Pegida-Demonstrationen fallen zunehmen durch aggressive Stimmung gegenüber Ausländern, Andersdenkenden oder Journalisten auf. Sollte man daher überhaupt mit Pegida-Anhängern sprechen? Die Psychologin Lena Kornyeyeva sagt, ein Gespräch ergebe nur Sinn, wenn Grundsätze der Menschlichkeit nicht infrage stünden.
Frau Kornyeyeva, warum entwickeln Menschen eigentlich Hass?
Kornyeyeva: Die Ursache ist immer ein innerer Konflikt. Jemand, der mit sich in Frieden lebt, hat kein Bedürfnis einen Anderen zu hassen. Aggression ist ein Produkt der Angst oder der Verunsicherung.
Gibt es unter Pegida-Anhängern typische Charaktereigenschaften?
Viele Eltern unterdrücken den Machtinstinkt ihrer Kinder, da sie glauben, dass er nicht ein Mittel der Selbstverwirklichung ist, sondern vielmehr schlecht sei. Durch diese Erfahrung der Abwertung lernen Kinder nicht, sich auf eine akzeptable Weise in der Gesellschaft durchzusetzen. Die so entmachteten Kinder versuchen später, andere Menschen auch aggressiv zu unterdrücken; sie suchen dann "Schuldige", an die sie die eigene negative Erfahrung weitergeben. Sie kompensieren so die Unterdrückung ihrer Durchsetzungskraft.
Sie vermuten, dass viele Pegida-Anhänger über eine autoritäre Persönlichkeit verfügen. Was bedeutet das?
Meiner Ansicht nach sind Merkmale der so bezeichneten Autoritären Persönlichkeit – wie Unterwürfigkeit, Aggression und Fremdenfeindlichkeit – nur Ausdruck einer latenten Neigung zur "Machtanbetung". Machtanbetung entsteht durch subjektiv wahrgenommene Entmachtung; die Machtanbeter wollen zu einer Gruppe gehören, die ihnen Verstärkung verspricht, und wollen sich gleichzeitig von den Schwächeren ent-identifizieren – womöglich auch mit aggressivem Verhalten.
Sollte man dann mit Pegida-Anhängern überhaupt ins Gespräch kommen oder wäre es besser sie zu ignorieren?
Ein Gespräch macht nur Sinn, wenn Grundsätze der Menschlichkeit nicht in Frage stehen, etwa, dass jedes Menschenleben, auch das eines aus Syrien oder Afrika Flüchtenden, den gleichen Wert hat. Man muss sich zudem einig sein, dass politische Aufgaben nicht mit Hass, sondern nur mit verantwortlichem Handeln zu lösen sind. Insofern ist es fraglich, ob es eine Gesprächsbasis mit der Mehrheit der Pegida-Anhänger geben kann. Aber jeder Mensch ist individuell, und auch die Demonstranten in Dresden können nicht alle in einen Topf geworfen werden. Mit manchen wird man auch reden können.
Führt Abneigung oder Hass gegenüber Pegida nicht selbst dazu, sich so zu verhalten wie deren Anhänger?
Auch wenn man Menschen in ihrem Handeln und Auftreten kritisiert, sollte man die Argumente im Auge behalten und nicht den Anderen abwerten. Wer souverän, selbstsicher und auch sachlich bleibt, der wird sich nicht in eine negative Spirale von Hass und Abwertung hineinziehen lassen.
Ein Beispiel: Ein Journalist sieht bei einer Demo einen jungen Mann in einem T-Shirt mit islamfeindlichen Motiven und würde gern mit ihm über seine Meinung diskutieren. Wie geht er am besten vor, damit das Gespräch nicht eskaliert?
Ein Machtanbeter wird nur eine stärkere Macht anerkennen. Alles was für ihn nicht bedrohlich aussieht, wird er geringschätzen. Wenn man einer Autoritären Persönlichkeit selbstsicher und überzeugend gegenübertritt, dann wird man Zugang zu ihr bekommen.
Und falls das Gegenüber dennoch laut und aggressiv wird?
Dieses Verhalten wäre ein Zeichen dafür, dass der junge Mann mit dem T-Shirt den Fragesteller nicht als Gegenmacht anerkennt.
Um gegen Gewalttätigkeit anzukommen, hilft oft nur die Macht des Staates – der dann auch konsequent gegen kriminelles Verhalten handeln muss.
Wenn ein Pegida-Anhänger von seinen Unwahrheiten oder falschen Statistiken überzeugt ist, wäre es dann ratsam, ihn darauf anzusprechen?
Die Pegida-Leute und viele Verschwörungstheoretiker benötigen Unwahrheiten als einen Treibstoff für ihr Handeln. Daher rücken sie von ihren liebgewonnenen und kolportierten Geschichten nur ungern ab.
Die Menschen auf den Demos sind erwachsen und haben sich meist über Jahre ihre politische Meinung geformt. Kommt man an sie überhaupt noch heran?
Erwachsensein bedeutet, für sich selbst die volle Verantwortung zu tragen und keine Identifikation mit einer Machtfigur zu suchen. Machtanbeter wie viele Pegida-Anhänger – es ist kein Zufall, dass sie oft eine Figur wie den russischen Präsidenten Wladimir Putin bejubeln – verhalten sich wie aufsässige Kinder. Man sollte ihnen entgegenhalten, dass es von individueller intellektueller Reife zeugt, wenn man ohne Hassparolen und mit gesellschaftlich akzeptierten Mitteln einen politischen Diskurs führt.
Sie sind Psychologin. Für eine Therapie ist eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Ihnen und den Patienten wichtig. Hätten Sie Schwierigkeiten, einen Pegida-Anhänger zu behandeln, etwa weil sie seine extremen politischen Ansichten nicht teilen?
Da hätte ich keine Schwierigkeiten. Ich arbeite mit Menschen; Politik bleibt außerhalb des Gesprächs. Ein Mensch ist immer mehr als seine politischen Ansichten.
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