- Adel fasziniert viele Menschen auf der ganzen Welt.
- Warum ist das eigentlich so? Und hat es Adel immer schon gegeben?
- Im Interview mit unserer Redaktion erklärt Geschichtsprofessor Werner Hechberger, was Adel ist, wobei der Film "Die glorreichen Sieben" helfen kann und ob Adel im Mittelalter auch schon diese Begeisterung ausgelöst hat.
Stellen wir uns einen Moment vor, im Hochmittelalter hätte es das Internet und die Boulevardmedien schon gegeben: Wäre der Adel damals auch schon so populär darin vorgekommen?
Professor Werner Hechberger: Es gab auch zu dieser Zeit schon einen europäischen Adel, der untereinander vernetzt war. Ob er damals aber auch in einer öffentlichen Wahrnehmung eine solch große Rolle gespielt hätte? Die Frage ist hypothetisch, aber ausgeschlossen wäre es nicht.
Woher kommt diese Faszination, die der Adel auf die Menschen ausübt - vielleicht auch damals schon?
Für das Mittelalter würde ich weniger von Faszination sprechen, da war der Adel eine herrschende Klasse oder Schicht. Grundsätzlich denke ich, dass man gerne nach Vorbildern sucht und die vielleicht im Adel finden zu können meint. Das gilt vielleicht für die Gegenwart.
War das im Mittelalter auch schon so?
Über die Perspektive der normalen Bevölkerung auf den Adel haben wir zunächst relativ wenige Quellen. Im Spätmittelalter kann der Adel sowohl Vorbild als auch Feindbild sein. Gegenstand der Kritik ist er immer gewesen - im Hinblick auf sein Verhalten, weniger im Hinblick auf seine Existenz: Man fordert vom Adligen ein bestimmtes Verhalten ein und stellt dann in der Praxis fest, dass es oft eher ein frommer Wunsch ist und nicht immer so realisiert wird. Vorbild kann der Adel aber für soziale Aufsteiger sein.
Dann gehen wir doch nochmal zurück zum Anfang: Was ist denn Adel überhaupt?
Adel gilt als ein soziales und kulturelles Phänomen, das in vormodernen Gesellschaften entsteht. Der Begriff Adel bezeichnet eine Personengruppe, die in der Gesellschaft einen besonderen Vorrang genießt. Der Vorrang ist zumeist rechtlich fixiert, er kann vererbt werden. Er ist mit bestimmten Werten und Normen verbunden und hat Folgen für das Verhalten, das Auftreten und auch für Heiratsbeziehungen. Die Familien verfügen dann normalerweise über überdurchschnittlichen Grundbesitz und können auf eine besondere Abstammung verweisen.
Beim Verständnis helfen Filme wie "Die glorreichen Sieben" und "Die sieben Samurai"
Das hat es in dieser Art und Weise ja bestimmt noch nicht immer so gegeben. Wie und warum hat sich denn der Adel entwickelt?
Idealtypisch betrachtet man Adel als Phänomen, das in Gesellschaften dann entstand, wenn man es sich leisten konnte, bestimmte Personen von der allgemeinen Alltagsarbeit freizustellen für besonders wichtige Aufgaben, die der gesamten Gesellschaft nutzen konnten. Wenn man so will, ist es das Resultat einer frühen Form der Arbeitsteilung.
Adlige sind in dieser Perspektive für den Schutz der Gesellschaft verantwortlich, die kriegerische Funktion steht am Beginn und bleibt auch weitgehend erhalten. Auch in der Antike gab es schon einen Adel, die Kontinuitäten des europäischen Adels sind aber nicht weiter zurückzuführen als bis ins frühe Mittelalter.
Wie hat man die Menschen ausgewählt für diese Spezialaufgaben? Woher wusste man denn, wer dafür infrage kommt und wer nicht?
Dazu kann man wenig sagen. Man kann sich das aber vielleicht mithilfe von Filmen wie "Die glorreichen Sieben" oder "Die sieben Samurai" vorstellen. In diesen Filmen kommen Spezialisten für die Kriegsführung vor, die eine bestimmte Ausbildung haben und auch die körperlichen Voraussetzungen mitbringen. Die Ausbildung ist das Zentrale, denn sie ist eine Sache der Familie. Aber das sind Spekulationen, so stellt man sich das idealtypisch vor.
Also gibt es keine Quellen, die das belegen?
Auch in frühen Quellen erscheinen durchaus Personen, die mit überdurchschnittlichem Grundbesitz ausgestattet sind und die auch schon Herrschaftsrechte ausüben. Aber konkret zu einzelnen Personen kann man für die Zeit der Entstehung des Adels wenig sagen.
Wie hängen denn der Wandel der Kriegsführung und die Entstehung des Adels zusammen? Bei den Merowingern (5.-8. Jahrhundert) gab es hauptsächlich Fußsoldaten und später bei den Karolingern (ab dem 8. Jahrhundert) war das Kriegerische mehr aufs Pferd verlagert. Ein eigenes Pferd zu haben wiederum musste man sich leisten können.
Das ist eine populäre Vorstellung, allerdings in der heutigen Wahrnehmung vielleicht etwas zu einfach gedacht. Die Grundidee dürfte aber schon richtig sein: Im Mittelalter wird eine Art der Kriegsführung wichtig und effektiv, die hohe Kosten erfordert - das Pferd, die Rüstung. Mit anderen Worten: Die effektive Form der Kriegsführung kann man sich nun nur dann leisten, wenn man den dafür nötigen materiellen Hintergrund hat.
Kennen alle Kulturen Adel?
Mit All-Aussagen muss man sehr vorsichtig sein, denn da läuft man häufig Gefahr, die Resultate historischer Entwicklungen als anthropologische Konstanten zu verkaufen, die dann unveränderlich wären.
Mit einiger Vorsicht aber kann man sagen: Dieses Phänomen der frühen Arbeitsteilung, wodurch bestimmte Personengruppen dann einen auch rechtlichen Vorrang genießen, findet man schon in vielen Gesellschaften. Der europäische Adel hat durchaus einige Besonderheiten, die ihn vom Adel in anderen Kulturkreisen unterscheiden, aber ein rein mitteleuropäisches Phänomen ist er sicher nicht.
Bleiben wir doch bei den europäischen Königshäusern - da gibt es mit den Briten, den Norwegern, den Schweden ja auch die unterschiedlichsten Ausformungen. Wie unterscheidet sich der Adel in diesen Königshäusern?
Im Grunde sollte man eher die Gemeinsamkeiten hervorheben. Im Hinblick auf Werte, Normen und Verhaltensweisen ist der Adel ein gesamteuropäisches Phänomen - da sind die Unterschiede eher gering.
Der markanteste Unterschied heutiger Königshäuser aber besteht sicher in der Frage, ob sie in irgendeiner Form noch an der Herrschaft beteiligt sind. Ob man also von einem Königshaus in einer Monarchie oder einer ehemals regierenden Königsfamilie sprechen kann, die keinerlei öffentliche Aufgaben mehr hat.
Können Sie das konkretisieren?
In England gibt es ja durchaus noch das Königshaus, das bestimmte Einflussmöglichkeiten hat - und sei es nur das Gespräch der Königin oder des Königs mit dem Premierminister oder der Premierministerin. Die meisten europäischen Königshäuser haben heute aber rein repräsentative Aufgaben.
Adel hat sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt. Wie kam es dazu, dass Adel erblich wurde und warum?
Das Konzept Adel impliziert eigentlich schon die Erblichkeit, weil es für Familien verwendet wird. Persönlicher Adel oder Briefadel ist eine späte Sonderform. Einen genauen Zeitpunkt, ab wann der Adel erblich wurde, kann man nicht angeben, weil Adel ein vielschichtiges Phänomen ist.
Wenn man Adel als mentales Phänomen betrachtet, stammen Werte und Normen teilweise schon aus der Antike. Wenn man "Ämter und Herrschaft" als zentrales Phänomen ansieht, kann man sagen, dass Ämter und Würden, die mit Herrschaft verbunden sind, schon im Mittelalter zur Erblichkeit tendiert haben.
Das beginnt auf der Ebene der Grafen in der ausgehenden Karolingerzeit, also im 9. Jahrhundert, bei den Herzögen etwas später. Wenn man an die Funktion "Schutz als Kriterium" denkt, geht es darum, dass man zum Krieger ausgebildet wird.
Um es banal zu formulieren: Ritter wird man nicht in einer Ritterschule, ein Adelssohn erhält vielmehr die Erziehung und die Ausbildung am elterlichen Hof, am Hof eines anderen, zumeist verwandten Adligen, oder am Königshof. Und natürlich tendieren soziale Oberschichten immer dazu, sich nach unten abzugrenzen. Gerade diese scharfen Abgrenzungsversuche sind für den Adel typisch.
Darum grenzte sich der Adel stets nach unten ab
Gab es diese Abgrenzungsversuche des Adels immer schon?
Die meisten Historiker würden sagen, dass man mit dem ausgehenden 9. Jahrhundert mit Fug und Recht von Adel sprechen kann. Davor ist die Sache nicht ganz so einfach. Aber in dem Moment, in dem der Adel als soziale Kategorie fassbar ist, vor allem im Spätmittelalter, gibt es sehr scharfe Abgrenzungsversuche nach unten. Die mentalen Konfliktlinien "Adel gegen Bauern" und "Adel gegen Bürger" sind prägend für das Denken in der spätmittelalterlichen Gesellschaft.
Mit den Abgrenzungsversuchen wurde auch der Rechtfertigungsdruck des Adels zu dieser Zeit immer größer, der Adel musste sich erklären, wen er da überhaupt noch beschützte - etwa gerade auch zur Zeit der Bauernaufstände. Wie ging es denn in der Frühen Neuzeit mit dem Adel weiter?
Ein Phänomen des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit ist, dass alternative Eliten erscheinen, etwa die reichen Bürger in den Städten oder die Gelehrten. Ein Universitätsstudium kann den gesellschaftlichen Rang deutlich erhöhen.
Im späten Mittelalter geriet der Adel zudem unter Rechtfertigungsdruck, weil die Schutzfunktion nicht mehr immer erkennbar war, um das einmal milde zu formulieren. Das gern zitierte Bild vom Raubritter übertreibt zwar maßlos, hat aber einen wahren Kern: Adlige werden nun eher als Unterdrücker wahrgenommen, und daraus entstehen natürlich Probleme. Aber letztlich ziehen die Bauern den Kürzeren, und in der Frühen Neuzeit sind die gesellschaftlichen Verhältnisse schon wieder relativ starr.
Machen wir noch einmal einen Zeitsprung. Kann man sagen, dass der 1. Weltkrieg mit daran Schuld ist, dass es den Adel so in Europa nicht mehr gibt bzw. dass er auch teilweise ganz zerstört wurde?
Wenn man eine europäische Perspektive einnimmt, muss man das relativieren. Die Entwicklung des Adels im 19. und 20. Jahrhundert verläuft in Europa in den einzelnen Gesellschaften sehr unterschiedlich - in Großbritannien ja völlig anders als etwa in Deutschland und Österreich.
Deswegen muss man auch die unterschiedlichen Nationalgeschichten berücksichtigen. Die deutsche Geschichte und die österreichische Geschichte sind gekennzeichnet von markanten und scharfen politischen und sozialen Brüchen - in den Verlierernationen des 1. Weltkriegs, wenn man so will.
Der 1. Weltkrieg allein dürfte nicht für den Bedeutungsverlust des Adels verantwortlich gewesen sein, aber zumindest für Deutschland und Österreich hat er schon eine markante Rolle gespielt. Wichtiger aber ist zweifellos ein anderer Kontext: Die Geschichte der Industrialisierung mit ihren Folgen für die Gesellschaft.
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