Nach mehreren Verschiebungen startet Christopher Nolans lang ersehnter Thriller "Tenet" am 26.08. in den Kinos. Das Thema: Zeitumkehrung. Einige Kritiker sprechen vom bisher verworrensten Werk des Regisseurs. Doch für den Meister der Zeitmanipulation ist es nur mehr eine vertraute Übung.

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Der größte Widersacher des Menschen ist die vierte Dimension, die Zeit. Wir können ihren unsichtbaren Fängen nicht entkommen, sie ist zugleich Anfang und Ende unseres Lebens. Dieses Thema ist Christopher Nolans große Leidenschaft, die er seine ganze Film-Karriere hindurch abhandelt – selbst in denjenigen Filmen, die scheinbar nichts mit der Zeit zu tun haben. Aber eins nach dem anderen.

"Tenet" ist nicht Nolans erster Versuch, den Zeitstrang umzukehren. "Memento" (2000) etwa wird chronologisch rückwärts erzählt. Als Zuschauer soll man genauso überfordert vom Geschehen sein wie die an Amnesie leidende Hauptfigur.

Frühwerke wie "Following" (1998) oder "The Prestige" (2006) folgen einem ähnlichen Schema, wenn sie in ihrer zeitlichen Abfolge wild hin und her springen. Und bei "Insomnia" (2002) verliert man, zusammen mit dem schlaflosen Al Pacino, allmählich völlig das Zeitgefühl: Traum und Realität verschmelzen. Ein Limbo der Orientierungslosigkeit, der noch dadurch verstärkt wird, dass es am Ort des Geschehens keinen Sonnenuntergang gibt.

Gezielte Hinweise im Zeit-Chaos lassen uns detektivisch das Gesehene in einen Kontext bringen – nur um am Ende herauszufinden, dass wir völlig falsch liegen. Nolan lenkt unser Empfinden und unsere Gedanken. Wir werden Opfer seiner Inszenierung, genauso wie seine Figuren das Opfer der Zeit sind.

Christopher Nolans "Tenet": Science-Fiction mit Hand und Fuß

Nolan macht keine halben Sachen: Wenn es ihn in die Gefilde der Science-Fiction verschlägt, legt er großen Wert auf eine handfeste wissenschaftliche Theorie hinter dem Spektakel. So gelang mithilfe des Physik-Nobelpreisträgers Kip Thorne die möglichst realistische Darstellung eines schwarzen Lochs für den Film "Interstellar" (2014). Dessen Masse ist so groß, dass das Raum-Zeit-Gefüge selbst gekrümmt wird: Zeit vergeht dort wesentlich langsamer als etwa auf der Erde.

Natürlich benutzt Nolan dieses Wissen für einen menschlichen Dreh: Ein Astronaut muss auf der Suche nach bewohnbaren Planeten durch solch ein schwarzes Loch hindurch fliegen – und findet am Ende seine Tochter im Alter von 90 Jahren auf dem Sterbebett wieder. Er selbst jedoch ist kaum gealtert.

Während „Interstellar“ auf das Zeit-Gaspedal drückt, ist bei "Inception" (2010) eher die Bremse drin: Die Figuren rund um Leonardo DiCaprio infiltrieren immer tiefer liegende Traumebenen ihres Opfers. In jedem Traum-im-Traum vergeht die Zeit langsamer. Die dritte Ebene streckt fünf Minuten reale Zeit auf ganze 10 Jahre. Visuelle Spielereien, wie der häufige Einsatz von Zeitlupe, betonen das beängstigende Gedankenspiel.

Der beste Batman-Bösewicht ist die Zeit

Zwar spielt die Zeit in Nolans "Batman"-Trilogie keine ähnlich offensichtliche Rolle, ist deshalb aber nicht weniger wichtig: Bruce Waynes gesamtes Dasein als dunkler Rächer wurde maßgeblich durch einen einzigen Schicksalsmoment, gezeigt in "Batman Begins" (2005), begründet: Das Trauma, als seine Eltern vor seinen Augen erschossen wurden. Nirgends trifft "zur falschen Zeit am falschen Ort" besser zu. Und auch im weiteren Verlauf soll Batmans tatsächlicher Erzfeind nicht etwa der Joker, sondern die Zeit bleiben. So muss er sich in "The Dark Knight" (2008) entscheiden, welchen von zwei ihm nahestehenden Menschen er rettet.

Im finalen Kapitel "The Dark Knight Rises" wird schließlich eine existentielle Frage gestellt: Auch ein Superheld entkommt nicht dem größten Nebeneffekt der Zeit, dem Altern. Und es wird klar: Bruce Wayne muss das Batman-Kostüm an den Nagel hängen. Aber Nolan hat auch hier eine clevere Antwort parat: Der Mann geht, doch seine Werte überleben – als Symbol im Bewusstsein der Gesellschaft. Damit ist es ausgerechnet ein Superhelden-Epos, welches aus Nolans Film-Repertoire die beste Antwort auf die Frage bietet, wie die Zeit zu besiegen ist.

Nach all den Blockbustern drehte Nolan 2017 "Dunkirk", einen Kriegsfilm - sein bisher einziges Werk, das auf wahren Begebenheiten basiert. Und auch hier offenbart der Regisseur sein Faible für die Zeit. Das beginnt schon mit dem Sounddesign, wenn sich das Geräusch einer tickenden Uhr mit einem nervenaufreibenden Puls-Pochen abwechselt. Erzählt wird der Plot aus drei verschiedenen Perspektiven mit unterschiedlich langen Zeitspannen: Eine Woche auf dem Land, ein Tag auf dem Wasser und eine Stunde in der Luft. Weil zwischen diesen Handlungssträngen ständig hin und her geschnitten wird, springt auch der Zuschauer auf dem Zeitstrang immer wieder vor und zurück - das Geschehen muss er selbst verknüpfen.

So viele verschiedene Zeit-Interpretationen – und Nolan hat immer noch nicht genug. Im Gegenteil: Mit "Tenet" dreht er voll auf und legt die Messlatte für verschwurbelte Physik, gepaart mit spannender Action noch einmal höher. Ob dieser Spionage-Thriller tatsächlich, wie von vielen erhofft, die angeschlagene Kinoindustrie retten wird, muss sich noch zeigen - mit der Zeit.

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