Ein jüdischer Student ist in Berlin mutmaßlich von einem Kommilitonen zusammengeschlagen worden. Der Fall sorgt für heftige Diskussionen in der Hauptstadt. Der Präsident der Freien Universität will Studierende notfalls am Studieren hindern.
Nach dem mutmaßlichen Angriff auf einen jüdischen Studenten in Berlin will der Präsident der Freien Universität Berlin mit der Politik über eine Ausweitung des Handlungsspielraums von Hochschulen sprechen.
"Wir wollen mit der Politik darüber beraten, ob Exmatrikulationen in besonders extremen Fällen in Berlin ermöglicht werden sollte", sagte Präsident Günter Ziegler dem "Tagesspiegel". "Wenn wir über Straftäter reden, die eine Bedrohung für andere Studierende darstellen, ist es eine wünschenswerte und notwendige Maßnahme, die Personen am Studieren zu hindern." Eine Universität funktioniere sonst nicht mehr als Gemeinschaft.
Ziegler betonte, er wünsche sich eine ruhige und sachliche Debatte darüber, in welchen Situationen Exmatrikulationen begründet seien. Seine Meinungsbildung dazu sei noch nicht abgeschlossen. Zu "Gesinnungsprüfungen" dürfe es aber nicht kommen. Jemandem Antisemitismus zu unterstellen, könne zunächst kein Grund für eine Exmatrikulation sein.
Hintergrund: Was ist passiert?
Am Wochenende war der jüdische FU-Student Lahav Shapira mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus gekommen. Ein 23 Jahre alter propalästinensischer Kommilitone soll ihn im Ausgehviertel in Berlin-Mitte geschlagen und getreten haben. Danach war von mehreren Seiten eine Exmatrikulation des betreffenden Studenten gefordert worden. Laut FU ist dies in Berlin aus rechtlichen Gründen in solchen Fällen aber nicht möglich.
Berlins Regierungschef Kai Wegner (CDU) hatte dazu am Mittwoch erklärt, die Hochschule brauchten Instrumente, damit sie konsequent und schnell handeln könnten. "Wenn dazu eine Änderung des Hochschulgesetzes erforderlich sein sollte, werden wir in der Koalition darüber sprechen."
Rücktritt von Senatorin gefordert
Der Fall sorgt seit Tagen für Diskussionen in Berlin und über die Hauptstadt hinaus. Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) lehnt eine Gesetzesänderung, um Exmatrikulationen zu ermöglichen, bisher ab. Sie setzt strattdessen auf Hausverbote. "Es müssen, bevor über schärfere Maßnahmen diskutiert wird, die bisherigen Mittel ausgeschöpft werden, auch wenn dies am Ende gerichtlich verhandelt werden muss", teilte sie mit. Ein Hausverbot in dem aktuellen Fall nannte sie "dringend erforderlich".
Das reicht aber nicht jedem. Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle etwa warf Czyborra am Mittwoch Verharmlosung und "Schönfärberei" vor: "Es bleibt nur der Rücktritt."
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) forderte ebenfalls eine Anpassung des Berliner Hochschulgesetzes, damit Täter auch durch die Universitäten exmatrikuliert werden können. Die Freiheit und der Schutz der jüdischen Studenten dürfe "nicht im Pingpong zwischen Hochschule und Landesgesetzgeber" hin und her gehen, sagte sie am Mittwoch dem Sender Welt TV.
Samuel Salzborn, der Berliner Ansprechpartner zu Antisemitismus, berichtete der Deutschen Presseagentur (dpa), er höre von jüdischen Studierenden, dass sie sich insbesondere an der FU nicht sicher fühlten. Die Gewalttat gegen Lahav Shapira sei "Ausdruck einer insgesamt antisemitisch verhetzten Stimmung".
Der Angriff habe sich zwar nicht in der Uni zugetragen, sondern auf öffentlichem Grund. "Der Hintergrund scheint aber zu sein, dass antisemitische Propaganda bei Studierenden immer wieder verfängt und sich eine Minderheit zunehmend und rasant radikalisiert", sagte Salzborn. "Ohne antisemitisches Weltbild käme es nicht zu einer derartigen Gewalteskalation." Salzborn betonte, das Berliner Hochschulgesetz verpflichte die Unis, gegen jeden Antisemitismus entschieden vorzugehen.
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Pro-Palästina-Demo vor FU laut Polizei zunächst ohne Vorkommnisse
Derweil versammelten sich mehrere Dutzend Menschen zu einer Kundgebung unter dem Titel "Solidarität mit Palästina" vor der Freien Universität Berlin (FU). Ein Polizeisprecher sprach von zunächst 50 Teilnehmenden, angemeldet waren 100. Bisher habe es keine Vorkommnisse gegeben.
Die Demonstranten standen anfangs ruhig vor der großen Mensa der FU in Dahlem und hielten Transparente und Schilder, etwa mit Aufschriften wie "Freiheit für Palästina!" und "Stoppt die Heuchelei!". Manche trugen Palästinensertücher, später wurden"Free Palestine"-Sprechchöre angestimmt. Es gab einen Gegenprotest von Menschen mit Israel-Flaggen. Am Rande der Kundgebung kam es zu Wortgefechten, ein Mann mit Israel-Flagge und ein offenbar propalästinensisch eingestellter Mann wurden von der Polizei getrennt.
Universität stellt Strafanzeige
In sozialen Medien kursierte vorab ein Demoaufruf von einem "Palästinakommitee FU Berlin". Eine Sprecherin der Gruppe sagte, man richte sich "gegen Lügen und Heuchelei" im Umgang mit dem Krieg Israels in Gaza. Ein 22-jähriger Student sagte, er sei extra von der Humboldt-Universität gekommen, um "gegen den Genozid" zu protestieren.
Teilnehmer warfen den Unileitungen vor, zu einseitig Position für Israel zu beziehen, propalästinensische Solidarität werde mit dem Vorwurf des Antisemitismus unterdrückt.
Die FU distanzierte sich vorab von der Veranstaltung und stellte nach eigenen Angaben Strafanzeige, aufgrund von Inhalten von Plakaten mit dem Aufruf. Sie betonte, dass die Kundgebung auf der Straße stattfinde und daher weder von der FU genehmigt sei noch von ihr unterstützt werde. "Sollte eine nicht genehmigte Veranstaltung auf das Gelände der Freien Universität übergreifen, wird die Hochschule gegebenenfalls von ihrem Hausrecht Gebrauch machen", hieß es. (dpa/fab)
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