Der Terroranschläge von Paris treffen mitten in unseren Alltag: Plötzlich erscheinen banale Dinge wie ein Fußballspiel nicht mehr sicher. Der Angstforscher Borwin Bandelow erklärt im Interview, warum Angst die Vernunft ausschaltet und wie wir verhindern können, dass sie übermächtig wird.
Der Schock sitzt tief. Nicht nur in Paris und Frankreich, auch in Deutschland fragen sich viele Menschen: Kann das morgen auch vor meiner Haustür passieren, in München, Berlin oder Köln? "Die Menschen sind jetzt maximal geängstigt", sagt Borwin Bandelow, Angstforscher und Professor für Psychiatrie an der Universität Göttingen.
Terroristen nutzen die Angst
Terroristen wissen um die Macht der Angst, es ist ihre stärkste Waffe. Das Wort "terror" selbst bedeutet im Lateinischen Angst und Schrecken. Terroristen nutzen dazu auch Bilder und Medien. So können sie weit über den Ort des Anschlags hinaus Wirkung erzielen. Jeder kann sich an die brennenden Türme des World Trade Centers erinnern. Auch die Terrorgruppe vom Islamischen Staat (IS) will mit Enthauptungsvideos und den jüngsten Anschlägen in Paris einen ähnlichen Effekt erzielen.
Ein natürliches Empfinden
Dabei ist Angst eigentlich ein nützliches Gefühl. Sie warnt uns vor Gefahren und macht uns vorsichtig. "Täglich leitet uns die Angst elegant durchs Leben", sagt Psychiater Bandelow. Sie verhindert, dass wir vom Bus überfahren werden. Doch zu viel von ihr kann auch krank machen, wenn sie das Leben beherrscht und einen normalen Alltag fast unmöglich macht.
Xenophobie, die Angst vor dem Fremden ist eine Urangst des Menschen. "Jeder Mensch hat eine eingebaute Fremdenangst", erläutert Bandelow. Als die Menschen noch in Stämmen gelebt hätten, habe die Überhöhung des eigenen Stammes und die Bekämpfung von fremden Stämmen einen Überlebensvorteil geboten.
Rechtspopulisten instrumentalisieren die Angst
Heute würde der reale Hintergrund von Fremdenangst, wie Sorgen um finanzielle Belastungen und Benachteiligungen, aber auch von irrationalen Ängsten überlagert. "Da setzt manchmal die Vernunft aus", meint der Angstforscher. "Demagogen nutzen diesen Mechanismus aus."
Schon kurz nach den Anschlägen von Paris haben Rechtspopulisten diese Ängste instrumentalisiert, indem sie die Angst vor Islamisten und Terrorismus auf größere Gruppen wie Muslime im Allgemeinen oder Flüchtlinge übertrugen.
Sind Flüchtlinge Terroristen?
Bandelow findet es "grotesk, dass ausgerechnet den syrischen Flüchtlingen, die selbst vor Krieg und Terror fliehen, unterstellt wird, Terroristen zu sein". Weil Menschen zu Verallgemeinerungen neigen, ist der Islam mittlerweile für viele zu einem Feindbild geworden. "Plötzlich erscheint jeder mit einem schwarzen Bart als verdächtig", beschreibt es der Psychiater.
Wenn die Angst stärker ist als die Vernunft
Fanatische Islamisten erhalten seit Jahren viel Aufmerksamkeit in den Medien. Doch so berechtigt die Nachrichten über sie sind, sie verzerren auch die tatsächliche Gefahr.
"Gefahren sind für uns größer, wenn sie neu und unbeherrschbar erscheinen", sagt Bandelow. "Es ist schrecklich, dass es bei einem Anschlag so viele Opfer gibt, aber statistisch gesehen sind andere Dinge viel bedrohlicher."
Ist das Anschlagsrisiko wirklich so hoch?
Für einen Europäer ist das Risiko, bei einem Terroranschlag zu sterben, sehr gering. Viel gefährlicher ist für ihn der alltägliche Straßenverkehr, Unfälle im eigenen Haus oder auch der Konsum von Alkohol.
Ängste lassen sich aber nur schwer von Statistiken überzeugen. Wer Flugangst hat, dem nützt es wenig zu wissen, dass ein Flugzeug das sicherste Verkehrsmittel ist. "Das vernünftige Gehirn begreift die statistische Unwahrscheinlichkeit eines Absturzes", erklärt der Angstforscher. Doch das einfache Gehirn, Bandelow nennt es das "Ministerium für absurde Angst", habe in diesem Moment Vorrang: "Es sagt uns: Ein Mensch gehört nicht in die Luft, wir sind doch kein Vogel!"
Der Weg aus der Angst
Wie können wir der Angst begegnen, damit sie nicht übermächtig wird? Man muss sich mit ihr auseinander setzen, empfiehlt Bandelow. Wer unter Flugangst leide, sollte so viel wie möglich fliegen. "Man muss dem Angst-System einhämmern, dass die Situation nicht gefährlich ist", erläutert der Angstforscher.
Die ständige Konfrontation löst einen Gewöhnungseffekt aus. Fremdenangst werde ebenfalls kleiner, wenn man wiederholt Ausländern begegnet oder zum Beispiel in die Türkei reist und mit den Menschen dort ins Gespräch kommt.
Terrorismus ist nur eine der Gefahren
Auch die Schockstarre nach den Anschlägen von Paris werde nicht lange anhalten, glaubt Bandelow: "Es gibt so viele Gefahren, Terrorismus ist nur eine davon." Menschen gewöhnen sich sogar an einen Alltag mit ständiger Bedrohung, das lasse sich ebenso in Israel wie in den Favelas von Rio de Janeiro beobachten. "Die Menschen in Bagdad gehen nach einem Anschlag wieder auf den Markt", sagt der Angstforscher. Auch das ist ein Sieg über den Terror.
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