Der Koalitionsvertrag ist beschlossen, Ministerposten wurden verteilt. Und: Martin Schulz hat wie erwartet Wort gebrochen. Der SPD-Vorsitzende will einen Ministerposten im Kabinett Merkel annehmen - den des Außenministers. Zugleich wird er den SPD-Parteivorsitz an Andrea Nahles abgeben. Ein cleverer Schachzug?

Ein Interview
von Fabienne Rzitki

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Der Koalitionsvertrag steht, beschlossene Sache ist eine Neuauflage der Großen Koalition aber noch nicht endgültig. Zunächst müssen die mehr als 460.000 SPD-Mitglieder darüber abstimmen.

Doch leicht wird das für die Parteispitze nicht. Denn es gibt ein Problem: Martin Schulz hat erneut Wort gebrochen. Entgegen früherer Bekundungen, er werde nicht in ein Kabinett Merkel eintreten, will er es jetzt doch - und plant zugleich, den Parteivorsitz an Andrea Nahles abzugeben.

Ein cleverer Schachzug? Wir haben mit Politik-Experte Oskar Niedermayer darüber gesprochen.

Herr Niedermayer, ist es clever von Martin Schulz, den Parteivorsitz an Andrea Nahles abzugeben?

Oskar Niedermayer: Es war so ziemlich das Beste, was Schulz noch machen konnte. Denn er hatte sich in eine Situation manövriert, in der er eigentlich nichts mehr gewinnen konnte. Schulz kann also nur noch die negativen Folgen für sich selbst minimieren. Den Parteivorsitz abzugeben und einen Ministerposten anzunehmen, war die einzige Möglichkeit.

Was erreicht Schulz konkret dadurch?

Er nimmt sich aus der Schusslinie und überlässt Andrea Nahles den Posten, die ja schon das neue Machtzentrum der SPD war. Schulz rettet sich sozusagen auf den Posten des Außenministers.

Das hatte er mehrfach ausgeschlossen …

Ja, er bricht jetzt zum zweiten Mal Wort und verliert dadurch den letzten Rest seiner Glaubwürdigkeit.

Inwiefern kann ihn ein Ministerposten retten?

Alle deutschen Außenminister, von Herrn Westerwelle mal abgesehen, waren nach einer gewissen Zeit in der Bevölkerung sehr gut angesehen. Darauf kann Schulz natürlich spekulieren – und darauf, dass die Menschen nach ein, zwei Jahren seinen Wortbruch vergessen haben werden und er dann wieder beliebter wird. Aber der nächste Kanzlerkandidat der SPD wird er natürlich nicht mehr.

Was muss Andrea Nahles jetzt tun, um den Koalitionsvertrag den Mitgliedern zu verkaufen? Oder können sich die Jusos am Ende doch noch erfolgreich gegen eine GroKo durchsetzen?

Ich wage noch immer keine Prognose, wie das alles ausgehen wird. Die SPD-Führung wird jetzt sehr stark mit der Ressortverteilung argumentieren. Sie können sagen, dass sie sich auf breiter Linie durchgesetzt haben. Und so ist es auch. Die CDU hat sich wirklich über den Tisch ziehen lassen, um den Koalitionsvertrag überhaupt in trockene Tücher zu bringen.

Weil die SPD drei Schlüsselministerien bekommen soll?

Ja, das gab es für den kleineren Koalitionspartner noch nie. Frau Nahles kann das als Argument anführen. Sie kann sagen, dass man gerade mit der Kombination von Außen- und Finanzministerium einen Hebel hat, um etwa europapolitische Vorstellungen durchzusetzen. Ob die dann gerade für die SPD-Klientel so toll sind, ist eine andere Frage.

Was ist mit den beschlossenen Maßnahmen? Die sind oft sehr vage formuliert und in einigen Bereichen gibt es keine wirklichen Kompromisse …

Darauf werden die Gegner der Großen Koalition setzen. Das hat Kevin Kühnert von den Jusos sehr deutlich gemacht. Denn die Verhandler der SPD konnten sich in drei wesentlichen Dingen nicht durchsetzen.

Es gibt einen Kompromiss bei der sachgrundlosen Befristung, den man als Kompromiss sehen kann, aber nicht als Durchsetzen der SPD. Es gibt auch keinerlei Einigung im Bereich der Bürgerversicherung, denn das Einsetzen einer Kommission heißt nur, dass man sich nicht einig geworden ist.

Und beim Familiennachzug hat sich eher die Union, sprich die CSU durchgesetzt. Es wird schwer für Andrea Nahles, dies in irgendeiner Weise als Erfolg zu verkaufen.

Oskar Niedermayer ist Politikwissenschaftler. Die Europaforschung und das politische System Deutschlands gehören zu seinen Forschungsschwerpunkten. Professor Niedermayer ist kürzlich emeritiert von Freien Universität Berlin.
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