Angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten wäre doch eine Immobilie eine gute Absicherung - besonders im Alter. Die Preise für Immobilien und vor allem die Zinsen sind jedoch in den vergangenen Jahren in die Höhe geschossen. Wann ein Kauf Sinn ergibt und was man dabei beachten sollte, erklärt Thomas Hentschel, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Ein Interview

Herr Hentschel, allein in den vergangenen beiden Jahren ist der Immobilienpreis im Schnitt um zehn Prozent gestiegen. Lohnt es sich denn jetzt überhaupt noch, eine Immobilie zu kaufen oder ist das eher ein Minusgeschäft?

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Thomas Hentschel: Die Entscheidung, ob man sich jetzt eine Immobilie kauft, ist immer eine individuelle Angelegenheit. In der Tat ist es so, dass aufgrund der über zehn Jahre anhaltenden Niedrigzinsphase viele Verbraucherinnen und Verbraucher imstande waren, eine Immobilie zu finanzieren. In der Folge sind die Immobilienpreise natürlich ganz arg gestiegen - in den vergangenen zehn Jahren um 98 Prozent. Das sind Durchschnittspreise, die ich beim Verband der deutschen Pfandbrief-Banken, die eine regelmäßige Studie bieten, ermittelt habe.

Und auch die Zinssätze sind angestiegen…

Wenn man die Situation Ende Dezember betrachtet und von einer 10-jährigen Zinsbindung ausgeht, ist der Zinssatz von 0,9 Prozent auf über 3 Prozent gestiegen. Das sind mehr als 300 Prozent Steigerung. Und das bedeutet natürlich, dass die monatliche Belastung für einen vergleichsweise hohen Kredit dann auch enorm gestiegen ist. Verbraucherinnen und Verbraucher könnten sich mit einer monatlichen Belastung, die sie vielleicht im Dezember des letzten Jahres noch für sich reklamiert haben, einen eindeutig niedrigeren Kredit leisten. Das bedeutet: Sie müssten wesentlich mehr Eigenkapital in die Finanzierung einbringen. Da scheitert es aber in aller Regel. Jetzt könnte man vermuten, dass die Immobilienpreise aufgrund der gestiegenen Zinsen nach unten gehen. Allerdings sind die Preise im ersten Quartal dieses Jahres nochmal im Vergleich zum ersten Quartal 2021 um 12,4 Prozent gestiegen.

Und wie sieht es mittlerweile aus?

Mittlerweile stagnieren sie zum Teil oder sind rückläufig. Nachdem es im Juni noch nach oben ging, ist seit Juli ein moderates Sinken zu beobachten. Gleichwohl sind die Immobilienpreise noch dadurch beeinflusst, dass wir einen Mangel bei Baumaterial und Lieferengpässe haben. Das hat auch dazu geführt, dass die Preise nochmal stark gestiegen sind. Und: Handwerker und Handwerkerinnen können sich heute mehr oder weniger aussuchen, wo sie arbeiten und wann sie arbeiten. Das ist jetzt ein bisschen überspitzt gesagt, aber es zeigt die Situation.

So wie Sie das gerade beschreiben, hört es sich nicht danach an, als würde der Kauf einer Immobilie derzeit sinnvoll sein.

Das ist eine individuelle Lebensentscheidung. Aber wenn man mal einen Blick in die Historie wagt, dann sind die Zinsen heute so hoch, wie sie vor zehn Jahren waren. Und da sprach man auch von einer historischen Niedrigzins-Situation. Für diejenigen, die damals bauten, war das ein Schlaraffenland. Mein Tipp: Wer heute eine Immobilie kaufen und finanzieren will, sollte sich darüber im Klaren sein, dass das eine Entscheidung ist, die einen Finanzierungszeitraum von 30 oder 35 Jahren mit sich bringt.

Wie lässt sich denn berechnen, ob man sich eine Immobilie leisten kann?

Man sollte sich sein monatliches Netto-Einkommen anschauen und einschätzen, ob es ein sicheres Einkommen ist. Dann folgt eine persönliche Budget-Betrachtung. Das heißt, die monatlichen Ausgaben aufschreiben für Lebenshaltung, Freizeit, Personennahverkehr, Gesundheit, Auto, Urlaub und mehr. So zeigt sich, wie viel man sich leisten kann.

Aber mit dem Kaufpreis allein ist es ja meistens noch nicht getan.

Nein. Je nachdem, ob man ein gebrauchtes Objekt kauft oder ein neues Objekt, können Kosten für Modernisierung, Sanierung oder Renovierung fällig werden. Der Kauf einer Immobilie impliziert außerdem noch sogenannte Kauf-Nebenkosten. Die fallen an für die Grunderwerbsteuer, die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ist. Die Spanne reicht von 3,5 bis 6,5 Prozent. Dazu kommen unter Umständen Makler-Gebühren: Die machen brutto 3,57 Prozent des Kaufpreises aus. Und dann werden noch Kosten fällig für die Beurkundung beim Notar und beim Amtsgericht, das sind etwa 1,5 bis 2 Prozent. Sprich: Es kommen noch Kauf-Nebenkosten in Höhe von 10 bis 12 Prozent dazu.

Sie haben gesagt, man sollte sich erst einmal das Nettogehalt anschauen und überlegen: Was brauche ich, was kann ich abbezahlen? Wie viel Prozent des Nettogehalts sollten in die Immobilie fließen?

Ich halte mich da an den Richtwert, den der Verband der Pfandbrief-Banken ermittelt hat. Der empfiehlt, 30 bis 35 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens für die Zins- und Tilgungsleistung zu investieren. Jedoch sollte man berücksichtigen, dass auch sogenannte Unterhaltungskosten für die Immobilie fällig werden, also Strom, Heizung, Wasser, Versicherung, Steuern, Abgaben und andere Gebühren. Dann ist man bei 40 bis 45 Prozent des monatlichen Netto-Einkommens. Und die sollten nicht überschritten werden. Das heißt, es bleiben noch etwa 60 bis 55 Prozent für den Lebensunterhalt zur Verfügung. Und 20 bis 30 Prozent Eigenkapital sollte man auch noch vorhalten.

Wieso ist es so wichtig, Eigenkapital mit einzubringen?

Wenn man genau hinsieht, zeigt sich, dass die Zins-Konditionen für 60 Prozent des sogenannten Beleihungswertes gelten. Nehmen wir als Beispiel eine Immobilie im Wert von 500.000 Euro. Wenn Sie mehr als 300.000 Euro an Fremdkapital benötigen, steigt aus Sicht der Bank das Risiko, dementsprechend lässt die Bank sich das Risiko dann auch teurer bezahlen. Aus 3 Prozent Zinsen werden dann beispielsweise 3,3 Prozent oder 3,5 Prozent. Und wenn Sie die ganzen 500.000 Euro finanzieren müssten - also wenn wir von einer Hundertprozent-Finanzierung sprechen - dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Da gibt es Kreditinstitute, die nicht bereit sind, dieses Risiko einzugehen oder aber das mit einem ordentlichen Zinsaufschlag bis zu einem Prozent oder sogar mehr handhaben.

Sollte man vor dem Kauf einen Sachverständigen mit einbeziehen?

Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Meistens gibt es ja mehrere Interessenten. Wenn jetzt die erste Wahl des Verkäufers erst einmal noch Sachverständige mit einbeziehen möchte, könnte es sein, dass dies dem Verkäufer zu aufwendig ist und er einfach in der Warteliste die Nummer zwei benachrichtigt.

Welche Entwicklung konnten Sie in den vergangenen Jahren sonst noch beobachten?

Das Alter derjenigen, die eine Immobilie für sich selbst kaufen, hat sich nach hinten verschoben. Die meisten sind Mitte 30 bis Anfang 40. Viele haben von vornherein nicht das Ziel, nach dem Berufseinstieg jeden Cent wegzulegen, um die Immobilie zu kaufen. Stattdessen fließt das Geld erst einmal in Reisen und Hobbys.

Angenommen, man kauft sich mit 40 Jahren eine Immobilie und muss dann noch einen Kredit über 30 Jahre abzahlen. Wird es dann nicht problematisch?

Das Ziel sollte sein, dass die Immobilie abbezahlt ist, wenn man in die Rente geht. Ob dann mit 67 Jahren, mit dem Eintritt in den Ruhestand, eine abgezahlte Immobilie auch eine private Altersvorsorge ist, ist natürlich auch noch eine Frage. Selbstverständlich kann man dann mietfrei wohnen, aber wenn ich eine gebrauchte Immobilie kaufe, die vielleicht 15 oder 20 Jahre auf dem Buckel hat, muss in 30 Jahren natürlich unter Umständen saniert werden. Stichwort Heizung, Stichwort Dach, Stichwort Fenster und so weiter. Und dafür sollte man dann natürlich auch Rücklagen haben.

Zum Experten: Thomas Hentschel ist Finanzexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Seit 24 Jahren fungiert er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzen.
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