Er kommt selbst für viele politische Beobachter quasi aus dem Nichts und steht nun plötzlich im Zentrum der Weltpolitik: Juan Guaidó. Und genau dieses Unverbrauchte könnte sein größter Trumpf sein. Doch wer ist dieser 35-Jährige, der in Venezuela Regierungschef Nicolás Maduro den Fehdehandschuh vor die Füße wirft - mit offenkundiger Rückendeckung eines mächtigen Verbündeten?

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Was für ein Politiker ist der 35-jährige Juan Guaidó, der sich als bis dato nahezu Unbekannter am 23. Januar selbst zu Venezuelas Interimspräsidenten ernannt hat?

Für Regierungschef Nicolás Maduro ist er "eine der politischen Marionetten" der USA. Für die Opposition ist er eine unerwartete Führungsfigur.

Viele Fragen über Guaidó bleiben offen

Nach Ansicht von Geoff Ramsey vom Forschungsinstitut Washington Office on Latin America (WOLA), gibt es viele Fragen zur politischen Identität Guaidós. "Was wir wissen, ist, dass er wie die Mehrheit der oppositionellen Fraktionen in Venezuela eine Mischung aus Liberalem und Sozialdemokrat ist."

Der Diplom-Ingenieur und Vater einer kleinen Tochter aus der Hafenstadt La Guaira zählt zu den jungen Politikern der Opposition, die als Generation der Studentenproteste 2007 bekannt wurde.

Im Parlament sitzt er für die Partei Voluntad Popular (Volkswille), zu dessen Mitbegründern er zählt. Anfang Januar wurde er zum Parlamentschef gewählt. An vorderste Front seiner Partei rückte er, weil andere Oppositionelle ins Ausland geflohen sind oder - wie sein politischer Ziehvater Leopoldo López - in Haft oder Hausarrest sitzen.

Der Trumpf des Neuen: Er ist neu

"Das Bedeutsamste ist, dass er neu ist", sagt der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Günther Maihold der Deutschen Presse-Agentur.

"Er entspricht nicht den Mustern der traditionellen Politiker vor der Chávez-Zeit. Von dieser Erblast ist er befreit." Entsprechend entkomme Guaidó auch der Diskreditierung als "US-Marionette".

Gleichzeitig sei er eine Figur, mit der sich viele Venezolaner identifizieren könnten: nicht aus dem klassischen Establishment, sondern einer kinderreichen Familie der Mittelschicht, laut Maihold kein "Haudrauf-Typ" wie Maduro. Ein Charismatiker.

Der venezolanische Politologe Carlos Torrealba von der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (FLACSO) hält Guaidós Unbeschriebenheit auch für einen Vorteil innerhalb der Oppositions-Flügel.

Torrealba verweist zudem auf die christliche Seite Guaidós: "Da er von der Katholischen Universität Andrés Bello kommt, sind seine Inhalte sehr auf die christliche Demokratie ausgerichtet. Er erwähnt Gott oft."

Guaidó und das Militär: Die zentrale Frage im Machtkampf

Ein Knackpunkt für Guaidó dürfte nach Sicht der Politologen das mächtige Militär bleiben, dessen Unterstützung Guaidó nicht hat.

"Die legitime Macht zu haben, ist das Eine, das Andere ist die Macht de facto", meint WOLA-Vizeleiter Ramsey.

Auch Maihold schätzt die Chancen gering ein, dass er die Armee für sich gewinnen kann. "Das ist ein extrem aufgeblähter Militärapparat, der eng an die Versorgungsströme des Landes und der Regierung angeschlossen ist."

Guaidó bleibe nur, die Massen zu mobilisieren, damit den Druck auf das Regime zu verstärken und Maduro so zu Zugeständnissen zu zwingen, meint Maihold. "Eine schnelle Lösung deutet sich in Venezuela nicht an."

Guaidó weiß natürlich um die Bedeutung der Streitkräfte als entscheidender Spieler im venezolanischen Machtkampf mit Maduro. Und so verstärkt er gerade seine Bemühungen, das mächtige Militär auf seine Seite zu ziehen.

Guaidó spricht Militär in "New York Times" direkt an

In der "New York Times" schrieb er nun, es habe heimliche Treffen mit Vertretern der venezolanischen Armee und der Sicherheitskräfte gegeben.

Für einen Regierungswechsel sei es "entscheidend", dass die Streitkräfte Maduro ihrer Unterstützung entziehen. Für einen politischen Wandel benötige er die Unterstützung von wichtigen Truppenkontingenten. Die Mehrheit der Soldaten würden mit ihm übereinstimmen, dass die Lage in dem Land unhaltbar sei.

Bereits bei erneuten Anti-Maduro-Protesten am Mittwoch hatte Guaidó Appelle an die Streitkräfte gerichtet. "Schießt nicht auf das Volk, das auch für eure Familie kämpft. Das ist ein Befehl, Soldat des Vaterlands. Es reicht!", rief Guaidó.

Demonstranten trugen Schilder mit Aufschriften wie "Streitkräfte, findet eure Würde wieder", "Guaidó Präsident" und "Maduro Usurpator".

Am Donnerstag will Guaidó darlegen, wie er Venezuela aus der wirtschaftlichen und sozialen Krise führen will.

Es gehe darum, die Wirtschaft zu stabilisieren, umgehend auf die humanitäre Notsituation zu antworten, öffentliche Leistungen wieder herzustellen und die Armut zu besiegen, erklärte der 35-Jährige.

Unterstützung für Guaidó - Ultimatum für Maduro

Die USA und eine Reihe lateinamerikanischer Staaten haben sich an die Seite des 35-Jährigen gestellt. US-Präsident Donald Trump telefonierte am Mittwoch mit Guaidó und gratulierte ihm zur "historischen Übernahme" seines Amtes.

Später schrieb Trump auf dem Kurzbotschaftendienst Twitter mit Blick auf die erneuten Anti-Maduro-Proteste in Venezuela: "Der Kampf für die Freiheit hat begonnen!"

Auch das Europaparlament könnte Guaidó als Interimspräsidenten anerkennen. Über eine entsprechende Resolution soll am Donnerstag abgestimmt werden.

In dem Text, den die Nachrichtenagentur AFP einsehen konnte, wird Guaidó auf Grundlage von Artikel 233 der venezolanischen Verfassung als rechtmäßiger Übergangspräsident des südamerikanischen Krisenstaates anerkannt.

Dies soll so lange gelten, bis neue "freie, transparente und glaubwürdige Präsidentschaftswahlen" abgehalten werden.

Deutschland und weitere EU-Staaten haben Maduro ein Ultimatum bis Sonntag gestellt, um Neuwahlen anzusetzen. (dpa/AFP/mwo)

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