Der Umgang im Klimaministerium mit der Trauzeugen-Affäre war schlimmer als der Fehler selbst, meint Ulrich Battis. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt der Staatsrechtler den Unterschied zwischen beamteten und Parlamentarischen Staatssekretären. Außerdem spricht er über den Einfluss der Staatsdiener und einprägsame Persönlichkeiten.

Ein Interview

Herr Battis, war es richtig, Staatssekretär Patrick Graichen zu entlassen?

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Ulrich Battis: Ja, Herr Graichen hat einen Fehler gemacht. Er hat die Befangenheitsregeln missachtet. Dadurch hat er das Vertrauen eines Ministers verloren, der dadurch in schwere politische Wetter gekommen ist. Deswegen konnte er als politischer Beamter wegen Vertrauensverlust jederzeit entlassen werden.

Was war die rote Linie? Hätte früher die Reißleine gezogen werden müssen?

Die meisten politischen Beamten werden nicht wegen des Fehlers entlassen, den sie gemacht haben, sondern wegen des Umgangs damit. Hier war das entscheidende, dass der Staatssekretär seinen Trauzeugen in die engere Wahl genommen und nicht offengelegt hat, dass eine freundschaftliche Beziehung bestand.

Erst deutlich nach dem Geschehen hat er das offengelegt. Wirtschaftsminister Habeck wollte ihn aber noch halten, weil er Graichen für besonders wichtig hielt. Dann geriet der Minister selbst unter Druck und hat die Reißleine gezogen. Der Umgang mit dem Fehler war schlimmer als der Fehler selbst.

Was bedeutet die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand bei Staatsekretären? Kann er nun etwa wieder für die grüne Denkfabrik Agora Energiewende arbeiten, für die er bereits zuvor gearbeitet hat?

Das ist eine Frage des Einzelfalls. Eigentlich müsste er diese Tätigkeit erstmal etwas ruhen lassen. Generell dürfen Staatssekretäre im einstweiligen Ruhestand Nebentätigkeiten nachgehen. Diese dürfen aber nicht dienstliche Interessen berühren. Bei Herrn Graichen wäre das dann der Bereich Wärmepumpen, den er nicht bearbeiten dürfte.

Ulrich Battis: "Beamtete Staatssekretäre vertreten die Verwaltung gegenüber dem Minister"

Was sind die Aufgaben eines beamteten Staatsekretärs, wie Graichen einer war?

Er ist der Chef eines Ministeriums – und zwar der Verwaltung, nicht des politischen Teils. Beamtete Staatssekretäre vertreten die Verwaltung gegenüber dem Minister. Zugleich ist er der Vertraute des Ministers. Manchmal gibt es sogar zwei oder drei Staatssekretäre, die in einem großen Ministerium das Sagen haben.

Was ist der Unterschied zwischen einem Parlamentarischen und einem beamteten Staatssekretär?

Parlamentarische Staatssekretäre gibt es seit den 1970er-Jahren. Sie sind Politiker, sie sind Abgeordnete und somit Teil des Bundestags und der Regierung. Sie sind auf Zeit gewählt und nicht wie Beamte auf Lebenszeit ernannt.

Das Amt wurde nach dem Vorbild sogenannter Junior-Minister eingeführt. Wie Gesellen, die die Meisterprüfung bestanden haben, werden Parlamentarische Staatssekretäre Minister. Der ehemalige FDP-Innenminister Gerhart Baum ist dafür ein bekanntes Beispiel. Er war unter Minister Werner Maihofer Parlamentarischer Staatssekretär und als dieser dann 1978 zurücktreten musste, wurde Baum sein Nachfolger.

Oft dient das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs auch als Versorgungs-Posten. Neben dem Modell des Junior-Ministers sollen heutzutage Parlamentarische Staatssekretäre als Stellvertreter des Ministers in der Öffentlichkeit auftreten. Es muss vielmehr Präsenz gezeigt werden, gerade gegenüber den Medien. Da ist es gut, wenn man zwei oder drei Leute in der vordersten Reihe eines Ministeriums hat, die beispielsweise zu Empfängen oder Eröffnungen einer wichtigen Straße gehen – stellvertretend für den Minister.

Wer war Ihrer Meinung nach der einprägsamste Staatssekretär in der Geschichte der Bundesrepublik?

Das war Günter Hartkopf, der 1969 im Bundesministerium des Innern zum beamteten Staatssekretär berufen wurde. "Mir ist egal, wer unter mir Minister ist“ – das Zitat zeigt, dass er der starke Mann im Innenministerium war. Er sagte auch über Parlamentarische Staatssekretäre: „Das sind die Leute, die Probleme schaffen, die wir nicht hätten, wenn es sie nicht gäbe." Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass dieses negative Bild nicht gilt. Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen. Aber insgesamt ist das Amt des Staatssekretärs gesichert.

"Außerhalb Deutschlands gibt es den Begriff Staatssekretär nicht"

Im Auswärtigen Amt gibt es auch noch Staatsminister.

Staatsminister sind auch Parlamentarische Staatssekretäre. Die Bezeichnung wurde eingeführt, damit Staatssekretäre auf internationalen Konferenzen als Staatsminister auftreten können. Außerhalb Deutschlands gibt es den Begriff Staatssekretär nicht. Das ist nur fürs Protokoll.

Eine besondere Staatsministerin ist aktuell Claudia Roth. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien trägt die Verantwortung für die Kultur- und Medienpolitik der Bundesrepublik Deutschland, begleitet und kontrolliert vom Ausschuss für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag.

Seit wann gibt es beamtete Staatssekretäre?

Die gibt es seit 1871 mit der Ausrufung des Deutschen Kaiserreichs. Damals gab es keine Ministerien, so dass die Ministerin vom Staatssekretär geleitet wurden. Die Zweiteilung – Minister und Staatssekretäre – wurde mit der Weimarer Republik eingeführt, als Folge der Einführung der Parlamentarischen Demokratie.

Wieviel Einfluss hat ein beamteter Staatssekretär in einem Ministerium?

Das kann man nicht verallgemeinern und ist ganz unterschiedlich und individuell. Es gibt Fälle, in denen der beamtete Staatssekretär der wichtigste Mann im Haus ist – siehe Hartkopf.

Unter Kohl war damals etwa der Parlamentarische Staatssekretär Anton Pfeifer im Bildungsministerium der Chef. Obwohl er qua Amt nicht eingebunden in das Ministerium war und keine Weisungsrechte im Haus hatte, weil er kein Vorgesetzter war wie der beamtete Staatssekretär. Er machte das alles mit seinem politischen Einfluss wett. Wenn man im Ministerium etwas erreichen wollte, ging man zu Pfeifer. Er war sogar wichtiger als der Minister.

Der Einfluss eines Staatssekretärs bemisst sich an der Persönlichkeit, am Umfeld und am Koalitionsklima in der jeweiligen Regierung. So wurde Patrick Graichen ja auch als "Mister Energiewende" bezeichnet. Er war einfach wichtig für diesen Bereich.

Werner Glatzer ist seit 18 Jahren Staatssekretär im Finanzministerium

Und wie wird man Staatssekretär?

Als Parlamentarischer Staatssekretär muss man Bundestagsabgeordneter sein. Nach den Koalitionsverhandlungen einer neuen Regierung werden zuerst die Minister- und dann die Staatssekretärs-Posten verteilt. In der Regel werden danach die beamteten Staatssekretäre ernannt.

Es gibt aber auch Beispiele wie Werner Glatzer, der seit 2005 diesen Posten im Bundesfinanzministerium innehat. Er war und ist also beamteter Staatssekretär der Minister Steinbrück, Schäuble, Scholz und nun Lindner. Trotz seines SPD-Parteibuchs behielt er unter verschiedenen Ministern seinen Posten. Normalerweise wechseln die Staatssekretäre aber unter einer neuen Regierung.

Bei der Postenvergabe spielt neben dem Vertrauen des Ministers und der fachlichen Eignung natürlich die Farbe des Parteibuchs eine Rolle. Das ist auch völlig legitim, denn es geht ja um Politik.

Welche Lehren sollte man aus der Trauzeugen-Affäre ziehen?

Die Forderungen nach neuen Compliance-Regeln für die Ministerien halte ich für überzogen und überflüssig. Im Verwaltungsverfahrensgesetz gibt es klare Vorgaben über Befangenheit. Diese sind in der Trauzeugen-Affäre ignoriert worden. Auch wenn die Mühlen langsam mahlen, wurde der Gesetzesverstoß geahndet – Graichen musste gehen.

Zur Person: Ulrich Battis ist Professor für Verfassungsrecht. Seit 1993 lehrte er bis zu seiner Emeritierung 2009 als Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 1994 war er Direktor des Institutes für Deutsches und Internationales Baurecht an der Humboldt-Universität und seit 1996 ist er dort Direktor des Instituts für Anwaltsrecht.
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