Jeder zweite Deutsche ist laut einer Umfrage der Meinung, dass deutsche Gerichte zu milde urteilen. Gerade erst sind zwei junge Männer in Köln zu Bewährungsstrafen verurteilt worden, nachdem sie bei einem Straßenrennen eine 19 Jahre alte Frau totgerast hatten. Das Urteil hatte bundesweit für Empörung gesorgt. Über Sinn und Unsinn deutscher Urteile diskutierte die Runde bei Frank Plasberg in "Hart aber fair".
Die "Hart aber fair"-Sendung mit der Frage "Bewährung für Täter, lebenslang für Opfer – urteilen unsere Richter zu lasch?" und zwei Betroffenen in der Runde versprach eine interessante Debatte.
Was ist das Thema?
Verliert der Rechtsstaat an Respekt? Was passiert, wenn Strafe nicht mehr vor Taten abschreckt? Dies waren nur zwei der zentralen Fragen, um die sich die Sendung "Hart aber fair" drehen sollte.
Grundlage für die Debatte war ein Fall aus dem vergangenen Jahr, bei dem eine junge Radfahrerin starb, nachdem sie bei einem illegalen Straßenrennen von einem der Autos erfasst worden war. Die Täter kamen mit Bewährungsstrafen davon.
Wer sind die Gäste?
Fritz Schramma (ehem. Kölner Oberbürgermeister, Gründer des Vereins "Opferhilfe"): Sichtlich bewegt berichtet Schramma von dem Verlust seines eigenen Kindes. Vor 15 Jahren hatte er seinen erwachsenen Sohn verloren, weil zwei junge Männer bei einem illegalen Autorennen in der Kölner Innenstadt in eine Menschengruppe an einer Ampel gerast waren.
Auch nach so vielen Jahren sei es für ihn schlimm, dass sich die Täter nicht entschuldigt und keinerlei Reue gezeigt hätten. Er meint, dass es für deutsche Gerichte wichtig wäre, den Wert eines Menschenlebens gewichtiger in die Waagschale zu werfen und sich etwas weniger auf die Täter zu konzentrieren.
Schramma sagt, dass deutlichere Urteile durchaus abschrecken könnten, aber dass ein Urteil auch für den Täter sinnvoll und resozialisierend sein müsse: "Ich bin gelernter Pädagoge und weiß, dass ein junger Mensch sich ändern kann."
Außerdem sendet er einen Appell an die deutsche Justiz: "Man erfährt nie, was aus der Bewährung der Täter geworden ist. Wäre es nicht möglich, eine Mitteilung nach Ablauf der Bewährung an die Opferfamilie zu geben?"
Ingo Lenßen (Fachanwalt für Strafrecht): Er ist der Meinung, dass in Deutschland keine härteren Strafen gebraucht würden, da die Haft noch aus niemandem einen besseren Menschen gemacht habe: "Wir müssen eine andere Möglichkeit der Resozialisierung finden."
Er sagt, dass es kein Urteil gebe, das einem toten Menschen gerecht werde und die passende Genugtuung für die Opferfamilien liefere. Aber: Eine Strafe müsse zumindest eine gewisse Genugtuung für die Hinterbliebenen sein.
In der Sendung berichtet er von einem eigenen Fall, in dem ein Mandant ein Kind totgefahren hatte. Der Mann, selbst Familienvater, habe seine Tat zutiefst bereut und sich danach sogar das Leben nehmen wollen.
Im Verlauf des Prozesses habe es mehrere außergerichtliche Zusammentreffen zwischen der Opferfamilie und dem Täter gegeben, in denen der Fall gemeinsam verarbeitet worden sei.
Lenßen sagt in der Runde deutlich, dass ein Täter nicht pauschal verurteilt werden dürfe. Man müsse abwägen, was für ein Urteil auch für den Täter sinnvoll sei und müsse die einzelnen Fälle immer differenziert betrachten.
Gabriele Karl (Initiative "Opfer gegen Gewalt"): Ihre Tochter wurde vor Jahren von einem Sexualstraftäter getötet, der vorher bereits mehrfach angezeigt worden war. Sie hat über die Vereinsarbeit über tausend Morde mit Angehörigen verarbeitet und habe in 20 Jahren Opferschutz nur ein einziges Mal einen Kinderschänder erlebt, der Reue gezeigt habe.
Sie ist der Meinung, dass man falsche Signale sende, wenn man zu milde urteile. Die Täter härter zu bestrafen, hält sie für richtig, da die Hinterbliebenen dadurch einen gewissen Zeitraum zur Trauerbewältigung erhielten, in dem sie wüssten, dass der Schuldige weggesperrt sei.
Sie ist außerdem der Meinung, dass im Fall der totgefahrenen Kölnerin die Anklage von vornherein hätte anders lauten müssen. Hätte die Staatsanwaltschaft auf Totschlag und nicht auf fahrlässige Tötung plädiert, so wären die beiden Raser nicht mit einer Bewährungsstrafe davongekommen.
Gabriele Karl wertet das Autorennen, bei dem die Tötung eines Menschen billigend in Kauf genommen wurde, als bedingten Vorsatz.
Jens Gnisa (Direktor des Amtsgerichts in Bielefeld): Der Richter sagt, dass es in einem Strafverfahren zwar immer auch um Mitgefühl gehe, dieses aber "leider" nicht der einzige Aspekt sein könne. Die später verhängte Strafe sei ein Gesamtbild des Geschehens, bei der als Richter menschlich Abstand genommen werden müsse, auch wenn dies oft schwierig sei.
Gnisa erklärt, dass das Verhalten der Täter vor der Tat und nach der Tat in die Beurteilung mit einfließe – also ob jemand Reue zeige oder sich am Tatort womöglich falsch verhalten habe.
Im Falle der beiden Kölner Raser und der Entrüstung darüber, dass diese das Gericht als vermeintlich freie Männer verlassen hatten, sagt er: "Bewährungsstrafe bedeutet nicht, dass man das Gericht als freier Mensch verlässt. Das heißt Sozialstunden, enge staatliche Kontrolle, Sozialhelfer und Auflagen."
Joachim Lenders (Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in Hamburg, Mitglied der CDU-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft): Er macht deutlich: "Bewährung für Totraser ist ein völlig falsches Signal. Auch Einbrecher lachen uns aus, wenn sie als freie Männer aus dem Gerichtssaal marschieren dürfen."
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in Hamburg berichtet von der dortigen Einbruch-Soko, die Tag und Nacht arbeite, um möglichst viele Einbruchsfälle in der Stadt aufzuklären. Trotz der hervorragenden Arbeit seiner Kollegen und der Aufklärung der meisten Fälle kämen danach so gut wie alle gefassten Täter wieder auf freien Fuß. "Da geht das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren", so Lenders.
Was war der Moment der Sendung?
Oft meldet sich Gabriele Karl an diesem Abend nicht zu Wort. Die Mutter, die ihre Tochter durch einen Sexualstraftäter verloren hat, ist jedoch sichtlich bewegt von den vielen Fällen, die sie in ihrer Vereinsarbeit betreut hat.
Zum Fall der beim Autorennen in Köln getöteten Radfahrerin meint Karl: "Was vermitteln wir eigentlich jungen Leuten über den christlichen Wert des Lebens, wenn man bei uns Leute umbringen darf, und dann geht man heim und es ist gut?" Dafür erntet sie Beifall aus dem Publikum.
Was war das Rededuell des Abends?
Ein Einspieler zum Kölner Raser-Fall wird gezeigt. Ein Polizist soll vor Gericht ausgesagt haben, einer der Angeklagten habe am Tatort zur Polizei gesagt, sie solle vorsichtig mit der Sprühkreide sein, da die Felgen an seinem Auto 3.000 Euro gekostet hätten.
Der Einspieler löst in der Runde Entrüstung aus – vor allem als
Dafür gibt es Beifall vom Publikum und eine Schelte des Amtsgericht-Direktors Jens Gnisa: "Damit haben Sie sich lediglich billigen Applaus geholt. In Wirklichkeit hätten Sie doch ganz anders gehandelt."
Allerdings pflichtet er bei: "Ein solches Verhalten des Täters vor Ort muss selbstverständlich in das Urteil mit einfließen."
Wie hat sich Plasberg geschlagen?
Plasberg führt zunächst souverän durch die Runde, jedoch fehlt seine Führung gänzlich bei der Vorstellung der Zuschauermeinungen durch seine Kollegin Brigitte Büscher.
Sie stellt einige sehr harte und kontroverse Beiträge von Zuschauern aus diversen Social-Media-Kanälen vor. Plasberg allerdings geht auf keinen einzigen davon wirklich ein. Der Moderator wirkt hier selbst erschlagen von der Fülle der ausgewählten Kommentare.
Erschreckend beispielsweise der Beitrag eines Mannes auf Facebook zum Totraser-Fall in Köln: "Wenn ich der Vater wäre, ich hätte mich gerächt." Eine solche Aussage hätte durchaus kritisch thematisiert werden können.
Was ist das Ergebnis?
Wenn Emotionen auf geltendes Recht treffen, so wird ein Thema wie dieses sicherlich immer zu einer schwierigen Angelegenheit. Dinge, die objektiv gesehen werden müssen, können dann nicht mehr objektiv gesehen werden – zumindest nicht, wenn man selbst Opfer ist.
Die Sendung hat gezeigt, dass menschliche Moral und juristische Urteile oftmals weit auseinanderliegen.
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