Raubtierkapitalist, Vorzeige-Privatisierer, Polit-Märtyrer oder Freiheitskämpfer: Michail Borissowitsch Chodorkowski wurden in seiner Laufbahn schon viele Rollen zugeschrieben. Sogar in Verbindung mit ungeklärten Mordfällen im Umfeld des gigantischen Ölkonzerns Jukos taucht sein Name auf. Seine Vita wirft bis heute einige Fragen auf: Ist der 50-Jährige tatsächlich ein zu Unrecht verurteilter Held - oder hat er seine Liebe zur Freiheit erst entdeckt, nachdem ihm Amt und Würden von Wladimir Putin genommen wurden?

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Er sei lediglich zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle gewesen und in den wichtigen Fragen hartnäckig geblieben - so antwortete Chodorkowski im Jahr 2000 bei einem Interview auf die Frage, wie er zu seinem Reichtum gekommen ist. Kurz nach Beginn der ersten Amtszeit Wladimir Putins als Präsident Russlands war Chodorkowski einer der reichsten Männer des Landes - von der bald folgenden Verurteilung und Enteignung ahnte noch niemand etwas.

Milliardär schon mit 30 Jahren

1963 war Chodorkowski in Moskau auf die Welt gekommen, als Russland und die USA noch mitten im Kalten Krieg steckten. 27 Jahre später stand er bereits an der Spitze der Menatep-Bank, einer der ersten Privatbanken Russlands nach den Zerfall der Sowjetunion. Mit besten Beziehungen zur Regierung unter Boris Jelzin ausgestattet wurde er 1993 stellvertretender Minister für Brennstoffe und Energie. Im Jahr 1995 gelang ihm der wohl folgenreichste Coup seines Lebens: die Übernahme des gigantischen Ölkonzerns Jukos.

Im Alter von nur 30 Jahren hatte Chodorkowski den Konzern, der beim Kauf rund 300 Millionen Dollar gekostet hatte, zu einem milliardenschweren Erfolgsunternehmen gemacht. In seinen Anfangsjahren hatte er nur wenig Skrupel im Kampf gegen seine Mitbewerber, wie zahlreiche Medienberichte belegen. "Einen Dschungel" nannte Chodorkowski die Zustände in der zerfallenden Sowjetunion rückblickend. Auch um die teils fragwürdigen Geschäfte zu rechtfertigen, die ihn innerhalb weniger Jahre zum reichsten Mann Russlands mit einem geschätzten Privatvermögen von acht Milliarden Dollar machten. "Unser Kompass ist der Gewinn, erzielt in Übereinstimmung mit strengster Einhaltung des Gesetzes. Unser Idol ist Ihre Majestät, das Kapital", hatte er 1993 in seinem Buch "Der Mann mit dem Rubel" geschrieben. Eine klare Ansage, in welche Richtung für ihn die Reise gehen sollte.

Doch auf dem Höhepunkt seiner Macht zeigte sich erstmals der Chodorkowski, der später wegen seines politischen Engagements zu einer Ikone des Widerstand gegen das System Putin werden sollte. Bereits um das Jahr 2000 stiftete der Oligarch Schulen und investierte regelmäßig in die Ausbildung junger Russen, um dem Land eine Zukunft in der globalisierten Welt zu sichern. Auch in der Geschäftsführung änderte Chodorkowski seine Strategie: Transparenz, umsichtige Investitionen und westliche Standards bei der Unternehmensführung ersetzen zunehmend das alte Geschäftsgebaren. So machte er auch Jukos zum Liebling der Börsianer in aller Welt.

Der Höhenflug schien unaufhaltsam. Bis bekannt wurde, dass er mit einem Wechsel ins politische Lager liebäugelte - und damit dem neuen Zaren im Kreml, Wladimir Putin, den Krieg erklärte. Am 25. Oktober 2003 wurde der Oligarch verhaftet. Ein Vorgang, der die russische Wirtschaft kurzzeitig ins Chaos stürzte und heftige Proteste aus dem Ausland provozierte. 2005 wurde er schließlich wegen Unterschlagung und Steuerhinterziehung zu zehn Jahren Haft verurteilt, die später auf acht Jahre verkürzt wurden. 2009 folgte ein weiterer Prozess, diesmal mit einem Strafmaß von weiteren sechs Jahren.

Sogar in Morde verstrickt?

Eine Verbindung zu dem Mord am Bürgermeister von Neftejugansk konnte Chodorkowski nie nachgewiesen werden. Er bestritt auch, daran beteiligt gewesen zu sein. Bürgermeister Vladimir Petuchow war zu einem erbitterten Gegner Chodorkowskis geworden. Denn dessen Konzern spendete wegen der grassierenden Korruption Geld direkt an Krankenhäuser und nicht an die Stadt Neftejugansk. 2006 wurde der Sicherheitschef von Jukos wegen Mordes zu einer 24-jährigen Haftstrafe verurteilt.

Erst sein Gefängnisaufenthalt, den Amnesty International bereits seit Jahren als "ausschließlich politisch motiviert" bewertet hatte, machte den Ex-Oligarchen zu der Ikone gegen das System Putin, das er heute vor allem für viele Menschen im Westen ist. In Russland gibt es neben den positiven nach wie vor auch viele kritische Stimmen in Bezug auf den Ex-Oligarchen und seine Vergangenheit. Angesichts seines Vita können die Zweifel daran, ob der Milliardär und Oligarch Chodorkowski sich für Reformen in Russland so sehr eingesetzt hätte, wohl nie ganz ausgeräumt werden. Ein strahlender Held wird Michail Chodorkowski vermutlich nie werden. Wohl aber ein Symbol für die weiter bestehenden Missstände in Russland.

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