Ihr Beruf ist ihre Leidenschaft: Agnes Karrasch ist eine junge Köchin, die schon auf einen erstaunlichen Werdegang blicken kann. Ihre Ausbildung absolvierte sie in einem der besten Restaurants Österreichs; 2018 gewann sie mit dem Jugendnationalteam den "Culinary World Cup".
Die Kino-Doku "She Chef" begleitet die 25-Jährige auf ihrem weiteren Weg. In drei Spitzenrestaurants an so unterschiedliche Orten wie Bergisch Gladbach, Barcelona und auf den Färöer Inseln sucht Karrasch ihren Stil, ihre Küchensprache.
Die Kamera ist immer dabei und zeigt schonungslos und ungefiltert auch die wenig glamourösen Seiten der Sterneküchen: der harte Ton, die fordernden Arbeitszeiten, die schwierige Zeit der Pandemie.
Vor allem aber zeigt der Film, wie männerdominiert diese Branche noch immer ist. Im Interview mit unserer Redaktion verrät Agnes Karrasch, wie es zur Idee der Doku kam, warum so wenige Frauen in der Spitzengastronomie arbeiten und ob sich die Branche modernen Anforderungen überhaupt anpassen kann.
Frau Karrasch, die Doku beginnt mit Ihrem dem Sieg bei der Koch-WM – das ist ja schon ein gewaltiger Meilenstein. Wie war Ihr Werdegang bis dahin, wie kamen Sie zum Kochen?
Das Kochen war in gewisser Weise immer ein Teil von mir. Ich bin nur nicht den ganz geradlinigen Weg gegangen, direkt über eine Ausbildung. In meiner Kindheit war irgendwie immer klar, dass man die Schule beendet, Abitur macht und studiert. Es stand nie an oberster Stelle, eine Ausbildung zu machen.
Ernsthaft drüber nachgedacht habe ich also nicht wirklich, obwohl die Leidenschaft fürs Kochen schon als Teenager da war. Über viele Umwege – nach einer Tourismusschule, einem Studium – hat es mich dann doch zum Kochen geführt, weil mich die Faszination einfach nie losgelassen hat.
Ein Hoch auf den nicht-linearen Lebenslauf!
Auf jeden Fall!
Wie ist dann letztendlich die Idee zur Doku entstanden?
Nach meinem Studium lebte ich in Wien in einer WG. Mein Mitbewohner war und ist Filmproduzent und heute noch einer meiner besten Freunde. Er hatte mich damals schon sehr unterstützt und gesagt: "Werd endlich Köchin! Es ist es unerträglich, wie du dauernd davon redest und es einfach nicht bist!"
Dann hatte ich mich im Restaurant "Steirereck" beworben und er wollte filmisch ein Teil davon sein. Ich habe mich aber sehr lange bitte lassen und war nicht wirklich begeistert von dem Gedanken, mit der Kamera begleitet zu werden. In einer Küche, die mir sehr stark zugesagt hat, wollte ich einfach keine falschen Signale senden. Ich hatte ein wenig Angst davor, was die Kollegen über mich denken, wenn ich mit einem Kamerateam auftauche.
Es hat dann fast drei Jahre gebraucht, bis ich mich habe überzeugen lassen; drei Jahre, in denen ich Selbstbewusstsein gesammelt und meinen Standpunkt gefunden habe und sagen konnte: Ok, lasst uns einen Film darüber machen.
Wie haben dann die Kollegen auf die Kameras reagiert?
Alle in der Branche würden mir sicher zustimmen, dass wir es gewohnt sind, dass viele Kamerateams in den Sternerestaurants vorbeischauen – da war ich einfach noch eine mehr, die Kameras mitgebracht hat.
Verhalten sich alle denn trotzdem authentisch?
Ich denke, dass Menschen grundsätzlich unterschiedlich reagieren, wenn eine Kamera dabei ist. Manche werden scheu, manche suchen das Rampenlicht. Aber im Grunde lässt einem die Küche gar nicht den Spielraum, sich groß zu verändern, weil wir einfach so viel zu tun haben und unter Druck und Stress stehen. Der Zeitdruck bestimmt unseren Tag, und die Kamera verschwindet im Hintergrund.
"Auch viele Männer haben keine Lust mehr auf 18-Stunden-Tage"
Druck ist ein passendes Stichwort: Sind dieser Druck, harte Arbeitszeiten, Stress und der damit oft verbundene raue Ton in der Küche die Gründe, warum Frauen so selten in dem Job zu sehen sind?
Ich glaube, dass wir in Berufen, die grundsätzlich körperlich hart sind, ganz automatisch mehr Männer sehen. Handwerker, Bauarbeiter – und ich zähle den Beruf des Kochs auch dazu. Denn es ist immens hart, 16, 17, 18 Stunden am Tag körperlich schwer zu arbeiten, stehend zu arbeiten.
Diese Fitness können wir als Frauen natürlich auch mitbringen, aber unser Körper ist einfach anders gebaut. Und das ist ein Grund, warum da weniger Frauen sind. Der harte Umgangston resultiert ja aus diesen harten Umständen. Ich glaube, dass Männer in Stresssituationen nicht gerade sanft reagieren, so ist dieser harte Ton über die Jahre entstanden. Und der wurde auch zum Trend. Wenn man sich die Star-Köche anschaut: Sex, Drugs, Rock’n’Roll – wir feiern die ganze Nacht, ziehen uns Drogen rein und dann kochen wir am nächsten Tag wieder auf Drei-Sterne-Niveau. Wir sind Superstars! Das ist schon ein Lifestyle wie bei Rockstars, der gehypt wurde.
Interessant wird es aber, wenn ich in die Zukunft schaue. Wir wollen ja Step-by-Step mehr Frauen in die Branche bekommen und ja, auch viele Männer haben keine Lust mehr auf 18-Stunden-Tage oder darauf, gemobbt zu werden. Das ist ja unabhängig vom Geschlecht. Und genau so können wir über kurz oder lang mehr Frauen in die Branche ziehen.
Jeder kennt die alten Sprüche wie "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" und es scheint, als würde der Druck einfach immer an die nächste Generation weitergegeben werden. Sehen Sie, dass sich da was ändert?
Ja, ich denke, dass sich die Branche wirklich ändert, aber es ist nicht leicht abzusehen, ob die Veränderungen nur positiv sind. Wir versuchen, kürzere Arbeitszeiten und einen besseren Umgangston zu haben – aber der Koch muss auch eine Führungsposition erfüllen können und ein Team leiten.
Das wird einem in der Ausbildung nicht unbedingt beigebracht. Wie leitet man ein Team, ohne ausfällig zu werden? Wie gibt man den Druck nicht nach unten weiter? Ich glaube, dass sich die Sterneküche da verändert, aber die Frage bleibt: Kann sie sich dann auch finanzieren? Kann sich ein Sternerestaurant über Wasser halten, wenn wirklich jede Überstunde bezahlt wird? Wenn wir nicht mehr 18 Stunden am Tag drinstehen? Das ist die andere Frage.
"Unbezahlte Überstunden sind der Preis"
Sollte eine Branche denn überhaupt auf unbezahlte Überstunden setzen?
Natürlich sagt jeder Koch, dass das nicht gut ist. Aber ein Stück wissen wir auch alle, dass das der Preis ist. Ich denke, dass, wenn wir ab morgen sagen, dass jetzt alle korrekt bezahlt werden, die meisten Sterneküchen schließen müssten. Und das wollen wir ja auch nicht.
Wir wählen ja alle diesen Weg und sagen, dass wir uns bis zu einem gewissen Punkt in der Laufbahn hocharbeiten müssen. Und natürlich ist es auch ein Stück weit gut, Arbeitseinsatz zeigen zu müssen. Es wird teilweise für die Drei- oder Vier-Tage-Woche gekämpft, und ich frage mich, ob wir uns zu einer Gesellschaft entwickeln, die gar nicht mehr arbeiten kann, die Arbeit nur noch als etwas sehr Anstrengendes empfindet.
Das funktioniert aber auch nicht bei jedem Job so.
Ich glaube, dass die meisten Köche bereit sind, auf diesem Niveau zu arbeiten. Selbst am Wochenende sitzen wir da und diskutieren Gerichte, lesen Kochbücher – es dreht sich immens viel um den Beruf, aber damit auch um unsere Leidenschaft, die uns antreibt.
Sie scheinen vieles richtig gemacht zu haben – die letzten Szenen der Doku, die Ihr Leben und Arbeiten auf den Färöer-Inseln zeigen, sind beneidenswert. Haben Sie schon weitere Pläne?
Ich bin vor kurzem Sous Chefin im "Koks" geworden, hab also meine persönliche Traumposition, die ich im Angestelltenverhältnis haben wollte, erreicht. Mein Freund ist Head of Research and Development, wir arbeiten in einem kleinen Team mit unserem Küchenchef – wir haben einfach eine traumhafte Situation.
Wir planen weitere Pop-ups und natürlich die Neueröffnung, bei der wir Teil vom Team sein wollen, um den Neustart auf den Färöer-Inseln zu begleiten. Was danach kommt, werden wir sehen. Wir haben viele Ideen, aber definitiv ist die Selbständigkeit das Ziel.
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