Am 7. Oktober jährt sich der Überfall der Hamas auf Israel zum ersten Mal. Seit die israelische Armee in den Gazastreifen einmarschiert ist, herrscht dort Krieg. Wie geht es den Menschen vor Ort?

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Nach einem Jahr Krieg haben die Menschen im Gazastreifen fast alles verloren: ihre Angehörigen, ihre Häuser, ihre Arbeit und ihre Träume. Die Nachrichtenagentur AFP sprach mit einem ehemaligen Beamten, einer Sanitäterin und einem Studenten darüber, wie sich ihr Leben seit dem 7. Oktober verändert hat.

Vom Beamten zum Bettler

Bis vor einem Jahr führte Maher Sino ein Leben in "schöner Routine" als Verwaltungsbeamter. "Mit dem anständigen Gehalt sind wir gut über die Runden gekommen", erzählt der 39-Jährige von seinem früheren Leben. Sino wohnte mit seiner Frau Fatima und den drei Kindern in der Stadt Gaza.

"Inzwischen wurden wir so oft vertrieben, dass ich kaum mehr mit dem Zählen mitkomme." Die Flucht führte Sino zunächst nach Chan Junis, weiter nach Rafah an der ägyptischen Grenze und dann zurück aus dem Süden in die Mitte des Gazastreifens.

Bei jeder Station musste die Familie von vorn anfangen: "Ein Zelt und einen Waschraum bauen, einfache Möbel kaufen und Kleidung finden, weil wir alles zurücklassen mussten", schildert Sino. Mit Glück fanden die fünf rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit einen Unterschlupf, an manchen Tagen schliefen sie auf der Straße. Sino fühlte sich ohnmächtig, "nie zuvor war ich auf andere angewiesen".

"Ich bin zum Bettler geworden", sagt er. "Ich halte meine Hand auf, muss um Decken für meine Kinder bitten, bei Hilfsorganisationen um einen Teller Essen. Das hat der Krieg aus uns gemacht." Gerade hat sich die Familie ein weiteres provisorisches Zuhause errichtet, mit einem Schlafplatz, einem Wassertank und einer improvisierten Toilette mitten in einem Olivenhain.

Leben retten als Alleinerziehende

Maha Wafi mag ihre Arbeit als Rettungssanitäterin, sie liebte das Leben mit ihrem Mann Anis und den fünf Kindern. Doch seit Krieg herrscht, ist nichts mehr, wie es war. Statt in ihrem schönen Haus im Westen von Chan Junis lebt die 43-Jährige allein mit ihren fünf Kindern in einem Zelt, Anis wurde am 2. Dezember festgenommen.

Seitdem muss Maha Wafi den Kriegsalltag als berufstätige fünffache Mutter allein bewältigen. "Du musst Wasser holen, Benzin organisieren, Feuer machen und dich um alles kümmern", sagt sie.

Als Sanitäterin wird sie dringend gebraucht, die vielen bei den israelischen Angriffen Verletzten können kaum versorgt werden. Wafi musste mit ansehen, wie Menschen getötet und verstümmelt wurden. Sie selbst entkam nur knapp dem Tod, als ein Auto direkt neben ihrem Krankenwagen getroffen wurde.

Ihr größter Wunsch sei, dass ihr Mann frei komme, sagt sie und wischt das Blut auf dem Boden ihres Krankenwagens weg. "Ich will nur, dass alles wieder so ist wie vor dem 7. Oktober."

Flucht statt Studium

Fares al-Farra war ein hervorragender Schüler. Zwei Monate vor dem Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel schloss er die Schule mit Bestnoten ab. Der 19-Jährige schrieb sich an der Universität in Gaza ein, um Künstliche Intelligenz und Datenwissenschaft zu studieren. "Ich war ehrgeizig und zuversichtlich, meine Ziele zu erreichen", erzählt er in den Trümmern seines Hauses.

Gleich zu Beginn des Krieges trafen israelische Bomben die Universität, statt zu studieren, musste al-Farra aus seiner Heimatstadt Chan Junis im Süden in ein Lager fliehen. Nach mehreren Monaten konnte die Familie zurückkehren. Doch dann wurde ihr Haus bombardiert. Ein enger Freund von ihm wurde getötet, al-Farra kam mit einem gebrochenen Arm davon.

Seinem Optimismus hat al-Farra verloren. "Es fühlt sich an, als wären alle Wege versperrt", sagt er. Und selbst wenn der Krieg eines Tages vorbei ist, werde es erst einmal Wichtigeres geben, als seine Träume zu leben. (afp/ bearbeitet durch ras)

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