Skandale am laufenden Band, rasant steigende Staatsverschuldung und mehr als 230.000 Corona-Tote: Viele Politiker hätte das längst ihr Amt gekostet. Doch egal, was Donald Trump tut: Die Unterstützung für den US-Präsidenten reißt nicht ab. Woran liegt das?

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Als Präsidentschaftskandidat der US-Republikaner machte Donald Trump Anfang 2016 einen Scherz, der einen wahren Kern in sich trug. Bei einem Wahlkampfauftritt in Sioux City im Bundesstaat Iowa erklärte Trump damals:

"Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, und ich würde keine Wähler verlieren, okay? Es ist einfach unglaublich."

Trump hat natürlich niemanden erschossen. Aber allein der Berg an Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden, hätte bei vielen Politikern zum Rücktritt gereicht:

Trump ist nicht nur weiter US-Präsident, seine Basis steht trotz allem treu hinter ihm - und hofft, dass er am 3. November wiedergewählt wird. Wie kann das sein?

Wer wählt Trump?

US-Amerikaner sind aus ganz unterschiedlichen Gründen für Trump.

  • Viele rechnen dem 74-Jährigen an, dass er dafür gekämpft hat, seine Versprechen wahrzumachen, beispielsweise bei der Besetzung des Obersten Gerichts mit konservativen Richtern oder beim Bau einer Mauer an der Südgrenze zu Mexiko.
  • Manche heißen Trumps nationalistische Politik gut - etwa sein Vorgehen gegen Migranten oder seine "America First"-Doktrin.
  • Andere wählen ihn, weil sie von seiner Steuerreform oder vom Abbau von Regularien profitieren.
  • Wieder andere sehen in ihm einen konservativen Kämpfer gegen Schwangerschaftsabbrüche und loben ihn für sein Bekenntnis zum Waffenbesitz.

Und dann gibt es eine bedeutende Gruppe von Anhängern, die fast bedingungslos hinter Trump steht - ähnlich, wie man es bei Politikern aus autoritär regierten Staaten kennt.

In einer Umfrage der Universität Monmouth vor einem Jahr sagten 62 Prozent der Trump-Anhänger, sie könnten sich nichts vorstellen, was der Präsident tun könne, um ihre Unterstützung zu verlieren. Das entsprach einem guten Viertel aller Befragten.

Wer sind Trumps Hardcore-Anhänger?

Das Phänomen Trump beschäftigt Politikwissenschaftler, Psychologen und andere Experten schon lange.

"Es gibt keinen Zweifel daran, dass Donald Trump viele Dinge gesagt hat, die für jeden anderen republikanischen Kandidaten politischer Selbstmord gewesen wären", schrieb der Neurowissenschaftler Bobby Azarian bereits im Wahlkampf 2016 in einem Blogbeitrag für die Zeitschrift "Psychology Today".

Nach jeder "schockierenden Äußerung" hätten Kommentatoren vorausgesagt, dass Trump Unterstützer verlieren würde - und sie hätten damit jedes Mal falsch gelegen. "Trump scheint fast völlig kugelsicher zu sein."

Mit Blick auf die loyalen Anhänger, die Trump jede noch so offensichtliche Unwahrheit glauben, fragte der Neurowissenschaftler Azarian: "Was geht in ihren Gehirnen vor, das sie so blind hingebungsvoll macht?"

Eine mögliche Erklärung: Der nach den US-Psychologen David Dunning und Justin Kruger benannte Dunning-Kruger-Effekt. Dieser Effekt beschreibt das Phänomen, dass inkompetente Menschen ihr eigenes Können überschätzen und zudem nicht in der Lage sind, das Maß ihrer Inkompetenz zu erkennen.

"Im Wesentlichen sind sie nicht klug genug, um zu erkennen, dass sie dumm sind", so fasste es Azarian zusammen. Dunning selber schrieb im Wahlkampf 2016 in einem Beitrag für die Nachrichtenseite "Politico": "Dieses Syndrom könnte durchaus der Schlüssel zum Trump-Wähler sein - und vielleicht sogar zu dem Mann selber. Trump hat zahlreiche anschauliche Beispiele für diesen Effekt geliefert."

Trump - der sich selber als "ein sehr stabiles Genie" bezeichnet hat - sagte im Februar 2016: "Ich liebe die schlecht Gebildeten."

Das ist nachvollziehbar, schaut man sich seine Basis an: Je niedriger der Bildungsgrad, desto höher ist nach einer in diesem Monat veröffentlichten Umfrage des Instituts Pew der Zuspruch für Trump. Nach dieser Pew-Statistik ist der wahrscheinlichste Trump-Wähler nicht nur ungebildet, sondern auch republikanisch, männlich und weiß.

Besonders diese Bevölkerungsgruppe ist es, die angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung in den USA befürchten muss, ins Hintertreffen zu geraten. Trumps Warnungen vor einer "Invasion" von Migranten, vor einer Explosion der Kriminalität, vor marodierenden linken Horden, vor einer Zerstörung der Vororte fallen bei ihr auf fruchtbaren Boden.

Ist Trump ein Anwalt der Vergessenen?

Als Baumogul war der Milliardär Trump für seine Skrupellosigkeit berüchtigt. Dem Präsidenten Trump glauben jetzt viele seiner Anhänger, dass er der selbstlose Anwalt der Benachteiligten geworden ist - ihr Anwalt.

"Von Anfang an war es mein Gelübde, für diejenigen einzutreten, die vergessen, vernachlässigt, übersehen und ignoriert wurden", sagte Trump im Oktober 2019. "Mein Ziel ist es gewesen, den sprachlosen Massen eine Stimme zu geben."

Selbst wenn er den sprachlosen Massen eine Stimme gegeben haben sollte: Derzeit muss Trump angesichts schlechter Umfragewerte hoffen, dass es eine von ihm beschworene "schweigende Mehrheit" gibt - die sich in Umfragen nicht zu ihm bekennt, die ihm aber am 3. November ihre Stimme geben wird.

Warum kommt Trump mit seinem gestörten Verhältnis zur Wahrheit durch?

Viele Anhänger lieben Trumps krawalliges Auftreten, seinen ständigen Verstoß gegen Normen und Gepflogenheiten: Sie haben die Nase voll von diplomatischen Berufspolitikern.

Dem US-Präsidenten gelingt es meisterlich, sogar Vorwürfe gegen seine Person zu einer Bedrohung für seine Anhänger umzudeuten. Während des Amtsenthebungsverfahrens, das er wegen der Ukraine-Affäre über sich ergehen lassen musste, verschickte er im vergangenen Dezember über Twitter ein Schwarz-Weiß-Bild von sich.

Es zeigt den Präsidenten auf einem Bürostuhl, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt. Er blickt ernst und entschlossen, mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand zeigt Trump auf den Betrachter. "In Wahrheit sind sie nicht hinter mir her, sie sind hinter Dir her", steht auf dem Bild. "Ich bin nur im Weg."

The winner takes it all: So funktioniert die US-Wahl

Die Stimmen sind abgegeben, nun wird ausgezählt. Aber wie funktioniert die indirekten Wahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten und wieso kann man ohne Mehrheit der Wählerstimmen US-Präsident werden? Alle Infos im Video.

Außerdem nehmen Trumps loyalste Unterstützer seine oft schwachen Ausreden ("das habe ich nie gesagt") für bare Münze. Und sie glauben Trumps Aussagen sogar dann, wenn sie mit der Realität wenig zu tun haben.

Die Faktenchecker der "Washington Post" haben Trump seit seinem Amtsantritt mehr als 20.000 falsche oder irreführende Aussagen nachgewiesen. In einer Umfrage des Instituts Gallup vom Juni hielten trotzdem 72 Prozent der Republikaner Trump für "ehrlich und vertrauenswürdig". Bei Demokraten lag der Wert bei 9 Prozent.

Welche Rolle spielt Trumps Lieblingssender Fox News?

Den Glauben an Trump befeuert der Nachrichtensender Fox News. In seinem Buch "Hoax" beschreibt der CNN-Medienjournalist Brian Stelter den Sender als "Propagandamaschine, wie sie die Vereinigten Staaten nie zuvor gesehen hatten".

Fox News ist eine Echokammer: Trump bezieht Ideen für seine Politik aus den Sendungen, die dann lobend über seine Politik berichten. Besonders in den populären Meinungssendungen am Abend wird Trump gehuldigt. In einer Umfrage des Senders NBC und des "Wall Street Journals" genoss Trump bei 73 Prozent der Fox-News-Konsumenten Zustimmung für seine Arbeit. Bei Zuschauern anderer Sender lag der Wert unter 40 Prozent. (dpa/mf)

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