Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei greift Präsident Recep Tayyip Erdogan in allen Bereichen der Gesellschaft mit harter Hand gegen mutmaßliche Regimekritiker durch. Doch große Teile der Bevölkerung werden durch das autokratische Auftreten nicht etwa verschreckt, sondern formieren sich hinter Erdogan. Das hat Gründe.

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Entmachtung und Neuformierung des Militärs. Massen-Entlassungen von Beamten und Richtern und die Schließung dutzender Medienhäuser. Dazu die offene Bereitschaft, die Wiedereinführung der Todesstrafe in Aussicht zu stellen.

Die Härte, mit der der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach dem gescheiterten Putsch gegen mutmaßliche Drahtzieher vorgeht, verstört die EU. Anders sieht es bei vielen seiner Landsleute aus, nicht nur in der Türkei selbst, sondern auch im Ausland - vor allem in Deutschland.

Recep Tayyip Erdogan ist eine Person, die auf der politischen Bühne stark polarisiert. Doch trotz all dieser Maßnahmen besteht auch unter den Türken in Deutschland ein regelrechter Personenkult um Erdogan. Erol Özkaraca, SPD-Politiker und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses mit Mandat für Neukölln, erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion die Gründe dafür.

Erdogan stärkt das Selbstwertgefühl der Türken

"Erdogan vermittelt den Türken das Gefühl, dass sie endlich keine Außenseiter mehr sind. Er repräsentiert eine starke Türkei. Er traut sich was – und das befürworten die Menschen", sagt Özkaraca.

Das habe verschiedene Hintergründe. Der wichtigste für die Türken in Deutschland dabei sei, dass sie sich hier nie so richtig beachtet und zugehörig gefühlt hätten. Vor allem in den sozialen Brennpunkten. Erdogans autoritärer Stil spreche deshalb das Selbstwertgefühl dieser Menschen an.

Zum anderen habe er den in Deutschland und ganz Europa lebenden Türken wieder eine Stimme gegeben, indem er ihnen ermöglicht habe zu wählen. "Er präsentiert sich als Kümmerer", sagt Özkaraca. Erdogan vermittle den Eindruck eines Staatsmannes, der sich auch um seine Landsleute im Ausland bemühe.

Zudem habe er die Marschroute im Vergleich zu seinen Vorgängern geändert: "Er zeigt sich stark und unkooperativ und will verdeutlichen, dass nicht die Türkei die EU braucht, sondern umgekehrt. Alle vor ihm haben sich als Bündnispartner arrangiert." Weil Erdogan die Bedürfnisse und Vorstellungen der Türkei wieder an erste Stelle rücke, habe er den Zuspruch vieler Menschen.

Erdogan-Hysterie zieht sich durch alle Altersgruppen

Basis dieses Zuspruchs sind die Versprechungen, die Erdogan seinen Landsleuten in der Türkei macht. Dabei verfolgt er eine neue Außenpolitik, die von Experten bereits als neo-osmanisch bezeichnet wurde.

Mit dem Jahr 2023 hat Erdogan in diesem Zusammenhang ein ganz konkretes Datum vor Augen. Hintergrund ist das Jahr 1923, in dem Atatürk die türkische Republik ausgerufen hat.

"Erdogans Plan ist, dass die Türkei 100 Jahre danach zu einer der weltweit führenden Wirtschaftsgrößen gehört", erklärt Özkaraca. Das gehöre zum Regierungsprogramm des Präsidenten und würde eine "neue Türkei" bedeuten.

Und genau das wünschten sich eben auch sehr viele seiner Landsleute. Deshalb respektierten ihn seine Anhänger, zeigten ihre Unterstützung und hielten ihm auch im Ausland die Treue.

Doch speziell in der Türkei lässt sich Erdogan für seine Zukunftsvision feiern. Özkaraca erklärt, in der Türkei seien alle Nachrichten auf den Präsidenten zugeschnitten. Seine Anhänger dürften umsonst mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu seinen Reden fahren. Die Propaganda sei perfekt auf Erdogan zugeschnitten und die Hysterie zöge sich durch alle Altersgruppen.

Auch viele in Europa lebende Türken dürften in Erdogan eine Art Heilsbringer für den wirtschaftlichen Aufschwung und für eine neue Relevanz der Türkei auf internationaler Bühne sehen.

So könnten die Erdogan-Anhänger den Putschversuch als einen Sabotage-Akt gegen eine bessere Zukunft der Türkei interpretieren. Das würde auch erklären, warum sie nun noch enger an ihren Präsidenten herangerückt sind.

Es scheint, als würden sie gutheißen, dass Erdogan alle Macht an sich reißt – damit der Präsident selbst einem höheren Zweck dient: Die Türkei wieder stark zu machen und ihr eine lang ersehnte neue Bedeutung zu verleihen.

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