"Spieglein, Spieglein an der Wand…": Disney gelingt eine überzeugende Neuverfilmung seines Zeichentrick-Klassikers "Schneewittchen", die sich vor dem Original verneigt. Doch die Produktion wird von einer "Wokeness"-Debatte überschattet.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Felix Reek dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es ist heutzutage gar nicht mehr so einfach, einen Märchenfilm zu drehen. Schon gar nicht, wenn es ein Remake des größten Klassikers dieses Genres überhaupt ist. 1937 legte "Schneewittchen und die sieben Zwerge" den Grundstein für das filmische Disney-Imperium, mit liebevoll gestalteten Figuren, die Hollywood-Stars ihrer Zeit nachempfunden waren.

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Als Vorlage für Schneewittchen diente Schauspielerin Janet Gaynor, der Prinz ist dem jungen Douglas Fairbanks wie aus dem Gesicht geschnitten, der tollpatschige Zwerg Seppl erinnert an Harpo Marx. Selbst das Pferd des Prinzen sieht aus wie das eines damaligen Westernstars. "Schneewittchen und die sieben Zwerge" war ein riesiger Erfolg, bahnbrechend in seiner Trick-Technik und musikalischen Umsetzung, er gilt noch heute als einer der wichtigsten Zeichentrickfilme überhaupt.

Das Bild, das "Schneewittchen und die sieben Zwerge" vermittelt, ist nicht ganz so gut gealtert. Das fängt beim vermeintlich diskriminierenden Titel an, geht weiter über die naive Prinzessin, die den kleinwüchsigen Fantasiegestalten den Haushalt schmeißt, bis hin zum Prinzen, der mit einem Kuss alle Probleme löst. Auf dass Schneewittchen für alle Zeiten in einem Schloss hübsch aussehen muss.

Für die einen passt das nicht in die heutige Zeit, für Nostalgiker darf es nur so und nicht anders sein. Ein schwieriger Spagat. Das musste Disney bereits leidvoll mit seiner Realverfilmung von "Arielle, die Meerjungfrau" erfahren, als Konzern und Hauptdarstellerin Halle Bailey eine Welle von Rassismus entgegenschlug, weil die hellhäutige Zeichentrickfigur mit einer schwarzen Schauspielerin besetzt wurde.

Keine Zwerge mehr im Titel

Mit noch mehr Problemen dieser Art muss sich jetzt die Neuauflage von "Schneewittchen" (Kinostart am 20. März) plagen, die sieben Zwerge strich man lieber gleich aus dem Titel. Seit anderthalb Jahren schlittert die Disney-Produktion von einer Kontroverse in die nächste. Hauptdarstellerin Rachel Zegler, deren Vorfahren aus Kolumbien und Polen stammen, ist Puristen oder Rechtskonservativen, je nach Auslegung, nicht hellhäutig genug für die Rolle; heißt es im Märchen der Brüder Grimm doch, Schneewittchen sei "so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen". Der Film erklärt es damit, dass Schneewittchen ihren Namen dem Schneesturm verdankt, in dem sie geboren wurde.

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Ebenso wenig dem Renommee von "Schneewittchen" zuträglich war, dass Zegler sich auf ihren Social-Media-Accounts für Palästina aussprach und Israelin Gal Gadot, die die böse Königin spielt, in der Armee ihres Landes diente. Viele Debatten also, in denen es vor allem um Dinge geht, die nichts mit dem Film zu tun haben. Denn die eigentliche Frage ist doch: Wird "Schneewittchen" dem großen Original gerecht?

Wer sich die Mühe gemacht hat, den Klassiker vorher noch einmal anzuschauen, muss zugeben: Es wimmelt nur so an liebevollen Verweisen auf den Zeichentrickfilm. Das fängt damit an, dass Schneewittchen und die böse Königin so gecastet wurden, dass sie den gezeichneten Figuren verblüffend ähnlich sehen. Das zeigt den Einfluss dieses Films "Schneewittchen" orientiert sich mittlerweile nicht mehr an realen Personen, sondern es ist genau umgekehrt. Auch die Kostüme sind bis in die Details der Vorlage nachempfunden, die Zwerge singen weiterhin bei ihrem ersten Auftritt "Hei ho" und die tapsige Schildkröte gehört 2025 genauso wenig in den Wald wie 1937. Selbst die Schatulle mit dem vermeintlichen Herz von Schneewittchen, die der Jäger der Königin überreicht, sieht aus wie im Original.

Emanzipation und friedliche Revolution

Natürlich fehlt den computergenerierten Tieren und Zwergen der Charme des ursprünglichen Films, an dem zu Spitzenzeiten bis zu 750 Künstler arbeiteten. Auch die Musik integriert sich nicht so mühelos in "Schneewittchen" wie in der Zeichentrick-Version, in der sie quasi die zweite Hauptrolle übernahm. Trotzdem bleibt die Realverfilmung nah am Original.

Nur in der Mitte und am Ende von "Schneewittchen" weicht die Neuauflage ab. In einem etwas gekünstelten, aber notwendigen Handlungsstrang schließt sich die Prinzessin einer Räuberbande an, um ihren Vater zu suchen, was sich kurz danach erledigt, weil sie nach dem Biss in den vergifteten Apfel tot umfällt. Der Prinz wird kurzerhand durch eine vorlaute Robin-Hood-Figur ersetzt, den rettenden Kuss gibt es immer noch, wenngleich ihm weniger Bedeutung zukommt.

Am Ende wird Schneewittchen sogar noch zu einer friedlichen Revolutionärin, die ihr Volk gegen die böse Königin anführt. Eine notwendige Emanzipation der passiven Figur aus dem Original-Film. Das macht "Schneewittchen" nicht zur besten Disney-Produktion aller Zeiten, aber zu einer soliden Neuauflage des altbekannten Stoffes.

Die Songs sind überzeugend, Rachel Zegler ist ein tolles Schneewittchen, der Kitsch-Faktor hält sich in Grenzen – genau das Richtige für einen Kino-Nachmittag mit der ganzen Familie. Nur der seltsame Onkel, den die Haut-Pigmentierung der Darsteller mehr interessiert als die Handlung, sollte besser zu Hause bleiben.