Die Bilder von Demonstranten, einige mit Reichsflaggen, auf den Treppen des deutschen Parlaments gingen um die Welt. Beim Verfassungsschutz sieht man Befürchtungen bestätigt, dass die Proteste von Extremisten instrumentalisiert werden. Auch die Polizei beobachtet eine Vereinnahmung der Demonstrationen durch Rechtsextreme.
Der Verfassungsschutz sieht bei den Protesten gegen die Corona-Politik am Wochenende in Berlin "eine starke rechtsextremistische Komponente, die aggressiv und gewalttätig durch Störaktionen auftrat".
Die Befürchtungen der Behörde hätten sich bestätigt, sagte Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. "Rechtsextremisten und Reichsbürgern ist es gelungen, einen Resonanzraum zu besetzen, wirkmächtige Bilder zu erzeugen und so das heterogene Protestgeschehen zu instrumentalisieren."
Das Bundesamt für Verfassungsschutz habe immer wieder davor gewarnt, dass Rechtsextremisten die Corona-Pandemie für ihre Zwecke missbrauchen und versuchen könnten, sich an die Spitze des "sehr vielfältigen Demonstrationsgeschehens" zu setzen, sagte Haldenwang.
Vor den Demonstrationen habe seine Behörde "eine verstärkte Mobilisierung durch Rechtsextremisten" festgestellt.
Chef der Polizeigewerkschaft: Corona-Proteste haben "ihre Unschuld endgültig verloren"
Sowohl bei der Mobilisierung als auch bei den Demonstrationen selbst habe der Verfassungsschutz Vertreter verschiedenster Bereiche des Rechtsextremismus gesehen, sagte Haldenwang: "aus rechtsextremistischen Parteien und Organisationen, der Neuen Rechten, den AfD-Teilorganisationen Junge Alternative und Flügel sowie der Reichsbürgerszene".
Der "Flügel" der AfD hat sich mittlerweile offiziell aufgelöst. "Insbesondere an den spontanen Aktionen haben relativ viele Anhänger der Reichsbürger-Ideologie teilgenommen", so Haldenwang.
"Wir beobachten genau, ob die Gefahr einer rechtsextremistischen Vereinnahmung eine noch größere Dimension annimmt und es diesen Akteuren gelingt, eine Anschlussfähigkeit herzustellen."
Auch die Polizei betrachtet rechtsextreme Teilnehmer bei den Demos mit Sorge. "Seit den ersten Hygiene-Demonstrationen verfestigt sich der Einfluss rechtsextremer Gruppen auf die Corona-Protestbewegung", sagte der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft (GdP) Jörg Radek den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag).
"Die Rechten sind dabei, die Bewegung komplett zu kapern." Seit dem vergangenen Wochenende habe die Corona-Protestbewegung ihre Unschuld endgültig verloren, so Radek.
"Jetzt kann niemand mehr sagen, er sei nur ein Mitläufer. Jeder, der jetzt noch dabei bleibt, muss sich die Frage stellen, ob er sich mit den Rechtsextremisten gemein machen will und seine persönlichen Sorgen in der Corona-Krise mit den demokratiefeindlichen Zielen der Extremisten verbinden will."
Steinmeier warnt Demonstranten vor Instrumentalisierung von rechts
Auch der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich alarmiert. Der "Bild"-Zeitung sagt er: "Seit Monaten werden in der Corona-Debatte Verschwörungsmythen mit antisemitischer Grundtendenz bewusst geschürt."
Dafür machte Schuster unter anderem "sehr rechte und rechtsextreme Gruppen" verantwortlich, die sich unter die Demonstranten gemischt hätten. Sicherlich seien "nicht alle, die am Samstag in Berlin demonstriert haben, Rassisten oder Antisemiten", sagte Schuster. Er fügte jedoch hinzu: "Aber sie machen sich mit diesen gemein."
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte bereits am Montag Kritiker und Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen davor gewarnt, sich bei Demonstrationen "vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen zu lassen".
Am Samstag hatten nach Angaben der Polizei etwa 300 bis 400 Demonstranten Absperrgitter am Reichstagsgebäude überrannt und sich lautstark vor dem verglasten Besuchereingang aufgebaut.
Dabei wurden vor dem Sitz des Bundestags unter anderem schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt. Die Polizei drängte die Menschen zurück. Zuvor hatten nach Polizeischätzungen annähernd 40.000 Menschen auf der Straße des 17. Juni weitgehend friedlich gegen die Corona-Politik demonstriert.
Insgesamt waren laut Polizei am Wochenende noch deutlich mehr Demonstranten bei weiteren Veranstaltungen in der Innenstadt unterwegs. (dpa/thp)
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