Verabschiedet sich Polen endgültig vom Rechtsstaat? Die Regierungspartei PiS hat ein Gesetz verabschiedet, mit dem sie unliebsame Richter, wie die Vorsitzende des Obersten Gerichtes in Warschau, Malgorzata Gersdorf, vorzeitig in den Ruhestand schicken will. Bei einem Besuch in Karlsruhe, dem Sitz des Bundesverfassungsgerichtes, erfuhr Gersdorf Solidarität von allen Seiten.
Mit Malgorzata Gersdorf hat der Kampf für die Unabhängigkeit der polnischen Justiz ein prominentes Gesicht bekommen. Spätestens seit die Präsidentin des Obersten Gerichts in Warschau am 4. Juli trotz Zwangspensionierung in Robe zum Dienst erschien, ist dieses Gesicht auch über die Grenzen Polens hinaus bekannt. Am Freitag sind in einem umfunktionierten Sitzungssaal des Karlsruher Rathauses die Fernsehkameras auf sie gerichtet. "Ich habe geschworen, die Verfassung zu verteidigen", sagt Gersdorf.
Besuch als Politikum
Der Besuch der 65-Jährigen am Sitz der wichtigsten deutschen Gerichte ist seit längerem geplant. Nun ist er zum Politikum geworden, das zeigen die einleitenden Worte von Oberbürgermeister Frank Mentrup. "Seit gestern liegt ein Schreiben der polnischen Botschaft in Berlin vor mit dem Hinweis, dass Frau Gersdorf "Gerichtspräsidentin a.D." ist", sagt er. "A.D." steht für "außer Dienst". Das Auswärtige Amt sei allerdings der Ansicht, dass es dafür keine Anzeichen gebe. Schließlich habe Gersdorf noch ihr Büro und den Schlüssel dazu.
Erinnerung an Widerstandskämpfer
Eigentlich ist die Juristin als Rednerin der alljährlichen Reinhold-Frank-Gedächtnisvorlesung nach Karlsruhe gekommen. Sie erinnert an den Widerstandskämpfer, der nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. Gersdorfs Thema: "Der Rechtsstaat in Polen - versäumte Gelegenheiten?"
Unerwartete Aktualität
Definitiv zugesagt habe Gersdorf im Januar, erinnert sich Rolf Fath, der die Veranstaltung im Kulturamt der Stadt organisiert hat. "Wir haben ihr von Anfang an gesagt, dass es für uns keine Rolle spielt, ob sie dann noch im Amt ist oder nicht mehr." Aber: "Keiner hätte gedacht, dass wir in eine solche Aktualität reinkommen", wie es Mentrup bei der kurzfristig anberaumten Pressekonferenz formuliert.
Konfrontation mit Regierungspartei
Seit dem 4. Juli erreichen die obersten Richter in Polen mit 65 statt wie bisher mit 70 Jahren die Altersgrenze. "Unfreiwillig", wie das Gericht betont. Durchgesetzt hat das Gesetz die nationalkonservative Regierungspartei PiS. 65 - so alt ist auch Gersdorf. Für sie ist es offensichtlich: Die Regierung will missliebige Richter loswerden und durch genehme Kandidaten ersetzen. Also geht sie weiter zur Arbeit.
Juristen müssen Posten räumen
Das Gesetz trifft ein Drittel der Richterschaft am Obersten Gericht, der höchsten Instanz unter anderem in Zivil-, Straf- und Arbeitssachen. 14 Juristen mussten laut Gericht ihre Posten räumen. Wer nicht gehen will, kann bei Staatspräsident Andrzej Duda einen Antrag auf Amtsverlängerung stellen. Über 13 solcher Anträge muss Duda noch entscheiden. Gersdorf hat laut PiS keinen Antrag gestellt.
Gersdorf pocht auf Verfassung
Ist sie damit weiter Gerichtspräsidentin? "Der Präsident meint, ich bin es nicht - ich meine, ich bin bis 2020 erste Vorsitzende des Obersten Gerichts und keiner kann das ändern", hat Gersdorf immer wieder betont. Sie beruft sich auf die Verfassung: Darin sei die Amtszeit von Gerichtspräsidenten geschützt. "Ein Irrglaube", sagt Pawel Mucha aus der Kanzlei des polnischen Präsidenten. "Gersdorf ist eine Richterin im Ruhestand." Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro drohte sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen.
Dankbar für Unterstützung
"Das ist keine leichte Zeit für mich", sagt Gersdorf in Karlsruhe. "Ich bin sehr dankbar, dass meine Position auch einen internationalen Schutz genießt." Die Pressekonferenz in Deutschland bietet ihr die Bühne, auf die sie im Moment so dringend angewiesen ist. Die BGH-Präsidentin Bettina Limperg und der Verfassungsrichter Johannes Masing stellen sich ihr bei dem Termin demonstrativ zur Seite.
Sorge um Rechtsstaaat
Die Entwicklungen im Nachbarland erfüllen die Karlsruher Richter seit längerem mit großer Sorge. Es gibt freundschaftliche Kontakte, man erlebt die Verzweiflung mit. Masing, der mit einer Polin verheiratet ist, schildert den Journalisten, wie Warschauer Verfassungsrichter immer mehr unter Druck gerieten, sich schließlich beugen mussten. "Denn natürlich entscheidet am Ende die Macht, was möglich ist."
EU steht hinter Richterin
"Was mich mit Sorge erfüllt, ist, dass wir diese Entwicklung nicht richtig aufzuhalten können scheinen", sagt Limperg. Über das Netzwerk der Präsidentinnen und Präsidenten der obersten Gerichtshöfe der EU hat sie mehrfach Solidarität mit den polnischen Richtern bekundet. Schon vor der Veranstaltung hat sie gegenüber der Deutschen Presse-Agentur klargemacht: "Mit dem Netzwerk gehe ich davon aus, dass Malgorzata Gersdorf zu Unrecht aus dem Amt entfernt worden ist."
Keine Illusionen
Gersdorf kann jede Unterstützung brauchen: Am Donnerstag hat die Warschauer Regierung ein Gesetz ins Unterhaus eingebracht, das die Nachbesetzung ihres Präsidenten-Postens schneller ermöglichen soll.
Die 65-Jährige macht sich keine Illusionen über ihre Zukunft. "Hier geht Macht vor Recht, das kann ich nicht verhindern", sagt sie. "Ich werde eine Erste Vorsitzende im Exil sein." (mc/dpa)
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