Am 18. März finden in Russland Präsidentschaftswahlen statt. Während Experten undemokratische Zustände bemängeln, will der designierte Sieger Wladimir Putin mit aller Macht den Schein von freien, fairen Wahlen erwecken. Der Langzeitregent inszeniert die Demokratie wie ein Theaterstück.

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Im Zentrum der Inszenierung steht Wladimir Putin selbst.

Der Held

Seit 1999 spielt Wladimir Putin in der russischen Politik die Hauptrolle, wenn auch in verschiedenen Kostümen: Er war zunächst Ministerpräsident, dann Präsident, dann wieder Ministerpräsident - denn mehr als zwei Amtszeiten als Präsident in Folge erlaubt die Verfassung nicht. Seit 2012 ist er wieder Präsident und das soll auch nach der Wahl im März so bleiben.

Anfang Dezember hat Putin angekündigt, erneut zu kandidieren. Die Nachricht überraschte kaum, höchstens damit, dass sie erst drei Monate vor dem Urnengang kam.

"Ich kann mir vorstellen, dass Putin auch müde ist'", sagt Russland-Experte Stefan Meister im Gespräch mit unserer Redaktion. Vordergründig sieht der Leiter des Robert Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien hinter dem Zeitpunkt aber Kalkül. "In erster Linie geht es hier um die Inszenierung: Hätte Putin sich schon vor Monaten nominieren lassen, wäre der mediale Effekt schneller verbraucht gewesen. So hat er erreicht, dass relativ kurz vor den Wahlen wochenlang nur über ihn berichtet wird."

Themen spielen im Wahlkampf kaum eine Rolle. Der Präsident macht lieber von sich persönlich reden.

Putin tritt als unabhängiger Kandidat an, nicht etwa für einiges Russland, der Partei, die ihn stützt und mit Putins Zögling Dmitri Medwedew den Ministerpräsidenten stellt.

Unabhängiger Kandidat, das klingt irgendwie transparent und demokratisch. Tatsächlich hat die Entscheidung wohl mit dem schlechten Ruf der Parteien zu tun. "Im Verständnis der Russen sind Parteien etwas schmutziges, korruptes", erklärt Meister. "Wer wie Putin als nationaler Führer gelten will, muss deshalb Distanz zu den Parteien wahren. Putin will über den Parteien stehen, über den Ministern, den Institutionen, über allem."

Der Widersacher

Schon 2016 hat Alexei Nawalny, Russlands führender Oppositionspolitiker, angekündigt, Putin 2018 herausfordern zu wollen. Die Hürde von 300.000 Unterstützerunterschriften hat er genommen, und doch wird sein Name nicht auf dem Wahlzettel auftauchen.

Wegen einer Bewährungsstrafe darf der Kremlkritiker nicht antreten. Die Strafe rührt von einem Urteil her, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte willkürlich nennt. Nawalnys Wahlkampfbüro in St. Petersburg wurde angezündet, mehrfach haben ihn Unbekannte mit Säure angegriffen. Wer dahintersteckt, wurde nie geklärt.

Dass Oppositionspolitiker klein gehalten oder ganz ausgeschaltet werden, gehört zum System Putin. "Es gibt keinen gleichwertigen Zugang zu den Medien. Menschen wie Nawalny haben Probleme, Räume für Wahlkampfveranstaltungen zu finden", beschreibt Meister. "Hier wird durch die Behörden Wahlkampf unterbunden, während staatliche Mittel dafür verwendet werden, um für Putin zu werben."

In freien Wahlen, glaubt der Russland-Kenner, würde Nawalny zwar nicht gewinnen, aber "einen relevanten Prozentsatz" der Stimmen holen. Nawalny mobilisiert die Jugend. Auf seinen Aufruf hin gingen im Sommer in verschiedenen Städten Tausende auf die Straße, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Doch der Held hat seinen Widersacher zur Requisite gemacht.

Die Statisten

Das Publikum aber soll Wahlkampf geboten bekommen. Es darf auf der politischen Bühne also nicht zu einsam werden um Putin. Und so dürfen sechs Herausforderer mitspielen. Fast alle seien "vom Kreml handverlesen", sagt Meister.

"Es gibt die traditionellen Kandidaten wie Wladimir Schirinowski und Gennadi Sjuganov, die systemtreue Parteien vertreten und daher keine wirklichen Wettbewerbskandidaten sind." Außerdem jene, die vom Kreml als "scheinbare liberale Alternative orchestriert" wurden, in Wahrheit aber nicht unabhängig sind.

2012 war der Multimilliardär Michail Prochorow ein solcher Kandidat. Diesmal sind Boris Tilow, ein Oligarch und Sekt-Lieferant des Kremls, und die Journalistin und Mode-Ikone Xenia Sobtschak an der Reihe.

"Xenia Sobtschak hat sehr viel Medienpräsenz in den staatlichen Medien, was zum Beispiel Nawalny nicht hat", hat Meister beobachtet. "Daran sieht man deutlich, dass sie eine gewollte Kandidatin ist.“

Hinter den Kulissen

Auch während des Urnengangs wird hintenherum getrickst. Meister zählt auf: "Stimmen werden gekauft. Es gibt Busse, mit denen Wähler nacheinander zu verschiedenen Wahllokalen gefahren werden, damit sie mehrfach abstimmen. Es wurden auch schon ganze Bündel von Wahlzetteln am Stück in die Urne geworfen."

Seiner Einschätzung nach sind die Bedingungen, unter denen Wahlen in Russland stattfinden, in den vergangenen Jahren nur oberflächlich besser geworden. Internationale Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) werden zugelassen - gleichzeitig jedoch immer weniger lokale Wahlbeobachter. "Manipulationen finden weiterhin statt."

Das Publikum

Einem nicht unerheblichen Teil des Publikums dürfte die Inszenierung gefallen. Wladimir Putin ist in Russland beliebt.

In einer Umfrage des Lewada-Zentrums, dem einzigen unabhängigen Umfrageinstitut des Landes, gaben die Befragten ihre Zufriedenheit mit der Arbeit des Präsident auf einer Skala von eins bis zehn durchschnittlich mit sieben an.

Auf die Frage hin, wen Sie wählen würden, wenn am Sonntag Wahl wäre, nannten im Oktober 53 Prozent der Befragten Putin. Unter jenen Teilnehmern, die ankündigten wählen zu gehen, waren es 66 Prozent.

Stefan Meister gibt zu bedenken, dass die Ergebnisse vor dem Hintergrund der Meinungsmanipulation durch die staatlich gelenkten Medien gesehen werden müssen. Gleichzeitig sagt er: "Putin hat den Russen in den 2000er-Jahren Wohlstand geschenkt und macht das Land - zumindest gefühlt - wieder zur Großmacht. Das dankt die Bevölkerung ihm."

Zwar stagniere die russische Wirtschaft derzeit, jedoch auf relativ hohem Niveau. "Das wird dem System noch eine ganz Weile zum Überleben reichen."

Stefan Meister leitet das Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Zu den Schwerpunkten seiner Forschung gehören die russische Innen-, Außen- und Energiepolitik sowie die deutsch-russischen Beziehungen. Stefan Meister spricht Russisch und hat zeitweise in Moskau, Kaliningrad, Nischni Nowgorod und Warschau gelebt.
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