Bereits einen Tag vor Heiligabend befindet sich das japanische Volk in einer festlich-feierlichen Stimmung: Akihito, der emeritierte Kaiser, der zwischen 1989 und 2019 drei Jahrzehnte in Amt und Würden war, wird am 23. Dezember stolze 90 Jahre alt. Wir blicken zurück auf das Leben und Wirken des Mannes, dessen Vorfahren auf dem Chrysanthementhron noch als Götter verehrt wurden.
Die "Vergötterung" der Kaiserfamilie ist nicht der einzige Grund, warum "diese Monarchie komplett anders" ist als alle anderen, über die
Der Journalist kennt das Land der aufgehenden Sonne gut. Er besuchte die kaiserlichen Stätten und lernte bei seinen Reisen, warum es einer "großen Kultursensibilität" bedarf, um das japanische Volk nur im Ansatz zu verstehen. Doch genau dieses Wissen ist elementar, um das Geburtstagskind, dessen Ehefrau Michiko sowie den aktuellen Kaiser Naruhito einordnen und würdigen zu können.
Die historische Bürde des japanischen Kaiserhauses
Zunächst einmal ist der Sohn von Akihito und Michiko (89) der einzige und letzte verbliebene Kaiser dieser Welt. Japan gilt als die älteste Monarchie überhaupt – der erste Kaiser wird namentlich im Jahr 660 v. Chr. erwähnt. "Daran lässt sich schon ablesen, welch große historische Bürde die kaiserliche Familie mit sich herumträgt."
"Diese über zweieinhalbtausend Jahre bekommt man nicht mal eben so abgeschüttelt. Es stecken viele Traditionen und Bräuche drin, die uns heute im Jahr 2023 mit unserem europäischen Blick absurd erscheinen mögen", erklärt Begasse. So sei es für ihn als Adelsexperten und aufgeklärten Menschen ein Skandal, dass es nach wie vor eine ausschließlich männliche Thronfolge gibt.
Am Beispiel der amtierenden Kaiserin Masako wird deutlich, dass diese historisch gewachsene Thronfolgeregelung das Kaiserhaus unter massiven Druck setzt. Die 60-Jährige erlitt 1999 eine Fehlgeburt, ehe sie 2001 ein gesundes Kind zur Welt brachte. Aber: Anstelle eines männlichen Thronfolgers wurden Naruhito und Masako Eltern eines Mädchens: Aiko, mittlerweile 22 Jahre alt.
"Das muss man sich einmal vorstellen", holt Begasse aus und ordnet ein: "Die gesamte Nation guckte der Kaiserin damals nur auf den Bauch. Und dann durfte sie dem Volk endlich ein Kind präsentieren – doch es war eine Prinzessin."
Jüngerer Bruder von Naruhito ist Nummer eins in der Thronfolge
Diese Geschichte führte in der Folge dazu, dass die Kaiserin schwermütig wurde. Aiko wiederum leidet noch heute darunter, weil sie mit Anfang 20 das Gefühl tief in sich trägt, nicht gut genug zu sein, um eines Tages die Nachfolge ihres 63-jährigen Vaters antreten zu dürfen.
Seit Akihitos Abdankung 2019 aus gesundheitlichen Gründen sitzt Naruhito auf dem Chrysanthementhron. In seine Fußstapfen wird eines Tages also nicht dessen Tochter, sondern der jüngere Bruder treten. Akishino ist aktuell die Nummer eins der Thronfolge, die Nummer zwei ist Hisahito, der erst 17-jährige Sohn Akishinos. Die Suche nach einem legitimen Nachfolger erwies sich in den vergangenen Jahren als großes Problem.
Michikos "Diana-Schicksal"
Vor diesem Hintergrund konnte Michiko wiederum bereits in jungen Jahren im Kaiserhaus und bei ihrem Volk Pluspunkte sammeln – auch wenn es lediglich dem Zufall zuzuschreiben war, dass sie mit Naruhito (* 23. Februar 1960) und Akishino (* 30. November 1965) zwei Jungen zur Welt brachte.
"Das Diana-Schicksal", wie es Begasse ausdrückt: "Michiko schenkte zwei gesunden Söhnen das Leben und das Paar konnte seine Familienplanung quasi abschließen. Wobei in diesem Fall 1969 noch eine Tochter hinterherkam." Prinzessin Nori habe jedoch bürgerlich geheiratet und sei daher längst kein offizielles Mitglied der Kaiserfamilie mehr.
Der nun 90-jährige Ex-Kaiser Akihito hatte seine spätere Ehefrau übrigens 1957 auf einem Tennisplatz kennengelernt. Beide galten als passionierte Tennisspieler und Musiker – er ein leidenschaftlicher Cellist, sie eine talentierte Klavierspielerin. Am 10. April 1959 gaben sich die beiden das Jawort. Die Hochzeit sorgte damals für einen Aufschrei und stellte einen Bruch mit einer Tradition dar. Zwar stammte Michiko aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie, jedoch war sie eben "nur" eine Bürgerliche.
Bis zu diesem Zeitpunkt war es ein inoffizielles Gesetz, dass die Hauptfrau des jeweiligen Kaisers aus dem Erbadel stammen musste. "Es war schlicht und einfach Liebe, eine echte Zeitenwende. Alle Kaiser vor ihm wurden nicht aus Liebesgründen, sondern aus dynastischen Gründen verheiratet", weiß Begasse. Man könne Michiko gar nicht genug dafür danken, welch starke Stütze diese zierliche Frau an der Seite ihres Mannes war und immer noch ist.
"Frieden überall": Das Regierungsmotto des Ex-Kaisers
Der Adelsexperte belegt seinen Eindruck anhand einer persönlichen Geschichte, die in diesem ablaufenden Jahr sein Herz erwärmen konnte: "Am 23. August haben Akihito und Michiko eine Gartenausstellung besucht – händchenhaltend wohlgemerkt. Dieses Bild sagt so viel aus, nämlich: 'Wir haben es geschafft. Wir saßen 30 Jahre auf diesem sehr traditionellen Thron und sind seit 2019 im wohlverdienten Ruhestand.'"
Diesen genießt das Paar, das sehr zurückhaltend und bescheiden in der Öffentlichkeit auftritt, in volle Zügen – und mit einem laut Begasse "milden Blick auf die Regierungszeit Akihitos". Der 125. Tennō (ein japanischer Herrscher- und Adelstitel, der in der Regel mit dem Begriff "Kaiser" übersetzt wird) habe einen hervorragenden Job gemacht.
"Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Akihito das gemacht hat, was ihm seine Vorfahren, die damals noch als Götter bezeichnet wurden, ins Poesiealbum geschrieben haben. Er hat das Land zusammengehalten und durch schwierige Zeiten (mit)geführt." Mit dem Motto "Frieden überall" (Heisei), das seine Regierungszeit bestimmte, habe er sich zwar einen schweren Rucksack umgeschnallt, diesen aber bis ins Ziel tragen können.
Etwa im März 2011, als er sich nach der Erdbeben-Katastrophe als erster japanische Kaiser überhaupt in einer TV-Ansprache mit tröstenden Worten an das Volk wandte. Genauso wie sein Sohn heute hatte Akihito allerdings keinerlei politischen Einfluss. "Von der Verfassung her ist der japanische Kaiser ein Symbol für den Staat und die Einheit des Volkes", erklärt Begasse.
Akihito konnte Traditionen ein Stück weit aufbrechen
Dennoch konnte der 90-Jährige als Kaiser Zeichen setzen und ist – im Rahmen seiner kleinen Möglichkeiten – ein Stück weit aus dem traditionellen Kaiserhaus ausgebrochen. Der Adelsexperte nennt ein Beispiel: "Akihito war der Erste, der ein Studium absolviert hat. Kein Kaiser vor ihm durfte Kontakt zu 'Normalsterblichen' haben, geschweige denn zur modernen, intellektuellen Welt." Womit wir wieder bei der eingangs erwähnten Gottgleichheit wären, die der Kaiserfamilie einst aufgebürdet worden war.
"1945 hielt Kaiser Hirohito (1926-1989), also der Vorfahr des jetzigen Geburtstagskindes, die allererste Rundfunkansprache. Damals sind die Japaner und Japanerinnen reihenweise in Ohnmacht gefallen, weil plötzlich ein Gott zu ihnen gesprochen hat. So lange ist das noch gar nicht her, wir sprechen hier von knapp 80 Jahren", schildert Begasse eine Anekdote, die erklärt, warum Japan eine so besondere Monarchie ist.
Die komplizierte Abdankung des "kaiserlichen Rentners"
Während Hirohito, der 1989 verstarb, in den Augen der Bevölkerung ein Gott war, ging dessen Sohn Akihito als der erste "kaiserliche Rentner" Japans in die Geschichte ein. Als er einige Jahre nach seiner Bypass-Operation freiwillig zurücktrat, weil er nicht mehr 100 Prozent seiner Kraft für sein Amt zur Verfügung stellen konnte, stand das Kaiserhaus vor einem großen Problem.
"Ein Rücktritt war in der Verfassung gar nicht vorgesehen", erinnert sich der Adelsexperte. "Es hat ewig gedauert, bis das entsprechende Gesetz durchs Parlament gegangen war und ihm endlich gestattet wurde, sich in den Ruhestand zu begeben."
Rätselraten um Gesundheitszustand
Wie es dem Geburtstagskind heute gesundheitlich geht, ist nicht bekannt. Die japanischen Medien halten sich weitgehend bedeckt, was nach Einschätzung Begasses auf das Höflichkeitsempfinden der Japaner zurückzuführen ist: "Es gibt dort keinen Boulevard-Journalismus, der sich mit dem Kaiserhaus beschäftigt."
"Zwar ist es, anders als beispielsweise in Thailand, nicht per Gesetz verboten (Stichwort: Majestätsbeleidigung), doch die Medien in Japan haben viel zu großen Respekt vor der Kaiserfamilie. Grundsätzlich wird gewartet, bis der Palast eine offizielle Mitteilung herausgibt." Hinzu kommt, dass sich das emeritierte Kaiserpaar ohnehin in der Öffentlichkeit rar macht.
"Man wird die beiden weder am Neujahrstag noch an einem runden Geburtstag beim Bad in der Menge sehen. Niemand aus der Kaiserfamilie tritt direkt mit dem Volk in Kontakt. Es wird freundlich hinter einer Panzerglasscheibe gewunken – und das war's."
Japan sei eine im wahrsten Sinne des Wortes fesselnde und zugleich spannende Monarchie. "Sie ist kein Märchen aus Tausenundeine Nacht, sondern hat eher etwas Mittelalterliches – mit mehr Zwängen als Freiräumen. Ich habe großen Respekt vor allen Frauen und Männern, die in und an diesem Kaiserhaus nicht kaputtgehen", ordnet Begasse ein.
Lebensabend mit "schöner Harmonie"
Akihito gehört zu denjenigen, die nicht daran zugrunde gegangen sind. Weil er im richtigen Moment den Thron freigemacht und seinem Sohn den Vortritt gelassen hat. Dessen Regierungsmotto lautet übrigens "schöne Harmonie" (Reiwa). Das klingt zwar schön, ist manchmal aber gar nicht so harmonisch, wie Michael Begasse klarstellt: "Im japanischen Kaiserhaus mussten Prinzessinnen ihren Titel aufgeben, weil sie einen Bürgerlichen geheiratet haben. Die Frauen spielen im Kaiserreich bis heute keinerlei Rolle."
Bei Akihito, der mit seiner Michiko einen harmonischen Lebensabend verbringt, ist das anders. "Selbst wenn dieser 90. sein letzter Geburtstag sein sollte, was ich nicht hoffe, hatte er zumindest vier wunderbare, sehr befreite und private Jahre, die er in den 86 Jahren davor nicht hatte", lautet das Fazit des Adelsexperten.
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