Der Bundestag verabschiedet sich in die Sommerpause, erst im Herbst geht es weiter. Vor den Ferien hat die Große Koalition viele Gesetze durchgepeitscht - einige davon könnten noch zum Problem werden.

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Vor der Sommerpause hat sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann schon mal selbst ein Zeugnis ausgestellt: "Wir haben viel erreicht", schreibt er auf der Internetseite der SPD-Fraktion über die Arbeit seiner Partei und der Großen Koalition im ersten halben Jahr an der Macht. "Die Große Koalition hat in dieser kurzen Zeit für dieses Land und seine Menschen mehr erreicht, als die vorherige schwarz-gelbe Bundesregierung in der gesamten Legislaturperiode." Er selbst würde der Regierungsarbeit wohl eine Eins geben. Doch lief es wirklich so gut?

Tatsächlich hat die Große Koalition in ihrer ersten Halbzeit bei der Gesetzgebung ein erstaunliches Tempo an den Tag gelegt. Dabei ging es zunächst holprig los: SPD und Union stritten sich um Zuwanderung, Vorratsdatenspeicherung und Vorschläge wie die 32-Stunden-Woche für junge Eltern. Nach wenigen Wochen war von einem Fehlstart die Rede.

Edathy-Affäre, Mindestlohn und Doppelpass

In den ersten 100 Tagen kamen weitere Herausforderungen dazu, wie die Edathy-Affäre, in deren Verlauf Innenminister Hans-Peter Friedrich zurücktreten musste. Das sorgte für Spannungen und Misstrauen zwischen den Koalitionspartnern. Zudem musste eine gemeinsame Haltung in der Ukraine-Krise gefunden werden. Das gelang Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, die Wähler belohnten das mit guten Umfrage-Ergebnissen. Trotz aller Querelen stieß die Große Koalition im ersten Quartal schließlich auch eine Reihe von Gesetzen an. Viele von ihnen wurden nun verabschiedet.

Dabei konnte vor allem die SPD ihre Positionen in Gesetze gießen. So gilt ab nächstem Jahr in Deutschland ein flächendeckender Mindestlohn. Viel Gerangel gab es darum in der Koalition, am Ende konnte die Union Ausnahmen durchdrücken, zum Beispiel für Langzeitarbeitslose. Dass es überhaupt einen Mindestlohn geben wird, ist jedoch ein großer Erfolg für die SPD. Mit dem ebenfalls verabschiedeten Rentenpaket konnte die Partei zudem die Rente mit 63 durchsetzen. Vor dem Sommer wurde auch noch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) auf den Weg gebracht, mit dem diese stärker gefördert werden sollen, sowie ein verschärftes Asylgesetz und die Möglichkeit, einen Doppelpass zu besitzen.

Es ging Schlag auf Schlag, so dass die Vermutung laut wurde, die Regierung wolle während der Weltmeisterschaft schnell unliebsame Vorhaben umsetzen, während die deutsche Bevölkerung durch Fußball abgelenkt wird. Das lässt sich so jedoch nicht halten, umstrittene Themen wie Fracking werden erst nach der Sommerpause behandelt.

Nachbesserungsbedarf bei neuen Gesetzen

Fragen muss man sich allerdings, ob die vielen Gesetze automatisch gut sind – ob sie das Land wirklich voranbringen, wie Oppermann schreibt. Zweifel sind angebracht. Zum einen wurden einige Gesetze scheinbar überhastet zusammengestrickt: So gibt es bei der Rente mit 63 ein Schlupfloch, mit dem man bereits zwei Jahre früher abschlagsfrei aus dem Job ausscheiden kann. Auch das EEG-Gesetz muss nachgebessert werden, obwohl es gerade erst beschlossen wurde. Ein Fehler im Gesetz würde ungewollte Förderkürzungen für hunderte Biogasanlagen mit sich bringen.

Ein weiterer Kritikpunkt an der Arbeit der Großen Koalition ist, wie sie ihre Gesetzesvorhaben finanziert. Zwar steigen die Steuern - wie versprochen - nicht, doch bedient sich die Regierung zur Finanzierung am Sozialversicherungssystem. In Zukunft drohen so Beitragserhöhungen, zum Beispiel bei der Pflegeversicherung. "Dieser Start der Großen Koalition weckt schlimme Befürchtungen, dass nicht eine Politik der Langfristigkeit betrieben wird, sondern eine der Kurzsichtigkeit", sagte der Ökonom Thomas Straubhaar in einem Interview mit der ARD.

Einzelkämpfer statt Koalition fürs Land

Schließlich hat man bei den Gesetzen nicht das Gefühl, dass die Große Koalition ihre Macht nutzt, um unpopuläre aber wichtige, große Reformen anzupacken. Stattdessen sehen SPD und Union zu, dass sie ihre Einzelpositionen so gut wie möglich durchbekommen. Statt an einer gemeinsamen Vision für das Land zu arbeiten, geht es darum, die eigene Klientel zu bedienen.

Das sorgt inzwischen in der Großen Koalition selbst für Unruhe. Denn der SPD ist es bislang deutlich besser gelungen, ihre Themen durchzusetzen. In der Union nimmt das Gefühl zu, dem kleinen Partner das Zepter zu überlassen, während die eigenen Vorhaben zu kurz kommen. Die SPD dagegen konnte von ihrer Rolle noch nicht profitieren, in Umfragen liegt sie immer noch deutlich hinter der CDU. Die Sozialdemokraten hoffen, dass sich das ändert, sobald die Veränderungen wie der Mindestlohn bei den Menschen ankommen. In der Union hoffe man auf den Herbst. Das Spiel gewinnt man in der zweiten Halbzeit, heißt es dort. Es bleibt also spannend, wie es im nach der Sommerpause weiter geht. Luft nach oben ist genug.

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