Bei ihrer Wahl zur Kommissionschefin hat Ursula von der Leyen auch Stimmen von der rechtsnationalen polnischen PiS bekommen. Nun beobachten ihre Kritiker mit Argusaugen, ob sie im Streit um EU-Werte Milde walten lässt.

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Im Streit über Rechtsstaatlichkeit und Grundwerte der Europäischen Union hat die künftige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Umgang mit den östlichen EU-Staaten kritisiert. "Es ist mir wichtig, die Debatten zu versachlichen", sagte sie der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag). Der deutsche Europastaatsminister Michael Roth (SPD) mahnte von der Leyen, konsequent auf Rechtsstaatlichkeit zu achten. Gleichzeitig prangerte Roth erneut Gefahren für die unabhängige Justiz in Polen an.

Von der Leyen hatte vor ihrer Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin am Dienstag die Sicherung der Rechtsstaatlichkeit zur Priorität erklärt. Doch dann verhalf ihr die polnische Regierungspartei PiS nach eigenen Angaben zu ihrer knappen Mehrheit im EU-Parlament. Deshalb wird spekuliert, von der Leyen könnte nachgiebiger sein als die jetzige EU-Kommission, die gegen Polen wegen des Umbaus der Justiz vorgeht.

Von der Leyen sagte der "SZ": "In den mittel- und osteuropäischen Ländern herrscht bei vielen das Gefühl, nicht voll akzeptiert zu sein. Wenn wir die Debatten so scharf führen, wie wir sie führen, trägt das auch dazu bei, dass Länder und Völker glauben, sie seien im Ganzen gemeint, wenn einzelne Defizite kritisiert werden." Sie fügte hinzu: "Wir alle müssen lernen, dass volle Rechtsstaatlichkeit immer unser Ziel ist, aber keiner ist perfekt." Finanzielle Sanktionen kämen nur als das "allerallerletzte Mittel nach vielen Stufen, die vorher kommen" infrage.

Die jetzige EU-Kommission hatte nicht nur ein Strafverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Polen gestartet - dieses gilt als die schärfste Waffe bei Verstößen gegen EU-Grundwerte und kann theoretisch zum Entzug von Stimmrechten im Rat der EU-Länder führen. Die Brüsseler Behörde hatte zudem vorgeschlagen, die Auszahlung von EU-Geldern künftig an die Einhaltung von Rechtsstaatsstandards zu koppeln. Deutschland unterstützt dies nach Roths Worten. Auch Finnland, das derzeit den Vorsitz der EU-Länder führt, ist das besonders wichtig, wie Europaministerin Tytti Tuppurainen sagte.

Bei einem Treffen mit seinen EU-Kollegen äußerte Roth nochmals große Besorgnis über die Lage in Polen. Auf die Bedenken, die 2017 zu dem Artikel-7-Verfahren geführt hatten, sei Polen nicht vollständig und angemessen eingegangen, sagte Roth nach Angaben von Diplomaten im Namen von Deutschland und Frankreich. Das Verfahren solle fortgesetzt und so bald wie möglich eine neue Anhörung Polens geplant werden.

Auch EU-Kommissionsvize Frans Timmermans sagte, es gebe aus den vergangenen Monaten wenig Gutes zum Streit mit Polen zu berichten. Erst am Mittwoch hatte die EU-Kommission ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren wegen eines neuen polnischen Gesetzes zur Disziplinierung polnischer Richter vorangetrieben. Auch diese neue Regelung könnte ein Problem für die Unabhängigkeit von Richtern sein, sagte Timmermans.

Der polnische Europaminister Konrad Szymanski wies dies zurück: Es gebe keine Möglichkeit einer politischen Einflussnahme auf Richter, sagte er in Brüssel. Er wandte sich auch gegen eine neue Anhörung im Artikel-7-Verfahren. Die polnische Regierung ist der Auffassung, dass das Verfahren erledigt sei und eingestellt werden sollte.

Timmermans beteuerte, er sei sich mit von der Leyen beim Einsatz für Rechtsstaatlichkeit völlig einig: "Die nächste Kommission wird genauso wie diese Kommission unerbittlich die Rechtsstaatlichkeit in der ganzen Europäischen Union durchsetzen", sagte der Niederländer. Er ist für die Rechtsstaatsverfahren zuständig und soll auch der nächsten Kommission als Vizepräsident angehören. Östliche EU-Staaten hatten Anfang Juli zusammen mit anderen Regierungen verhindert, dass Timmermans selbst Kommissionschef wird. (br/dpa)

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