Während die Terrorgefahr in den vergangenen Jahren zugenommen hat, scheint unsere Angst davor abzunehmen. Eine auf den ersten Blick paradoxe Reaktion, könnte man meinen: Kann man sich an Terror gewöhnen?
Als es Ende 2015 zu einer Anschlagsserie in Paris kam, beherrschte der Ausnahmezustand nicht nur ganz Frankreich. Auch die Deutschen waren in Alarmbereitschaft.
Inzwischen verursachen Terroranschläge wie zuletzt in Berlin oder London nur noch kurzfristige Schockstarren. Michael Krämer, Präsident des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen, erklärt, was diese Entwicklung für den Umgang mit dem Terror bedeutet.
Prof. Krämer, haben wir uns in Europa an den Terror gewöhnt?
Professor Dr. Michael Krämer: Meines Erachtens wäre es besser von Überdruss zu reden. Im Psychologensprech wäre von "Sättigung" die Rede, die sich bei vielen breit macht. Wenn einzelne sagen, sie gewöhnen sich daran, wäre das für mich im Zusammenhang mit Terror ein zu positiver Begriff.
Hinzu kommt: In den Medien haben Themen wie Terrorismus immer eine eigene Konjunktur. Es wird nach wie vor über Anschläge berichtet, aber eventuell nicht mehr auf der Titelseite. Das ist auch durchaus nachvollziehbar.
Ist dieser Verdrängungsmechanismus denn positiv zu bewerten?
Bei den Medien muss erlaubt sein zu fragen, erreichen Terroristen ihr Ziel, wenn ausführlich über sie berichtet wird? Tut man nicht besser daran, ihnen nicht so viel Raum zu geben? Für mich stellt sich dabei jedoch nicht die Frage, ob, sondern wie berichtet wird.
Wenn das auf sachlicher Ebene geschieht, ist daran nichts auszusetzen. Das Ganze zu vernachlässigen, weil die Aufmerksamkeit dafür gesunken ist oder wir dadurch zumindest ein Ziel der Terroristen vereiteln könnten, scheint mir der falsche Weg. Als Gesellschaft haben wir schließlich einen gewissen Spielraum, wie wir mit solchen Dingen umgehen.
Was trifft derzeit eher zu: Dass wir weniger Angst haben oder ist nicht vielmehr ein latenter Dauerzustand eines Angstgefühls vorhanden?
Zunächst gilt: Aus psychologischer Sicht ist Angst vollkommen natürlich und als eine gefühlsmäßige Reaktion auf Gefahren auch erwünscht. Wie sehr man sich von seiner Angst leiten lässt, hängt von individuellen Verhaltensweisen ab.
Der eine kann sich ablenken, der andere bagatellisiert die Situation und der Dritte wird sich fragen, wie er sich anpassen kann, um den Bedrohungsgrad zu reduzieren. Das Schwierige dabei ist das Unvorhersagbare, das dem Terror innewohnt. Denn wenn man die Bedrohung für einen selbst eher einschätzen könnte, könnte man auch besser mit der allgemeinen Situation umgehen.
Aber man muss akzeptieren, dass genau das bei Terror nicht möglich ist, weil er nun mal nicht absehbar und in seinen Konsequenzen fatal ist. Deshalb ist ein breites Spektrum von Bewältigungsmechanismen denkbar.
Lässt sich überhaupt bewerten, welches Anpassungsverhalten gefährlich ist und welches gut?
Rein objektiv, wie man das bei Versicherungen angehen würde, muss man feststellen, dass wir hier in unserer Region noch immer ein relativ geringes Risiko haben, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Etwa im Vergleich zu anderen Menschen, die sich Bürgerkriegssituationen ausgesetzt sehen.
Aber das ist der sachliche Aspekt und nicht unsere Wahrnehmung, also nicht, wonach wir handeln. Unsere Emotionalität wird am Ende den Fokus setzen. Und auch, ob ich für mich alleine oder meine gesamte Familie entscheide, spielt eine Rolle.
Einen Mittelweg finden bedeutet, sich nicht zu stark in seinem Alltag beeinträchtigen zu lassen – das wäre dann die Resignation vor der Gefahr – und gleichzeitig Vorsicht walten zu lassen.
Wie man auf Terror reagiert, hängt auch davon ab, was man darin sieht: bloße kriminelle Energie oder auch eine Verzweiflungstat. Hilft es im Umgang mit der Angst, sich seiner eigenen Position hierzu klar zu werden?
Hilfreich in diesem Zusammenhang ist folgender Dreiklang: In einer Gefahrensituation ist es gut, wenn ich sie als solche erkenne, sie erklären und am besten auch beeinflussen kann. Auch Terrorismus hat Ursachen.
Aber selbst wenn ich diese kenne, wird dadurch weder die Gefahr geringer noch die eigene Angst verschwinden. Am besten wäre es, wenn der Einzelne konkrete Einflussmöglichkeiten hätte und zu einer Gefahrenreduktion beitragen könnte.
Oft bleibt nur, selbst vorsichtig zu sein, mit anderen gemeinsam ein Zeichen der Solidarität mit direkt Betroffenen zu setzen und die Politiker zu unterstützen, die glaubwürdig dazu einem Abbau der Spannung beitragen, anstatt sie zu verschärfen.
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