Eine Gefahr, die versteckt im Boden lauert: Noch immer sind etwa 174.000 Quadratkilometer in der Ukraine mit Minen verseucht. Warum Minen überhaupt eingesetzt werden, wie sie funktionieren und welche Formen der Minenräumung existieren, ist den meisten allerdings nicht bewusst. Ein Überblick.

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Der Krieg in der Ukraine gefährdet die Zivilbevölkerung nicht nur durch möglichen Beschuss. In vielen Gebieten lauert die Gefahr auch im Boden: Die Rede ist von Minenfeldern, die sich über große Teile der ukrainischen Landschaft ziehen. Laut dem ukrainischen Premierminister Denys Schmyhal sind in der Ukraine noch etwa 174.000 Quadratkilometer potenziell vermint. Die Räumung werde Jahrzehnte dauern.

Was für die westliche Bevölkerung kaum vorstellbar ist, ist in der Ukraine sehr real – und zwar nicht bloß auf dem Schlachtfeld. Vor allem Gebiete, die die ukrainischen Streitkräfte von russischer Besatzung befreit haben, stellen die Zivilbevölkerung vor große Herausforderungen.

Welche Arten von Minen gibt es, wie wird man Herr über die Lage und warum werden vermutlich bald Zivilisten Minen räumen? Ein Überblick.

Warum werden Minen eingesetzt?

Ursprünglich galten Minen als Defensivwaffen. Um ein schnelles Vorrücken des Feindes in einem Krieg zu verhindern, waren Minen seit jeher ein gutes Mittel. Sie sind meist nicht dafür gemacht, zu töten, sondern sollen den Feind hemmen. Heißt: Die meisten Minen sollen eine Person verletzen oder ein Fahrzeug zerstören. Wird eine Person verletzt, muss die Einheit der Soldaten diese Person versorgen und kann daher nicht weiter vorrücken. Wenn ein Fahrzeug zerstört wird, können die Insassen ebenfalls nicht weiterziehen.

Russische Einheiten haben in den vergangenen Monaten etliche Minenfelder hinterlassen, die sie weder dokumentiert noch unter völkerrechtlichen Voraussetzungen gelegt haben.

Welche Arten von Minen gibt es?

Es gibt unzählige Arten von Minen, kategorisiert werden sie durch ihren Nutzen. Unterschieden wird zwischen Schützenabwehr-, Panzerabwehr- und Spezialminen, heißt es auf der Website der deutschen Bundeswehr. Demnach sollen Schützenabwehrminen – auch Antipersonenminen genannt – Menschen verletzen oder töten. Panzerabwehrminen enthalten eine hohe Menge an Sprengstoff wie TNT. Hier soll die Explosion selbst sehr gut geschützte und schwere Fahrzeuge zerstören.

Es gibt allerdings auch Minen oder Sprengfallen, die wegen ihrer Unvorhersehbarkeit noch gefährlicher sind: unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen. Im internationalen Kontext spricht man von IED – also improvised explosive devices.

Diese improvisierten Minen oder Sprengkörper sind meist nicht erkennbar. Jeder Gegenstand könnte zur tödlichen Falle werden. So könnte etwa das Öffnen einer Kühlschranktür der Trigger sein. Ein Teddybär, eine Cola-Flasche oder eine leere Packung Zigaretten: All das und vieles mehr nutzen etwa Soldaten, wenn sie sich in feindlichem Gebiet aufhalten, um Menschen zu verletzen oder zu töten.

Wie kann sich die Zivilbevölkerung vor Minen schützen?

Vor allem in Krisenregionen ist die Zivilbevölkerung zu jeder Zeit zur Vorsicht aufgerufen. So wird etwa davon abgeraten, auf unübersichtlichen Untergründen zu gehen oder zerstörte Häuser zu betreten. Anfang November versendete das ukrainische Ministerium für Wiedereingliederung eine SMS an alle ukrainischen SIM-Karten mit der Warnung: "Der Kontakt mit Minen und Munition ist gefährlich. Ignorieren Sie keine Warnschilder und berühren Sie keine verdächtigen Gegenstände."

Heißt: Der Schutz der Bevölkerung ist nur möglich, wenn Menschen eigenverantwortlich handeln und sich an die Empfehlungen der Administration halten. Zudem werden etwaige Minenfelder als solche gekennzeichnet, bis sie letztlich davon gesäubert werden.

Wie werden Minen entsorgt?

Es gibt verschiedene Arten der Minenräumung. So arbeiten manche Einheiten etwa mit Tieren. Hunde, Ratten oder gar Bienen werden genutzt, um herauszufinden, wo sich eine Mine befindet, um sie untauglich zu machen. Dann gibt es die manuelle Minenräumung, was bedeutet, dass ausgebildete Spezialisten die Felder mit Detektoren ablaufen, um die Minen zu finden und sie dann kontrolliert detonieren zu lassen. Und schließlich gibt es die mechanische Minenräumung: Speziell hergestellte Fahrzeuge, die sich mit einer Vorrichtung in die Erde graben und entweder Detonationen erzeugen oder die Minen zerstören.

Wie läuft eine Minenräumung ab?

Zunächst muss die Lage überprüft werden, erklärt Lourie Venter im Gespräch mit unserer Redaktion. Venter arbeitet für Global Clearance Solutions (GCS), ein Schweizer Minenräumungsunternehmen, das bereits seit Längerem spezielle Fahrzeuge sowie Detektoren an das ukrainische Militär verkauft. Venter selbst ist derzeit in Mykolajiw tätig.

Durch Befragungen und andere Recherchemethoden, sagt er, stellen die Experten zunächst sicher, wo Minen sein könnten. Heißt im ersten Schritt: Anwohner werden angesprochen. Sie können einen Überblick liefern: Wo haben sich russische Besatzer aufgehalten? Hat man jemanden beobachtet, der Minen gelegt hat? Danach werden weitere Informationsquellen genutzt: die Administration, Satellitenaufnahmen – was auch immer zur Verfügung steht.

"Nachdem die nötigen Informationen gesammelt wurden, wird entschieden, auf welche Art die Minen untauglich gemacht werden", sagt Venter.

Welche Methode ist die beste?

Jede Form der Minenentfernung hat ihre Vor- und Nachteile, so Venter. Mit Tieren zu arbeiten, erweise sich zwar gerade in Gebieten mit einer hohen Minenkonzentration als schnell. Dennoch: "Einer der Hauptpunkte sind die Wetter- und Bodenbedingungen", erklärt er. Davon sei die manuelle oder mechanische Räumung kaum beeinträchtigt. "Tiere und Insekten sind durch Faktoren wie Hitze, Feuchtigkeit, Windgeschwindigkeit und Bodenbeschaffenheit stärker beeinträchtigt als Menschen." Zudem könne es in Gebieten mit hoher Sprengstoffkonzentration, also dort, wo jüngster Zeit heftige Kämpfe stattgefunden haben, auch zu Fehlalarmen bei den Tieren und Insekten kommen.

Wie gefährlich ist das Minenräumen?

Sofern Mensch und Tier auf dem Feld unterwegs sein müssen, besteht Lebensgefahr. Anders verhält es sich mit der mechanischen Räumung. Denn hier fährt in der Regel ein ferngesteuertes Fahrzeug den Bereich ab.

Warum nutzt man dann nicht immer ein Fahrzeug?

Minenräumfahrzeuge können vieles aushalten. Die Modelle von GCS etwa können – je nach Größe – Detonationen mit Sprengstoff von bis zu 16 Kilogramm TNT standhalten, ohne schwere Schäden davonzutragen, wie Venter erklärt. Panzerabwehrminen enthalten in der Regel bis zu zwölf Kilogramm des Sprengstoffs.

Doch es ist nicht immer klar, welche Form von explosivem Gerät unter der Erde steckt. "Wenn wir bei improvisierten Sprengkörpern oder Blindgängern angekommen sind, könnten die Maschinen zerstört werden", sagt Venter. Nicht explodierte Artillerie enthält weitaus mehr Sprengstoff. Bei improvisierten Bomben kann man nie sagen, was und wie viel sich darin verbirgt. Und: Solche Fahrzeuge sind teuer. Man muss mit mehreren Millionen Euro rechnen, will man ein Fahrzeug der mittleren Größe finanzieren.

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Wer kümmert sich um die Minenräumung?

Grundsätzlich ist das Militär dafür zuständig. Doch während eines noch immer tobenden Krieges können nicht so viele Ressourcen gebunden werden. In Mykolajiw hat sich daher nun ein landwirtschaftliches Unternehmen dazu entschlossen, bei der Minenräumung zu unterstützen.

Das Unternehmen, Nibulon, ist in Mykolajiw ansässig und gilt als einer der größten Getreideexporteure des Landes. Der Experte der Schweizer Firma GCS, Venter, ist einer von mehreren Trainern, die die Mitarbeiter der Firma im Umgang mit der Maschine trainieren und ihnen alles Weitere zum Thema näherbringen. Bisher hat Nibulon noch keine Lizenz, um sich tatsächlich an der Räumung zu beteiligen. Man befindet sich noch im Trainingsmodus.

Dennoch wurde dieses Pilotprojekt unter anderem auch vom deutschen Entwicklungsministerium gefördert. Auf Anfrage unserer Redaktion teilt eine Sprecherin mit, dass dies im Rahmen des develoPPP-Projekt passiere. Die Projektlaufzeit belaufe sich auf zwei Jahre, 2023 angefangen.

Zum Gesprächspartner:

  • Lourie Venter ist technischer Berater im Bereich Minenräumung. Er stammt aus Südafrika, bewegt sich aber seit mehr als 20 Jahren in den Kriegs- und Krisenregionen der Welt, um Minenfelder zu säubern oder Menschen im Umgang mit Minen zu schulen. Zurzeit ist er für das Schweizer Unternehmen Global Clearance Solutions in Mykolajiw angesiedelt.

Verwendete Quellen:

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