Seit Jahren kämpft Jugendrichter Andreas Müller für die Legalisierung von Cannabis. Vor und nach dem Interview mit unserer Redaktion nimmt er an einer Demonstration für die Legalisierung von Cannabis teil, schließlich war am 20. April Welt-Cannabis-Tag. Vor einem Jahr organisierte Müller selbst eine Cannabis-Demo vor der SPD-Parteizentrale. 2.000 Menschen nahmen nach seinen Angaben daran teil. Was sagt er zu den Eckpunkten der Ampel-Koalition zur schrittweisen Legalisierung von Cannabis?

Ein Interview

Herr Müller, Sie bezeichnen sich selbst als "Querulant für die Gerechtigkeit" und als Cannabis-Aktivist. Wie passt das zum Amt des Richters?

Andreas Müller: Ich habe als Richter das Recht anzuwenden, was Politiker verabschieden. Oftmals machen diese aber schlechte Gesetze, wie im Fall der Cannabis-Prohibition. Das ist verfassungswidrig. Dann kann der Richter nach Artikel 100 des Grundgesetzes das Bundesverfassungsgericht anrufen. Genau das habe ich heute vor drei Jahren gemacht. Ich gehe davon aus, dass das Gericht bald darüber entscheiden wird.

Warum halten Sie das Verbot von Cannabis für verfassungswidrig?

Wesentliche Grundrechte werden übergangen, wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Freiheitsrechte und der Gleichheitsgrundsatz. Nach 50 Jahren Krieg gegen diese Droge hat man heute ein ganz anderes Wissen als damals. Menschen dürfen sich heutzutage umbringen, sie dürfen vorher aber kein Cannabis rauchen. Bei dem Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit darf sich der Mensch selbst schädigen, wie beispielsweise Ritzen. Also muss er doch auch Gras rauchen dürfen.

Alkohol gilt hierzulande als harmloser.

Jährlich sterben 70.000 Menschen an den Folgen von Alkohol. Es gibt weltweit keinen einzigen Toten wegen Cannabis. Hunderttausende oder Millionen haben ein enormes Suchtproblem wegen Alkohol, begehen dabei Körperverletzungen. Auf der anderen Seite habe ich als Richter in 30 Jahren nicht einen Fall von Körperverletzung gehabt, der auf Cannabis zurückzuführen war.

Trotzdem sind doch eine Menge Leute auch von Cannabis abhängig.

Natürlich. Die Zahlen zeigen aber, dass es relativ wenige Abhängige gibt. Es sind ungefähr um die 3500 jährlich, die im Verhältnis zur Gesamtzahl von Millionen von Konsumenten stehen. Da versteht doch niemand, warum man sich auf einem Schützenfest betrinken darf - und wenn dort ein Joint angezündet wird, wird der- oder diejenige sofort von der Polizei aufgegriffen. Es kann ein Ermittlungsverfahren geben und schließlich zur Verurteilung kommen.

Dann dürfte es Sie ja gefreut haben, dass die Bundesregierung jüngst ihr Eckpunktepapier zur teilweisen Legalisierung von Cannabis vorgestellt hat.

Nein, die angedachte Entkriminalisierung kann nur ein erster Schritt in Richtung tatsächlicher Legalisierung und Freigabe sein. In den zurückliegenden Jahren gab es dahingehend immer wieder Forderungen von Fachverbänden wie z.B. LEAP, Hanfverband und sogar der Neuen Richtervereinigung. Selbst Polizeigewerkschaften wollen eine andere Cannabispolitik. Nun merken die zuständigen Politiker, dass es gar nicht so einfach ist und fangen an, darüber nachzudenken, die Konsumenten zu entkriminalisieren. Man würde die Polizei und die Justiz dadurch ordentlich entlasten. Das bestätigen mir auch immer mehr Polizeibeamte: die wollen nicht mehr kleine Kiffer verfolgen.

Bei vielen Landgerichten summiert sich die Zahl der Fälle, die mit Cannabis zu tun haben, auf insgesamt mehrere Tage. Diese Zeit sollte man nutzen, um echte Kriminelle zu jagen. Ich selbst habe übrigens in 30 Jahren nicht einen einzigen Menschen wegen Cannabisdelikten eingesperrt.

Ab wann würden Sie sich denn freuen?

Die Regierung hat verkündet, dass noch im April ein diesbezügliches Gesetz auf den Weg gebracht werden soll. Ich bin gespannt. Das Verhalten der Ampel führt zur Politikverdrossenheit, denn die Menschen sind verwirrt, wissen nicht, ob sie jetzt Cannabis zu Hause anbauen dürfen oder nicht. Es ist aber immer noch illegal.

Mit dem Zwei-Säulen Modell CARe ("Club-Anbau & Regional-Modell") will die Regierung bald mehr Sicherheit beim Konsum von Cannabis erreichen. Kinder und Jugendliche sollen besser geschützt und der Schwarzmarkt zurückgedrängt werden. Ist das Modell auf dem Weg zur Legalisierung hilfreich?

Entkriminalisierung vorziehen – und dann ein Gesetz machen, wie Cannabis legal verkauft werden kann. Das haben Experten und ich schon lange gefordert. Dagegen hat sich die Regierung anfangs komplett gewehrt. Jetzt haben sie es endlich ein wenig kapiert. Aber wegen EU-Recht diesen Prozess noch endlos lange zu erproben, halte ich nicht für notwendig. Das wurde in anderen Ländern bereits getan, die Cannabis bereits legalisiert haben. Das Zwei-Säulen Modell halte ich deshalb als Veräppelung. Warum nicht gleich ein fertiges Gesetz machen? Das traut sich anscheinend niemand.

Cannabis gilt bei vielen noch als Einstiegsdroge und als Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, die sich noch in der körperlichen Entwicklung befinden.

Das vertritt weltweit kein Wissenschaftler mehr. Das Argument der Einstiegsdroge benutzten selbst konservative Politiker nicht mehr. Heute heißt es dann: Das EU-Recht steht gegen eine Legalisierung. Ein EU-Recht, das 30 Jahre alt ist. Es gibt einfach keine Argumente mehr dagegen. 1994 hat bereits das Bundesverfassungsgericht klargemacht, dass die Theorie der Einstiegsdroge von keinem serösen Wissenschaftler mehr vertreten wird.

Wie sehen Sie denn den Präventionsgedanken des Eckpunktepapiers gegen Frühschäden bei Kindern und Jugendlichen? Das betonte Gesundheitsminister Karl Lauterbach …

Lauterbach argumentiert immer auf dieser Schiene. Wir können wegen gefährdeter Jugendlicher nicht mündigen Bürgern den Konsum von Cannabis verbieten. Das ist absurd. Den Bürgern muss die Freiheit zurückgegeben werden, die man ihnen einmal gestohlen hat. Wenn bei einer Person zuhause Bier und Schnaps rumsteht und sie Kinder hat: Hätte man Alkohol auch dem Erwachsenen verbieten sollen? Nein. Mit einer Legalisierung wird auch der Jugendschutz verbessert werden.

Man muss aber auch nicht gleich jeden Jugendlichen wegen eines Joints sofort in die Drogenberatung schicken. Da hätte man sonst früher meine halbe Klasse dorthin schicken müssen. Natürlich muss man leicht zugängliche Anlaufpunkte für Eltern schaffen, an die sie sich wenden können, wenn sie Sorgen über den Gras-Konsum ihres Kindes haben. Aber die Wenigsten sind sofort süchtig, wenn sie Cannabis rauchen. Besser ist ein offener und ehrlicher Umgang der Eltern mit ihren Kindern.

Sie kämpfen seit Jahrzehnten gegen die herrschende Cannabis-Politik.

Es fing mit elf Jahren an. Mein Bruder wurde wegen Cannabis Konsum stigmatisiert und kriminalisiert und später eingesperrt, während mein Vater sich tot gesoffen hat. Die Stigmatisierung und die Kriminalisierung waren das Schlimmste für meinen Bruder. Er ist einer von Hunderttausenden, die der Staat wegen Cannabis eingesperrt hat. Die psychischen Folgen, für die jungen Menschen und deren Familien - das sind richtig dicke Opferzahlen. Wer als junger Mensch in den Bau muss, hat sein Leben lang damit zu tun.

Sollte es auch keine Begrenzung einer Menge beim Besitz von Cannabis geben?

Wir dürfen zehn Kisten Bier im Keller haben. Warum dürfen wir dann nicht 50 Gramm Cannabis besitzen?

Sehen Sie unser Nachbarland Holland als Vorbild im Umgang mit Cannabis?

Man kann dort kiffen und in Coffeeshops gehen, ohne von der Polizei behelligt zu werden. Diesen Schritt würde ich mir hier auch wünschen. Allerdings nur vorübergehend. Es wäre schon viel erreicht, wenn die Leute Cannabis rauchen und Pflanzen haben dürfen. Holland will auch eine gesamte Legalisierung vorantreiben. Denn wie Cannabis in den Coffeeshop hineinkommt, ist dort nicht geregelt. Das ist eine juristische Grauzone, die kein Vorbild ist. Aber Gras wird dort nicht mehr als böse angesehen.

Welches andere Land könnte ein Vorbild sein?

Kanada. Und viele US-Staaten legalisieren nach und nach Cannabis, samt Jugendschutzprogrammen. Denn natürlich kiffen einige Jugendliche zu viel. Aber wenn man sie weiter dafür bestraft und sie nicht mal mit ihren Eltern darüber offen und ehrlich sprechen können, ist das kontraproduktiv.

Kiffen Sie selbst oder haben es früher?

In meinem Buch habe ich geschrieben, dass ich bis zu meinem 33. Lebensjahr regelmäßig gekifft habe. Dann wurde ich Richter. Und als Richter darf man nicht kiffen. Aber ich will kiffen dürfen.

Über die Person: Andreas Müller ist Jugendrichter am Amtsgericht Bernau. Er setzt sich seit vielen Jahren für die Legalisierung von Cannabis ein. Unter anderem hat er das Thema beim Bundesverfassungsgericht vorgelegt und das Buch "Kiffen und Kriminalität" verfasst.
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