindeten Drogengangs berichtet wird, kann die Herkunft der Gangs durchaus eine Rolle spielen, um den Streit zu verstehen. Bei einem Auffahrunfall ist aber unerheblich, ob ein deutscher Fahrer einem polnischen Fahrer draufgefahren ist – genau wie die Augen- oder Haarfarbe oder Körperfülle.

Aber es gibt eben Straftaten, die vielen Menschen Angst machen – und die vielleicht stärker mit ausländischen Straftätern in Verbindung gebracht werden. Zum Beispiel Messerstechereien.

Nach der sogenannten Flüchtlingskrise gab es zum ersten Mal den Vorwurf, dass Medien zu vorsichtig mit der Nennung von Nationalitäten umgehen. Der Pressekodex ist daher noch einmal mit Beispielen unterlegt worden. Er lässt Redaktionen bereits viel Spielraum bei der Nennung von Nationalitäten. Aus der Berichterstattung in den Medien lässt sich aber nicht ableiten, welche Menschengruppen bestimmte Straftaten häufiger begehen als andere. Da geht es um Einzelfälle. Einen besseren Eindruck vermittelt die Kriminalstatistik, in der alle erfassten Straftaten aufgeführt werden.

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Sie haben gesagt: Der Pressekodex lässt bereits viel Spielraum zu. Wie legen Redaktionen die Regel Ihrer Beobachtung nach aus? Im Alltag wird die Nationalität von Tatverdächtigen in den Medien schon jetzt häufig genannt.

Ich würde auch sagen, dass die Regel inzwischen weiter und großzügiger ausgelegt wird – und ich finde, dass das durchaus gedeckt ist vom Pressekodex. Die Nationalität von Tatverdächtigen einfach nie zu nennen, wäre aus meiner Sicht auch der falsche Weg. Die Regel soll Diskriminierung verhindern. Sie darf auf der anderen Seite aber nicht die Glaubwürdigkeit der Medien einschränken und zum Verdacht führen, Redaktionen seien blind, wenn es um Ausländerkriminalität geht.

Was heißt das konkret?

Redaktionen müssen die Regel jeden Tag aus Neue auslegen und anwenden. Sie müssen sich fragen: Schüre ich mit der Nennung der Nationalität Vorurteile? Oder ist sie nötig, um die Hintergründe einer Straftat zu verstehen? Medien dürfen Bevölkerungsgruppen nicht diskriminieren. Sie dürfen aber auch nichts verschleiern. Beides muss man miteinander abwägen. Die Sache ist viel komplizierter, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Populistische Aussagen helfen da niemandem weiter.

Die politische Diskussion dreht sich vor allem um die Nennung von Nationalitäten in Pressemitteilungen der Polizei oder anderer Behörden. Was die Medien in ihrer Berichterstattung übernehmen, ist aber eine andere Frage. Sollte die Polizei die Herkunft von Tatverdächtigen in Zukunft noch häufiger nennen – welche Konsequenzen hat das aus Ihrer Sicht für die Medien?

Wenn die Polizei die Nationalität eines Tatverdächtigen nennt, muss eine Redaktion trotzdem selbst prüfen, ob sie das in ihrer Berichterstattung auch machen will. Die Medien sind nicht die Hilfsorgane der Staatsanwaltschaft oder der Polizei. Sie müssen ihre eigenen Verpflichtungen und Regeln beachten.

Über den Gesprächspartner

  • Mika Beuster ist Chef-Themenreporter bei der Verlagsgruppe Rhein-Main (VRM) in Wetzlar und seit November 2023 Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands. Zuvor war er seit 2021 bereits stellvertretender Vorsitzender.

Transparenzhinweis

  • Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) ist ein Berufsverband und vertritt die Interessen von hauptberuflichen Journalistinnen und Journalisten. Der Autor Fabian Busch, der dieses Interview geführt hat, ist selbst Mitglied im DJV.
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