Russland hatte angedroht, Frachter im Schwarzen Meer mit Ziel Ukraine als mögliche Transporter militärischer Güter und Waffen anzusehen. Nun hat eine Rakete erstmals ein ziviles Schiff im Hafen von Odessa getroffen. Was bedeutet das für den ukrainischen Seekorridor?

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Russland hat bei einem neuen Raketenangriff auf einen Hafen im Gebiet Odessa nach örtlichen Militärangaben erstmals ein ziviles Frachtschiff getroffen. Ein ukrainischer Lotse an Bord sei getötet, drei Mitglieder der Besatzung - philippinische Staatsangehörige - seien verletzt worden, teilten die Streitkräfte im Süden des Landes am Mittwochabend mit.

Demnach war eine von einem russischen Flugzeug über dem Schwarzen Meer abgeschossene Antiradarrakete in den Decksaufbau des Frachters eingeschlagen. Auf Fotos der Streitkräfte waren Zerstörungen zu sehen. Das Schiff fuhr demnach unter der Flagge des westafrikanischen Landes Liberia und transportierte Eisenerz.

Beobachter vermuten, Russland will weitere Frachter von Reisen abhalten

Nach seinem international stark kritisierten Aufkündigen des Schwarzmeer-Abkommens über den Transport von ukrainischem Getreide im Sommer hatte Russland den Seeweg für unsicher erklärt. Die russische Militärführung drohte damit, Schiffe mit Ziel Ukraine als potenzielle Träger von Waffen und militärischen Gütern anzusehen. Beobachter schätzen, der Beschuss des Schiffes könnte der Versuch von russischer Seite sein, weitere Frachter von Reisen in die Ukraine abzuhalten.

Der Frachter war nach ukrainischen Angaben in den Hafen eingelaufen, als er beschossen wurde. Der 43 Jahre alte Lotse kam laut Hafenverwaltung an Bord, um dem Schiffskapitän beim Manövrieren zu helfen. Auch ein Arbeiter wurde den Angaben zufolge verletzt.

Der ukrainische Infrastrukturminister Olexander Kubrakow teilte mit, der Frachter habe Eisenerz nach China transportieren sollen. Nach seinen Angaben war dies der 21. russische Angriff auf den Hafen von Odessa seit Moskaus Ausstieg aus dem Schwarzmeer-Abkommen.

Die EU verurteilte den russischen Angriff auf das Schiff. Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell bezeichnete ihn als "weitere Eskalation" und Beweis dafür, dass Russland auch den zivilen Seeverkehr terrorisiere. "Indem Russland Häfen und Exportanlagen ins Visier nimmt, verschärft es absichtlich die globale Ernährungskrise", kommentierte er.

Ministerium: Zwischenfall hat keinen Einfluss auf den Schiffsverkehr

Dem ukrainischen Transportministerium zufolge hat der Zwischenfall aber keinen Einfluss auf den Schiffsverkehr. Sechs Schiffe mit insgesamt 231.000 Tonnen Agrargütern an Bord haben demnach Häfen im Großraum Odessa verlassen und Kurs auf den Bosporus genommen, hieß es am Donnerstag. Fünf weitere Frachter werden in ukrainischen Seehäfen erwartet. Seit dem 8. August haben dem Ministerium nach 91 Schiffe 3,3 Millionen Tonnen an Fracht exportiert. Insgesamt 116 Schiffe haben die Häfen Tschornomorsk, Odessa und Piwdennyj angelaufen.

Russland beschießt die Region Odessa, wo mehrere Häfen liegen, immer wieder mit Raketen und Drohnen und trifft dabei neben Hafenanlagen auch immer wieder Getreidespeicher oder historische Gebäude in der Altstadt, die zum Weltkulturerbe der Unesco gehören. Neben den schweren Zerstörungen werden oft auch Menschen verletzt oder getötet. Zu dem Angriff auf das Schiff gab es zunächst keine Angaben von russischer Seite.

Großbritannien hatte vor Angriffen gewarnt

Anfang Oktober warnte Großbritannien nachdrücklich davor, dass Russland zivile Schiffe im Schwarzen Meer angreifen könnte. Nach Einschätzung der Briten könnte Russland zivile Schiffe angreifen, die im sogenannten humanitären Korridor der Ukraine unterwegs sind, um die Ausfuhr von ukrainischem Getreide zu verhindern und die Wirtschaft des Landes weiter unter Druck zu setzen.

Die britische Regierung hatte Russland bereits vor einigen Wochen einen versuchten Angriff auf einen zivilen Frachter im Schwarzen Meer vorgeworfen. Auch die US-Regierung hatte vor russischen Angriffen gewarnt.

Seit dem Ausstieg Russlands aus dem Getreideabkommen hat Moskau nach britischen Angaben insgesamt etwa 130 Hafeninfrastrukturanlagen in Odessa, Tschornomorsk und Reni beschädigt. Fast 300.000 Tonnen Getreide seien vernichtet worden - die Menge hätte gereicht, um 1,3 Millionen Menschen ein Jahr lang zu ernähren, schrieben die Briten Anfang Oktober. (dpa/ank)

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