Bei den türkischen Kommunalwahlen hat Präsident Recep Tayyip Erdogan eine schwere Niederlage erlitten. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut war als Wahlbeobachterin vor Ort. Sie berichtet von Repressionen – und ihrer Hoffnung auf einen Machtwechsel.
Dienstagmorgen, 10:00 Uhr. Zum vereinbarten Gespräch mit unserer Redaktion ist Gökay Akbulut bereits in Istanbul. Den Wahl-Sonntag hat die Linken-Bundestagsabgeordnete im Südosten der Türkei verbracht. Dort war sie als Wahlbeobachterin Teil einer internationalen Delegation. Vor Ort wollten sie schauen, wie frei die Wahlen sind, ob es bei der Stimmenauszählung zu Unregelmäßigkeiten kommt. Am Telefon sagt Akbulut, dass dies nicht möglich war. Sicherheitskräfte hätten den Zugang zu Wahllokalen versperrt. "Wir hatten keine Chance".
Frau Akbulut, wie demokratisch waren die Kommunalwahlen in der Türkei?
Gökay Akbulut: Es waren keine fairen und demokratischen Wahlen. In den kurdischen Gebieten im Südosten ist es an vielen Orten zu Wahlfälschungen und Manipulationen gekommen. Der Staat hat hier ein Zeichen gesetzt. Überall war Militär, vor den Wahllokalen standen Soldaten mit Maschinengewehren. Wasserwerfer wurden aufgefahren. Das sollte die Menschen vom Wählen abhalten. Sie haben sich aber nicht einschüchtern lassen.
Trotz unfairer Bedingungen ist es der Opposition gelungen, die Dauerherrschaft der AKP zu brechen. Wie hat sie das geschafft?
Eine zentrale Rolle spielt die Wirtschaftskrise. Die hohe Inflation, die Arbeitslosigkeit, die Armut – all das hat Erdogan zu verantworten. Sein Regime hat außerdem das Land in den vergangenen 22 Jahren islamisiert. Große Teile der Bevölkerung sagen jetzt: Es reicht. Die Türkei ist ein laizistischer Staat.
Welche Folgen hat das Ergebnis der Kommunalwahlen für die Türkei?
Zunächst ist es eine schwere Niederlage für Erdogan und die AKP. Ich hoffe, dass eine neue Ära eingeleitet wird – zurück zur Demokratie. Die Opposition hat in den letzten Jahren nur Niederlagen erlitten. Das hat zu Frustration und Ohnmacht geführt. Diese Wahl hat gezeigt: Es ist möglich, die AKP zu besiegen.
Präsident Erdogan hat seine Niederlage eingeräumt und von der Demokratie als Gewinnerin gesprochen.
Das klingt gut, ist aber nur Rhetorik. Erdogan kämpft um seine Macht. Und ich glaube nicht, dass er demokratisch und friedlich seinen Rückzug verkünden wird. Womöglich droht auch neue Repression gegen Regierungskritiker. Trotzdem: Es bewegt sich etwas in der Türkei – und das macht Hoffnung.
Lesen Sie auch: Kommunalwahlen in der Türkei: Warum der Stimmungstest für Erdogan so wichtig ist
Sehen wir bereits den Anfang vom Ende der Ära Erdogan?
Das muss man abwarten. Auf jeden Fall wurde die Demokratie wiederbelebt. Es gibt Hoffnung auf ein Ende dieses Regimes. Dafür muss die Opposition aber breite Bündnisse gegen die AKP schließen. Alle Parteien sind jetzt dabei, sich zu sortieren. Ein Anfang aber ist gemacht.
Welche Rolle spielt die kurdische DEM-Partei, die im Südosten stark abgeschnitten hat?
Die DEM-Partei wurde gegründet, weil der linken pro-kurdischen HDP ein Verbot droht. In der Vergangenheit war es so: Kurdische Politiker wurden einfach per Anweisung aus Ankara abgesetzt und ins Gefängnis gesteckt. Die Angst vor Zwangsverwaltung ist auch jetzt wieder da. Das war in der türkischen Politik schon immer so, unter Erdogan aber ganz besonders. Gut möglich, dass das Regime in einem halben Jahr wieder Zwangsverwalter in den Kurdengebieten einsetzt. Aber der DEM-Partei ist es – trotz gezielter Manipulationen der Regierung – gelungen, verlorene Mehrheiten in den kurdischen Gebieten zurückzugewinnen. Das ist eine großartige Leistung und gibt Hoffnung, dass der Trend anhält.
Über die Gesprächspartnerin
- Gökay Akbulut (41) wurde im türkischen Pınarbaşı geboren. Sie studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Öffentliches Recht an der Universität Heidelberg. Seit 2017 sitzt sie für die Linke im Bundestag, wo sie auch stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe ist. Vor ihrer Zeit als Abgeordnete war Akbulut Referentin für Migration und Bildung bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.